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DER "FALL" ARNOLT BRONNEN Im Oktober 1989 (zum 30. Todestag) sind im Ritter Verlag (A-9020 Klagenfurt, Alter Platz 25/22) "Werke in. 5 Bänden" von Amolt Bronnen erschienen (insgesamt 1.820 Seiten zum sehr günstigen Gesamtpreis von öS 990,-). Unter dem Titel "Sabotage der Jugend. Kleine Arbeiten 1922 - 1934" sind in dieser Werkausgabe nicht enthaltene Texte in der Reihe "Innsbrucker Beiträge. Germanistik Bd. 37" (Institut für Germanistik, A5020 Innsbruck, Innrain 52; ös 396,-) herausgekommen. Diese Publikationen liegen uns noch nicht zur Besprechungvor, wohl aber zwei andere, die wesentliche Aufschlüsse über Amolt Bronnen bieten. Friedberg Aspetsberger, Universitätsprofessor in Klagenfurt und Herausgeber der Bronnen-Werkausgabe, hat sich bereits in mehreren Aufsätzen mit der umstrittenen Rolle Bronnens und der Deutung seiner Nachkriegsdramatik auseinandergesetzt. Der "Fall" Bronnen beschäftigte schon 1947 die Kulturzeitschrift "Plan". In einer Leserzuschrift hieß es da, Bronnen habe "immer und aufs heftigste in bedenkenloser Weise alle geistigen Tendenzen bekämpft und lächerlich zu machen versucht, die für eine Humanisierung der menschlichen Gesellschaft eingetreten sind". Erinnert wurde an seine vergeblichen Versuche, seine teilweise jüdische Abstammung zu verwischen, an die von Ossietzky und Tucholsky gegen ihn geführte Polemik, an seine Symphatie fiir eine Art ’Nationalbolschewismus’, die ihn in die Nähe der Nationalsozialisten brachte, und die ihm als Kollaboration mit dem NSRegime (so Oscar Pollak) ausgelegt wurde. Dem wurde schon damals entgegengehalten, daß Bronnen 1935 vom Rundfunk in Berlin entlassen, 1937 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen wurde, daß er sich 1943 der österreichischen Widerstandsbewegung angeschlossen hatte und von ihr 1945 sogar für zwei Monate als Bürgermeister in Goisern eingesetzt wurde. "Bronnen: O.Ö." hieß das von Aspetsberger zusammengestellte Doppelheft der "Vierteljahresschrift" des Adalbert-Stifter-Instituts (Linz), in dem er sich bemühte, Bronnens Aufenthalt in Oberösterreich, von 1943 bis 1951, durch dessen eigene Schriften, durch Zeugnisse von Zeitgenossen (Karl Kleinschmidt, Franz Kain, Edwin Zbonek u.a.) in einer breit dokumentierten Spurensuche zu erhellen. Aspetsberger erbrachte den Beweis, daß die Wandlung Bronnens vom Symphatisanten eines diffusen ’Nationalbolschewismus’ zu einem bewußten Nazi-Gegner, der sich schließlich den Kommunisten anschließt (deren Anerkennung er außerhalb Oberösterreichs nicht finden wird) nicht das Produkt einer nachträglich vollzogenen kosmetischen Übung war. Zugleich verweisen Aspetsbergers eigene Ausführungen unter dem Titel "Verhörtes Leben" - auf einen über Bronnen hinaus typischen Zug der Nachkriegszeit. Da wird einerseits jeder auf seine "Vergangenheit’ abgeklopft, bestimmten Kategorien zugeordnet, andererseits ist niemand bereit, dem, der von seiner Erfahrung und Wandlung sprechen will, zuzuhören. Die bürokratische Entnazifizierung schneidet die Diskussion über die Motive, die weltanschauliche Entwicklung von vornherein ab. Nicht einmal ein therapeutisches Interesse an den verzweifelten, die ihr heillos zerrissenes Leben neu zu fügen hoffen, läßt sie aufkommen, Bronnens Autobiographie "Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll. Beiträge zur Geschichte des modernen Schriftstellers" kämpft um das Menschenrecht, von den anderen nicht nur als fertiges Resultat, sondern als Prozeß wahrgenommen zu werden, indem sie die Verhörsituation zum Bekenntnis, zur Konfession ausdehnt. (Ein in sich widersprüchliches, doch konsequentes Unterfangen.) Es ist kein Zufall, daß es Gerhard Scheit in seinem wichtigen Buch "Am Beispiel Brecht und Bronnen: Krise und Kritik des modernen Dramas" gelingt, in bisher unerhörter Weise der Problematik von Bronnens künstlerischem Schaffen näherzukommen. Zum einen führt dieses Buch die sogenannte ’Expressionismus-Debatte’ des antifaschistischen Exils weiter (für die das Verhalten von Expressionisten wie Gottfried Benn und eben Bronnen dem Faschismus gegenüber der auslösende Schock war). Die Weiterführung vollzieht sich in durchaus aufgeklärter Weise, nicht als das Aufwärmen alten Zanks, wohl aber in dem Verstand, daß das simple Verwerfen der damals aufgeworfenen Fragen zu einer Enttheoretisierung der Literaturwissenschaft führen muß und in der Tat auch geführt hat. Damit ist zum anderen das theoretische Interesse, das den Ausgangspunkt Scheits bildet, angesprochen. 11 Arnolt Bronnen (Wien 18.9. 1895 - Berlin/Ost 12.10. 1959) studierte in Wien Jus und Philosophie, war 1915 - 19 Soldat, wurde schwer verwundet, geriet in Gefangenschaft. Vom Februar 1920 bis 1943 lebte er in Berlin; mit dem Skandal und Erfolg von "Vatermord" (Uraufführung durch die "Junge Bühne", Regie: Berthold Viertel, 14.5. 1922) wurde er berühmt. 1921 - 23 Freundschaft mit Bertolt Brecht, der sich auch später nie von ihm distanziert. Seit 1925 mehr und mehr in NSKreisen; Bekanntschaft mit Joseph Goebbels. 1928 - 35 Hörspieldramaturgie beim Reichssender Berlin; 1935 entlassen, 1937 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. 1943 Rückkehr nach Österreich, Bad Goisern (Steiermark, Salzkammergut), Verbindung mit der Widerstandsgruppe um Sepp Plieseis. 194/45 Militärdienst in Znaim. Mai - Juli 1945 Bürgermeister von Goisern, 1945 - 51 Kulturredakteur der Neuen Zeit (Linz), 1951 - 55 Dramaturg beim Neuen Theater in der Scala (Wien). 1955 Übersiedlung nach Berlin/Ost, Kritiker der Berliner Zeitung. Wichtige Werke: Vatermord (Drama, 1929), Die Geburt der Jugend (Drama, 1920), Anarchie in Sillian (Drama, 1924), Rheinische Rebellen (Drama, 1925), Ostpolzug (Drama, 1926), Film und Leben. Barbara La Marr (Roman, 1928), O.S. (Roman, 1929), N (Drama, 1948), Die Kette Kolin (Drama, 1950), amolt bronnen gibt zu protokoll (Autobiographie, 1954).