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konnten die Herren wieder was verdienen. Die Industrie setzte auf Hitler. "Die Pfeffermühle" rief zum Widerstand auf. Sie appellierte an die Vernunft, den Anstand und die Menschlichkeit. Als die Nazis im März 1933 das Reichstagsgebäude in Brand setzten und Hindenburg Hitler die unbeschränkte Macht übertrug, da wurde es - zwei Monate nach der Premiere - aber auch für die Mitglieder der "Pfeffermühle" ernst. Therese Giehse hatte in aller Öffentlichkeit auf der Tatsache beharrt, daß nicht Kommunisten, sondern die Nazis selbst das Reichstagsgebäude in Brand gesetzt hatten. Therese Giehse sollte in der Nacht nach ihrer Premiere an den "Miinchner Kammerspielen", wo sie seit 1925 engagiert war, ins Konzentrationslager verschleppt werden. Magnus Henning, der das durch Bühnenarbeiter erfahren hatte, holte sie direkt von der Bühne nach Tirol, nach Leermoos, wo sie nach einer Übernachtung von Erika Mann, die schon zu ihren Eltern in die Schweiz vorausgeeilt war, abgeholt wurde. Über eineinhalb tausend bekannte Schriftsteller Deutschlands mußten nach dem Machtantritt des"großen Führers" in die Emigration. Heinrich Mann hat die Gründe für ihr Fortgehen formuliert: "Lieber gleichgeschaltet als ausgeschaltet, damit kann ein Bankier zur Not noch durchkommen, ein Schriftsteller nicht." Ein Teil des Kabarettensembles flüchtete nach Zürich und eröffnete dort im "Hotel Zum Hirschen" im Oktober 1933 "Die Pfeffermühle" aufs neue. Obwohl Therese Giehse ein Angebot vom Zürcher Schauspielhaus bekam, blieb sie als konsequente Antifaschistin bei der "Pfeffermühle", denn, so zitiert Magnus Henning sie: "Das Auftreten in der Pfeffermühle ist meine einzige Chance, wirksam gegen Hitler zu kämpfen." "Als Therese erkrankte, engagierten wir vorübergehend den Dichter Walter Mehring, der ebenfalls großen Erfolg hatte. Ohne dieses Engagement wäre er in Zürich verhungert. Auch andere Künstler bereicherten unser Programm. Beispielsweise die phantastische Grotesktänzerin Lotte Goslar", berichtet Magnus Henning. Aber auch in der Schweiz war Emigranten jede politische Betätigung bei Strafe des Ausgewiesenwerdens verboten. In Frankreich wurden Hitlergegner bei Kriegsausbruch gar interniert. Denn die westlichen sogenannten demokratischen Staatsführungen hatten "viel Respekt und Symphatie für das »Neue Deutschland«, worin ein so energischer Staatsmann wie Adolf Hitler mit beneidenswerten Erfolg für »Ruhe und Ordnung« sorgte". Es bedurfte daher einer Tarnung, wollte man die Menschen über die wirklichen Verhältnisse in Deutschland aufklären und zum Widerstand gegen Faschismus und Krieg aufrufen. Magnus Henning, der mit Erika Mann in den Nächten nach den Vorstellungen an den neuen Texten arbeitete, erzählt über den Trick dieser Tarnung: "Wir nannten das Kabarett literarisch-politisch, und unser Trick war, die Musik war schnulzig, ein bißchen kitschig, absichtlich, also so, daß es das Publikum gerne hörte. Nachher waren drei Strophen, die die Erika gemacht hat; die erste Strophe war immer über Natur, die zweite über den Menschen, und erst die dritte war scharf, da ging’s politisch. Das war so, daß wir in den ersten zwei Strophen das Publikum bekommen haben, da waren sie für uns. Zuerst die Natur, dann der Mensch, da waren die ganz befriedigt, und dann kam das Dritte, und das wurde politisch, da horchten sie auf. Das blieb ihnen am Schluß, wenn sie nach Hause gingen." So spielte "Die Pfeffermühle" in Zürich wochenlang vor ausverkauftem Haus. Hinter der literarischen Tarnung war sie verwegen politisch. Namen wurden nicht benutzt, doch wurde alles beim Namen genannt: Dummheit, Heuchelei, Betrug und Mord, der faschistische Terror und das eine große Verbrechen wider die Menschlichkeit. Magnus Henning erinnert sich: "Während aller drei Programme ist weder das Wort Hakenkreuz, das Wort Hitler, noch das Wort Nazi gefallen. Wir haben dagegen gesprochen, aber indirekt, durch die Blume. Der Hitler hieß dann eben »der Prinz vom Lügenland«." Auf die Auftritte in Zürich folgte eine Tournee durch die Schweiz. Sie wurde ein großer Erfolg, denn die Truppe bezog immer die besonderen Probleme der Region, in der sie gastierte, mit ein. Esbegeisterte die Schweizer, "daß die Ausländer am anderen Morgen immer schon alles wissen", berichtet Magnus Henning. Er hatte in der Früh die lokale Tageszeitung studiert, und Erika Mann hatte bis zum Abend die anliegenden Mißstände und Probleme der Menschen dort in die Conference mit eingebaut, mit Humor versteht sich. Das hat den Schweizern sehr gefallen - nicht allen natürlich. Denn auch in der Schweiz hatten die Nazis mächtige Verbündete, sodaß es im Herbst 1934 im Kursalon von Zürich zu einer Auseinandersetzung mit Angehörigen der Schweizer Nazipartei, den "Frontisten", kam. Heute denkt Magnus Henning lächelnd daran zurück: "Am Anfang ging alles gut, bis ein Stück kam, von der Giehse, das hieß »Der Wille«. Bei dem haben sie angefangen zu randalieren, haben gepfiffen und Krach gemacht, wie das so üblich ist. Denn, und das ist das Komische, es hat in er Vorkriegszeit einen General mit Namen Wille gegeben, und der war Anhänger der Frontisten. Die Leute haben geglaubt, es sei eine Parodie gegen ihn. Aber wir haben gar nicht gewußt, daß es diesen General gab, wir haben Hitler gemeint." Trotzdem führten die darauffolgenden Auseinandersetzungen im Zürcher Kantonalrat und die Proteste von Seiten der deutschen Botschaft in Bern zu Auftrittsverboten in verschiedenen Kantonen. Das Resultat war eine 1935 vom Kanton Zürich erlassene "Lex Pfeffermühle", die Ausländern verbot, mit politischen Texten aufzutreten. Der in Deutschland zur Macht gekommene Verbrecher galt ausländischen Behörden viel, die beharrlichen Empörer galten wenig, ja nichts. Sie waren die vaterlandslosen Gesellen, die Unruhebringer und rebellischen Naturen - heimatlos und entrechtet. "Die Pfeffermühle" konzentrierte ihre Tätigkeit daher auf andere Kantone der