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Buchrezension: Im Zwielicht Karl Hans Heinz, geboren 1907 in Wien, gelernter Diplomkaufmann, war nach Abschluß seines Studiums Referent der sozialistischen Bildungszentrale und freier Mitarbeiter der Arbeiter-Zeitung (wo er erlebte, wie ein anderer freier Mitarbeiter, Jura Soyfer, ähnlich dringlich seine Honorare behob wie er selbst). Heinz war in den Februartagen 1934 auf der Seite des Schutzbundes an den Kämpfen um die Floridsdorfer Remise - die Franz Höllering in seinem Roman "Die Verteidiger" beschrieben hat - beteiligt, konnte rechtzeitig fliehen, wurde aber wahllos mit anderen Bewohnern der sogenannten "Roten Burg" verhaftet und verbrachte einige Wochen im "Anhaltelager" ArmbrusterFabrik in der Porzellangasse, Wien IX. Dann schloß er sich der KPÖ an. 1935 wurde er Geschäftsführer des von Ernst Karl Winter begründeten Gsur Verlages, in dem 1936 Ziehharmonika" (angeblich in der Auflage von 2.000, die in kurzer Zeit abgesetzt war) erschien. Heinz erinnert sich, daß Kramer jede Gelegenheit wahrnahm, seine Gedichte vorzutragen, selbst im Büro des Verlags. Der Lyriker fürchtete offenbar die Konkurrenz der Alltäglichkeit für seine Poesie nicht. Entscheidend für Heinz wurde aber die Begegnung mit Ernst Karl Winter und die Beteiligung an dessen Versuch, die seit dem Februar 1934 Entzweiten angesichts der größeren Gefahr Hitler wieder zu versöhnen. Zudem verteidigte Winter das Recht der Österreicher, sich als eigene Nation zu konstituieren und zu erhalten, lange bevor die Kommunisten auf eine Anregung Dimitroffs hin Stellung in dieser Frage bezogen. "Ernst Karl Winter. Ein Katholik zwischen den Fronten" hieß die Dokumentation, die Heinz 1984 zusammengestellt hatte (Wien: Böhlau, 431 S.). Winter ist auch die insgeheime Zentralgestalt des Romans "Im Zwielicht", der die wenigen Tage, die Österreich nach Schuschniggs Besuch in Berchtesgaden am 12. Februar 1938 blieben, atmosphärisch dicht und spannend schildert. Der Titel gibt den Zustand, in den das Land in kurzer Zeit geriet, treffend wieder: Hinter jedem Gesicht erscheint ein zweites Gesicht, der fanatische Vaterländische trägt schon ein neues Parteiabzeichen unter dem Rockaufschlag, der Polizist schwankt, ob er den Befehl ausführen oder sich mit der SS verbrüdern soll. Heinz stellt den Übergang nicht als Allgegenwart eines kleinmenschlichen Opportunismus oder als Aufstand einer dämonischen Unterwelt dar. Er entläßt die handelnden Personen nicht aus ihrer Verantwortung; die Dialoge sind daher keine Behelfsmittel indirekter Milieuschilderung, sondern führen ethisch-politische Fragestellungen dramatisch vor. Fortsetzung auf Seite 3 Jannis Rits os Fortsetzung von Seite 1 Linie treu. Der "Epitaphios", der ihn (in einer Auflage von 10.000) berühmt machte und sofort von der Metaxas-Diktatur verboten wurde, steht noch ganz in der Tradition des gereimten Volksliedes. Später entwickelt Ritsos einen eigentümlichen, meist pointierten Lakonismus. Da gibt es Einzeiler in seinem Werk ("Vers": "Ein voller Geschmack vom Ende geht dem Gedicht voran. Anfang."), und da gibt es lange Hymnen, Poeme. Da gibt es Zyklen, die sich direkt und kämpferisch mit den politischen Ereignissen, mit Besatzung und Bürgerkrieg befassen (etwa "Die Viertel der Welt", "Der rußgeschwärzte Topf"), höchst