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Volk, das ohne Schwert kämpft und Kugeln,/für das Brot der ganzen Welt, für ihr Licht und ihre Lieder./Unter der Zunge hält es Stöhnen und sein Jubeln fest,/doch wenn es sie je singt, werden die Felsen springen." Ritsos, der Volksdichter, hat sie gesungen. Sein hartnäckiger Optimismus war nie platt, sondern rechnete mit dem Schlimmsten: Wir lächeln in uns hinein. Jetzt verbergen wir es, dieses Lächeln. Gesetzwidriges Lächeln - wie auch die Sonne gesetzwidrig wurde, gesetzwidrig auch die Wahrheit. Wir verbergen das Lächeln, so wie wir das Bild der Geliebten in unserer Tasche verbergen, so wie wir die Idee der Freiheit im tiefsten Winkel unseres Herzens verbergen. Alle, die wir hier sind, haben wir einen Himmel und das gleiche Lächeln. Vielleicht töten sie uns morgen. Aber dieses Lächeln und diesen Himmel können sie uns nicht nehmen. In seinem Kampf gegen die faschistische Unterdrückung hat Ritsos einen unvermuteten Verbündeten: den Mythos. In dieser Lyrik wird der Mythos nicht zum ästhetischen Ablenkungsmanöver, sondern er wird vor den Karren der Freiheit gespannt, wird herbeizitiert, um gegen die Diktatoren auszusagen. Mythos und Realität, Poesie und Propaganda, die Dinge und die letzten Dinge lassen sich bei Jannis Ritsos nicht dividieren. Getreu den Vorbildern der antiken Kunst sieht der Dichter "immer das Himmlische Seite an Seite mit dem Alltäglichen". Die Leiden des Alltags sind das eine: "Und das andere wiederum, das ganz Große, das Unfaßbare und Unsichtbare,/nachdem wir es so lange gemeinsam betrachteten und gemeinsam liebgewannen,/wurde endlich unser, eins mit uns, wir haben es neben uns/wie das Salzfaß, wie die Gabel, wie den Teller." Die Vorbilder harmonischen Nebeneinanders sind freilich nicht immer einzuholen, die große Vergangenheit, der Abglanz antiker Pracht lastet bisweilen schwer auf dem Griechen der Gegenwart, eine alte Hypothek, die es hier und jetzt abzulösen gilt. Ritsos stellt sich diesem - wo es über den Bereich des Fremdenverkehrsmarketing hinausgeht - keineswegs unproblematischen Erbe, immer wieder stößt man in seiner Poesie’ unter dem Staub des Heute auf etwas Hartes, Schimmerndes: auf Marmor. Ritsos’ "Perspektive" (hier auf den Geburtsort Monemvasia bezogen) ist die des modernen Griechen: Unsere Häuser sind auf anderen gebaut, geradlinigen aus Marmor, und die wiederum auf anderen. Ihr Fundament ruht auf den Häuptern aufrechter Statuen ohne Hände, so niedrig, auf den Feldern, unter Ölbäumen, und eng die Hütten, klein, verraucht, mit einem Krug neben der Tür, und du glaubst, hoch oben zu sein, vom Wind umflimmert, oder manchmal, draußen, außerhalb zu sein, kein Haus zu haben, nackt umherzuirren, alleine unter einem furchtbar blauen oder weißen Himmel, und eine Statue, bisweilen, lege leicht die Hand auf deine Schulter. Griechische Landschaft in Versen, die Ägäis-Poesie hat ihre Unschuld verloren, spricht heutzutage immer von zweierlei - die Ägäis ist die Ägäis des Odysseus, aber sie ist auch die der baumlosen, winzigen Lagerinseln, der "Umerziehung", der Zwangsarbeit, der Folter, des Todes ("Und das Meer der Ägäis war blau wie immer,/sehr blau, nur blau"). Vor der Folie dieser historischen Ambivalenz gilt es, den Maßstab anzulegen, vor ihr gilt es zu bestehen, ein Selbst-Bewußtsein zu entwickeln. Und genau betrachtet, wie in dem Gedicht "Herakles und wir", gibt es keinen Grund sich zu schämen sicher, Herakles hatte die bessere Ausgangsposition. Fortsetzung auf Seite 4 Fortsetzung von Seite 2 Historisch interessant sind insbesondere die Schilderungen einer Reportagereise nach Graz, in die "Stadt der Volkserhebung", und der Konferenz im Floridsdorfer Arbeiterheim am 7. März 1938. Hier fand ein verzweifelter und - wie sich herausstellte - verspäteter Versuch statt, die verschiedenen illegalen Arbeiterorganisationen auf ein gemeinsames Vorgehen in der Abwehr Hitlers zu einigen. Heinz’ Darstellung verarbeitet autobiographisches Material, persönliche Erfahrungen, die für sein weiters Leben bedeutsam genug wurden, die zugleich Aspekte der objektiven Tragödie erhellen, in die das erzählende Ich eingebunden ist. Daraus ergibt sich zwanglos die Romanform. Heinz berichtet ohne unnötige Zutat rein aus der lebhaften Vorstellung des Geschehenen heraus. Eines der wenigen literarischen Dokumente über den März 1938, das aus der Perspektive der Arbeiterbewegung geschrieben ist. Karl Hans Heinz: Im Zwielicht. Roman aus der Endzeit Österreichs 1938. Wien: Literas-Universitätsverlag 1989. 172 S., 6S 150,-, DM 21,50. Theodor Kramer Jahrbuch "Zwischenwelt. ’Über Theodor Kramer hinaus und zu ihm zurück” ist der Titel des ersten Jahrbuches der Theodor Kramer Gesellschaft (Jahrbuch 1990), das Ende November im Verlag für Gesellschaftskritik erscheinen wird. Das Jahrbuch wird einen Umfang von ca. 240 Seiten haben und öS 180,- kosten. Nach langen Vorarbeiten ist es gelungen, einen sehr gehaltreichen Band zusammenzustellen. Den Anfang machen Erich Hackl, Michael Guttenbrunner und Elisabeth Reichart mit den bei der Theodor-KramerTagung 1988 gehaltenen Referaten. Auf einen Block mit literarischen Originalbeiträgen von Willy Verkauf-Verlon, Susanne Harpner, Anna Krommer, Hans Raimund, Janko Messner, Erich Fried und Konstantin Kaiser folgen Aufsätze von Murray G. Hall, Horst Jarka, Primus Heinz Kucher und Jörg Thunek- © ke, die das Werk Kramers unter verschiedenen wichtigen Aspekten erschließen. Auf Fragen des Exils und der Nachkriegsordnung gehen Uwe Naumann, Gerhard Scheit, Norbert Frei und Johann Holzner ein. Den Abschluß bildet eine auf den Stand gebrachte Liste der Sekundärliteratur zu Theodor Kramer.