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Keine Antwort Der Klagenfurter Germanist Alfred Berger schreibt in seinem Aufsatz „Dienende Kunst. Lyrik im öffentlichen Raum 1938-1945 am Beispiel Josef Weinhebers“ (in dem von I. Dürhammer und P. Janke herausgegebenen Band Die „österreichische“ nationalsozialistische Ästhetik, Wien 2003): Tatsächlich sind die österreichischen Lyriker der zweieinhalb Jahrzehnte zwischen der Gründung der Ersten und der zweiten Republik wirkungsgeschichtlich ohne Bedeutung geblieben ... bei ihnen war nichts zu holen, was als Anstoß zu Auseinandersetzung und Weiterentwicklung des Ausdrucksspektrums hätte dienen können, nichts, was mit dem ästhetischen Radikalismus Gottfried Benns oder mit der gesellschaftskritischen Schärfe Bertolt Brechts vergleichbar wäre. Trotz der seit etwa Ende der 70er Jahre intensivierten literarischen Forschung zu diesem Zeitraum gibt es keine wirkliche Wieder- oder Neuentdeckung. Unter dieses Verdikt wirkungsgeschichtlicher Bedeutungslosigkeit fällt nicht nur die Lyrik der Parteigänger des Nationalsozialismus, sondern die gesamte Lyrik des Exils und des Widerstands, von Rose Ausländer bis Guido Zernatto, von Theodor Kramer bis Berthold Viertel, von Paula Ludwig bis Ernst Waldinger, Jura Soyfer bis Franz Baermann Steiner. Es ist hier nicht zu diskutieren, ob und inwiefern bei ihnen etwas zur „Weiterentwicklung des Ausdrucksspektrums“ zu „holen“ war. Die Hauptursache der verhältnismäßig geringen Resonanz dieser Lyriker im Nachkriegsösterreich dürfte in ihrer Ausgrenzung, Vertreibung, auch Ermordung zu suchen sein. Mit ihnen wurde ja auch ein Gutteil ihrer Leser und der Kritiker und Literaturwissenschaftler dieser Generation vertrieben. Bei den mehr handfesten Dingen hatten viele Dagebliebene keine Scheu, sich bei den Juden etwas „zu holen“; in geistiger Hinsicht schien da mehr Vorsicht geboten. Albert Berges Aufsatz beruht auf einem im März 2002 in Wien gehaltenen Vortrag, in dem er eingangs die 1935 in Wien erschienene Lyrikanthologie „Der ewige Kreis“ besprach, an der auch Theodor Kramer und Ernst Waldinger beteiligt waren. Bergers Eindruck von dieser Lyrik war der „eines poetisch-geistlichen Raumes, der sich ganz einem so lamoyanten wie sentimentalen Romantizismus von Gemüt und Seele verschrieben hat“. Das Problem dieses Eindrucks ist seine Undifferenziertheit, und so protestierte ich in der dem Vortrag folgenden Diskussion gegen die nicht ganz unbekannte Methode, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ich schrieb ihm sogar einen Brief. Darin stand unter anderem: Sie haben in Ihrem Vortrag, die Anthologie „Der ewige Kreis“ besprechend, die späteren Exilanten Waldinger und Kramer als bloß graduell sich unterscheidend dargestellt von der ganzen braun-grünen Flut der Heimatliteratur, die damals gegen eine ihr krank dünkende Zivilisation antrat und das ewig Wiederkehrende auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Und Sie haben den genannten Autoren bzw. ihrem Werk im gleichen Atemzug fast jegliche Aktualität abgesprochen. Nun kann es Ihre wohlgegründete Überzeugung sein, daß die Exilliteratur im allgemeinen ästhetisch regressiv oder retrograd war, daß sie hinter die Avantgarde des ersten Jahrhundertviertels zurückfiel. Aber man sollte diese Überzeugung - in Anbetracht des Ernstes und der Größe der damit zusammenhängenden Probleme - nicht beiläufig im Zusammenhang eines Vortrags über Josef Weinheber aussprechen. Ich glaubte, die Zeit, in der die österreichische Germanistik über die Exilliteratur mit einem Achselzucken oder Schulterklopfen hinwegging, sei vorbei. Auf den Brief erhielt ich keine Antwort, und die gedruckte Fassung des Vortrags zerstreut meine Bedenken nicht. Ist es ein Wunder, daß Exilliteratur in Österreich wenig Beachtung findet, wenn von der Lehrkanzel herab das Desinteresse an ihr gerechtfertigt wird? Es ist übrigens, um Mißverständnissen vorzubeugen, darauf hinzuweisen, daß Albert Berger mit dem Nationalsozialisten Josef Weinheber mit gebotener Schärfe ins Gericht geht. Konstantin Kaiser Verstreutes Modernisierung. — Habe ich richtig gehört? Ein Reporter des Österreichischen Rundfunks (ORF) befragte den Generaldirektor der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) anläßlich des Streiks der im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) wohlorganisierten Eisenbahnbediensteten, welche Modernisierungen bei den ÖBB notwendig seien. Der Reporter erwähnte deren drei; eine von ihnen, habe ich mir gemerkt, hieß Privatisierung, eine andere: niedrigere Lohnkosten. Also handelt es sich wieder einmal um eine sogenannte Modernisierungskrise, die Bediensteten der ÖBB wollen nicht verstehen, was Sache ist, daß der Weg in die Zukunft über niedrigere Löhne führt. Ich denke mir in dieser Sprache Nachrufe aus, etwa auf den Generaldirektor eines Bergbauunternehmens, der erfolgreiche Modernisierungen eingeführt oder durchgesetzt hat. Was könnte das gewesen sein? Daß die Grubenpferde, einmal in den Stollen versenkt, fortan nie mehr ans Tageslicht kamen, wie Emile Zola in Germinal berichtet, wodurch natürlich Zeit und Energie gespart waren? Bloß die Kadaver mußte man beseitigen. Oder darf man bei Modernisierung an jenen Robert Owen denken, der die Vorteile, die sein Betrieb aus technischen Neuerungen zog, für ein besseres Leben seiner Arbeiter zu nutzen suchte? Man hätte vielleicht den guten alten Fortschritt nicht gar so leichtfertig gegen eine Phrase tauschen sollen. gewohnt. 87