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Stella Kadmon (1902 - 1989) 1902 als Kind jüdischer Eltern in Wien geboren; der Vater war Ingenieur bei der Donauregulierungskommission, die Mutter Pianistin. Mit 14 Jahren bestand sie die Aufnahmsprüfung an der Staatsoper zur Ausbildung als Ballettänzerin - daraus wurde jedoch nichts, sondern Stella besuchte weiter die Mittelschule und machte Matura. Danach stand dem Theater nichts mehr im Wege. Nach dreijähriger Ausbildung an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst (Lehrer waren Prof. Seidelmann, Frau Ella Arnau und Frau Bodenwieser) erhielt sie 1922 ihr erstes Engagement im Fach "Naive" in Linz. Nach mäßigen Erfolgen in einigen BoulevardStücken gelang ihr der Durchbruch als Schauspielerin in einem ganz anderen Fach, als Lulu in Frank Wedekinds gleichnamigen Stück. Als “jugendliche Salondame" nach MährischOstrau engagiert, lernte sie auch die muffigen Schattenseiten des Schauspielerinnenlebens in der Theaterprovinz kennen, wo die Prinzipale in der persönlichen Verfügbarkeit eine 1925 nach Wien zurückgekehrt, trat sie in kleineren Rollen an der "Neuen Wiener Bühne" auf. In dieser Zeit wurde die Theaterkrise’ spürbarer, immer mehr Schauspieler waren ohne Engagement; die Bekanntschaft mit Fritz Grünbaum, damals Conferencier im "Simpl", brachte Stella Kadmon zum Cabaret. Zunächst Auftritte im Cabaret "Pavillon" in der Walfischgasse und schließlich Engagements in München, Düsseldorf und Köln. Während eines Aufenthalts in Berlin, lernte sie in der "Katakombe" (Leitung: Werner Fink) ein anderes, modernes Kabarett kennen, das ohne spießige Plüscherotik und Schwiegermutterwitze auskam und durch ein politischliterarisches Programm faszinierte. Mit dem Vorhaben, ein intellektuelles Kabarett in Wien zu eröffnen, kehrte Stelle Kadmon 1930 zurück. Sie hatte zwar kein Geld, kein Theater und keine Konzession, war sich jedoch sicher, arbeitslose Schauspieler, Komponisten, Musiker und Autoren zu finden. Im Kellersaal des Café Priickl fand sich der geeignete Saal, der ihr ohne Miete auf Konsumationsbasis überlassen wurde; über Zeitungsredaktionen versuchte sie Autoren zu finden, lernte Peter Hammerschlagkennen, der bis 1934 als Hausautor wesentlich das Programm bestimmte. So eröffnete "die älteste Kleinkunstbühne Wiens", "Der liebe Augustin" im November 1931. Schauspielerkollektiv bedeutete dreierlei: Mitsprache der Schauspieler bei der Rollenverteilung; Anpassung des Autors und Komponisten an die Möglichkeiten der Darsteller; aber auch gemeinsames finanzielles Risiko. "Der liebe Augustin" brachte bis zum Machtantritt Hitlers und der Beseitigung der Demokratie in Österreich ein feuilletonistisch-verspieltes Programm mit Parodien, KurzdialoFortsetzung auf Seite 9 Stella Kadmon in Tel Aviv / Aus einem Interview Mein Bruder hat mir gleich gesagt, als er mich vom Schiff abholte, mit deinem Beruf kannst du hier nichts anfangen. Die deutsche Sprache ist bei öffentlichen Veranstaltungen nicht opportun. Man soll das auf keinen Fall machen, da macht man sich nur unbeliebt. Ich sagte: "Um Gottes Willen, ich kann doch nichts anderes." Aber er meinte, er hätte mir schon etwas anderes verschafft. "Du wirst massieren." Sage ich: "Ich kann doch nicht massieren!" "Aber", sagt er, "ich werde Dir das schon zeigen. Ich habe sehr viele Kunden, Männer, die auch ihre Frauen massieren lassen wollen, aber sie wollen keinen Mann als Masseur haben, sondern eine Frau. Und ich habe erzählt, daß meine Schwester bald herkommt, und die war in Wien die Masseurin vom Opernballett." (...) Gleich zwei Tage nach meiner Ankunft habe ich Maske’ fiir die Masseurin gemacht; habe mir ein Schürzerl genommen und ein blaues Kittl und bin um 7 Uhr früh auf den Rothschild Boulevard, eine Straße wie die Kärntnerstraße, eine sehr elegante Straße, wo lauter sehr reiche Leute leben. Bei der angegebenen Adresse macht mir ein Herr auf und sagt: "Sie seinen die Massagistin?" "Ja," sage ich, "mein Name ist Kadmon." "Ja, ja kommen Sie, Ihr Bruder hat Sie empfohlen." Und er führt mich in ein Schlafzimmer, wo eine Frau liegt, die war so breit wie das ganze Bett. Also entsetzlich dick! Wo soll ich da anfangen zu massieren, dachte ich, das ist ja ganz schrecklich. Ich habe halt die Füße angefangen zu reiben und zu massieren. Und sie hat immer nur gerufen: Ich spür nichts! Fester! Fester! "Aber gnädige Frau", sage ich, "ich bin doch die Masseurin vom Wiener Opernballett gewesen. Da darf man nicht fester massieren, sonst kriegt man blaue Flecken. Das muß ganz zart und leise gemacht werden, um die Zirkulation zu fördern." "Ah ja", sagt sie, "erzählen Sie mir keine Geschichten." Aber kurzum, die halbe Stunde war vorbei, ich war glücklich. Und sie sagt: "Also gehen Sie ins Badezimmer die Hände waschen." Und wie ich über das Waschbecken gebeugt stand, kam der Herr, zwickte mich in den Popo und sagt: "Männer massieren Sie nicht?" Das hat mir genügt. Ich habe sofort nein gesagt und hab dann das Geld bekommen, es war ziemlich viel, was da gezahlt wurde. Aber ich habe gesagt: "Lieber sterben, ich werde keine Masseurin, ich will das nicht, ich kann das nicht." (...) Durch Zufall habe ich einen Rechtsanwalt kennengelernt, der bei mir im "Lieben Augustin" Stammgast gewesen war, und der hat gesagt, er wird mich mit einem Herrn zusammenbringen, der wird mir viel, viel helfen. Ein gewisser Sammy Gronemann. Das war ein Liebling bei den ganzen deutschen Juden, weil er schon vor vielen Jahren, noch zur Zeit vom Theodor Herzl, hat er für die Gesellschaft, die Boden gekauft hat, gesammelt. Er hat gesagt: ’Schaut, daß Ihr Geld für Palästina habt und investiert einen Teil Rures Geldes. Wie dann der Hitler in Deutschland gekommen ist, konnten sie nach Palästina: a) konnten sie sich ein Kapitalistenvisa kaufen, b) hatten sie unten Geld. Das hatten sie dem Sammy Gronemann zu verdanken. Er war so ein witziger alter Herr, er war schon 65 Jahre und hat kein Wort hebräisch können, natürlich.