subtile Gedichte über die Würde des täglichen Lebens, die absurde Situation des einzelnen in einer gespaltenen Gesellschaft ("Steine, Wiederholungen, Gitter") und Verse, die auf den ersten Blick allem politisch Gegenwärtigen enthoben scheinen ("Zeugenaussagen"). Aber durch all das läuft ein roter Faden, vom Geburtstag an: dem 1. Mai; dann das Schicksal der feudalherrschaftlichen Familie, die vom Kapitalismus überrollt wird, die völlige Verarmung, (lebenslange) Lungenkrankheit, Bekanntschaft mit Kommunisten, Anschluß an die KPG, während des Krieges Eintritt in die EAM, die Hellenische Antifaschistische Front, dann 1948 die erste Verhaftung und Deportation auf die KZ-Inseln, die Entlassung vier Jahre später, die Freundschaft und Zusammenarbeit mit Mikis Theodorakis, schließlich die Neuauflage des Verfolgungsterrors unter der Junta. Ritsos’ Werk, zum Teil unter den extremsten Bedingungen der Gefangenschaft entstanden, spiegelt - nicht als Dokumentation, sondern als Zeugnis ein halbes Jahrhundert griechische Geschichte wider, den permanenten Kampf um die Demokratie, in dessen Verlauf sich der Dichter immer wieder auf der Seite der Unterlegenen fand. Nur seiner unverhohlenen politischen Position hat Ritsos es zu verdanken, daß er bei der Nobelpreisvergabe bisher leer ausgegangen ist. An mangelnder poetischer Potenz kann’s nicht liegen - Ritsos ist nirgends bloß Agitpropagandist, Zweckschreiber, er huldigt vielmehr der archaischen Vorstellung vom Dichter als dem Bewahrer eines Geheimnisses, dem Mittler des Ewigen. Louis Aragon, der viele Gedichte seines griechischen Kollegen übersetzt hat, bekennt in einem Vorwort, Ritsos’ Verse seien die einzigen gewesen, die ihn je zum Weinen gebracht hätten. Ritsos’ Eigenart hat viel mit seinem Griechentum zu tun, mit jenem romantischen Byronschen Griechentum, das der Nichtgrieche von ihm erwartet und das er tatsächlich repräsentiert, wenn auch im unverkennbaren Gewand des zwanzigsten Jahrhunderts. Das berühmte Poem "Griechentum", geschrieben während des Bürgerkrieges, beginnt so: Diese Bäume kommen nicht mit weniger Himmel aus, diese Steine ertragen fremde Schritte nicht, diese Gesichter ergeben sich nur der Sonne, diese Herzen dulden nur das Recht. Diese Gegend ist hart wie das Schweigen, pret ihre verbrannten Steine an die Brust, preßt ans Licht ihre verwaisten Obstbäume und ihre Weinstöcke, preßt die Zähne aufeinander. Es gibt kein Wasser. Nichts als Licht. Der Weg verliert sich selbst im Licht und der Schatten der Umzäunung ist aus Eisen. Zu Marmor wurden Blume, Flüsse und die Stimmen im Kalk der Sonne. Das Lebensgefühl des Widerstandskämpfers gegen deutsche und dann britische Besatzung hält am romantischen Freiheitsideal fest: Griechenland (Land und Leute als symbiotische Einheit), arm, karg, geknechtet, wehrt sich trotzig gegen einen übermächtigen Feind. Spricht Ritsos im Namen des Volkes, der Nation, so spricht er immer im Namen der Schwachen, der Unterdrückten, spricht er als patriotischer Partisan, der sich für seinen "Nationalismus" nicht zu genieren braucht. Zwanzig Jahre später steht wieder die Schicht der - vom Ausland unterstützten - Herrschenden auf der einen, das Volk auf der anderen Seite. Eines der "Achtzehn Kurzlieder der bitteren Heimat" (immer ist die Heimat für Ritsos auch bitter) lautet: "Kleines