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Vor mir liegt ein Schreiben, das anscheinend von offizieller Seite alle im Ausland lebenden Österreicher erhalten. Unterzeichnet von Herrn Fritz Molden, der sich als deren bestallter Vertreter ausweist. Er bezeichnet sich als „unparteiisch“ und bittet anschließend sogleich um Hilfe angesichts der „ungerechtfertigten Verfolgungen“, denen Österreich (er meint offenbar die Proteste gegen die blau-schwarze Regierung!) in der Welt ausgesetzt sei. Freilich sei er diesbezüglich optimistisch. Denn Österreich habe schon schlimmeres Unheil: die Hunnen und die Awaren, die zwei Weltkriege (wer hat den ersten eigentlich überhaupt begonnen?), die Nazis und schließlich „die sowjetische Besetzung“ (Waren es der Besatzungsmächte nicht etwa vier, und hatten diese nicht zunächst einmal Österreich befreit?) „mit Gottes Hilfe“ glücklich überstanden. Zugleich erhielten wir ein Schreiben der Frau Außenminister Benita Ferrero-Waldner. Auch sie protestiert gegen die „Anfeindungen“, wobei sie sich wohlweislich nur auf diplomatische Boykott-Maßnahmen bezieht und nicht auf die weltweite Solidarität der Völker, die infolge des Heraufziehens neofaschistischer Gefahr beunruhigt sind und im Widerstand der demokratischen Kräfte Österreichs die Verteidigung ihrer eigenen Interessen sehen. Frau Ferrero-Waldner hebt hervor, daß bei der Bildung der blau-schwarzen Regierung alles rechtmäßig zugegangen sei. Obgleich man auch behaupten könnte, daß dies nicht vollkommen stimmt. Denn sehr viele Wähler der ÖVP haben dieser gerade als einer Alternative gegen Haider ihre Stimme gegeben; und keineswegs die Vollmacht, hinter ihrem Rücken dann zusammen mit ihm die Regierung zu bilden. In extenso zitiert ist auch die (offenbar auf Betreiben von Präsident Thomas Klestil zustande gekommene) Regierungserklärung, welche die Bewahrung der Menschenrechte vorsieht. Unerwähnt hingegen ist der bereits im Gange befindliche Angriff gegen die Kultur (die Dr. Haider ganz offen als parasitär bezeichnete); gegen die so schwer errungenen Rechte der Frauen und der Jugend, sowie der Haß gegen die Ausländer und „Andersartigen“, der trotz aller Beteuerungen unterschwellig aktiv ist. Als Beispiel kann die Terrorkampagne gegen die evangelische Bischöfin und ehemalige Präsidentschaftskandidatin Gertraud Knoll dienen, deren „Verbrechen“ darin bestand, ihnen gegenüber Güte und Toleranz zu empfehlen. Ich war von Anfang an gegen die Sanktionen fremder Staaten. Erfahrungsgemäß geben diese nur der inneren Reaktion die Handhabe, um sich als „Sachwalter der Souveränität‘ aufzuspielen. (Wie es ja auch im Falle Waldheim geschah.) Etwas ganz anderes ist die Mobilisierung der demokratischen Kräfte in der Welt. Hiebei haben wir auch in Argentinien etwas ganz Beachtliches zustande gebracht. Und in anderen Ländern, z.B. in Belgien, Frankreich und Deutschland geschah ebenfalls so manches. Vor etwa zwei Jahren, als Frau Ferrero-Waldner noch nicht Minister, sondern nur Staatssekretärin im Außenministerium war, stattete sie Argentinien einen Besuch ab. Da hielt sie einen Vortrag über Österreichs Außenpolitik. Mir fiel auf, daß die doch recht wichtige, verfassungsmäßig garantierte, immerwährend und aktive Neutralität des Landes nicht oder kaum er4 wähnt wurde. Als ich eine diesbezügliche Frage stellte, beugte sie sich zunächst zu Botschafter Dr. Kriechbaum, der neben ihr auf dem Podium saß. Offenbar wollte sie wissen, wer denn dieser sonderbare Kauz sei, der so vorlaute Fragen stellte. Schließlich erklärte sie, daß ihrer Partei, der ÖVP, die Neutralität allerdings nicht zusage, daß aber die andere Regierungspartei, die Sozialdemokratische, sich da jeder Änderung widersetze. Jetzt ist dieses Hindernis allerdings beseitigt. Dr. Haider hat oftmals die Neutralität Österreichs „aufgezwungen“ genannt. Inzwischen ist das Bündnis Haiders mit den Kräften der Rechten in Deutschland, z.B. mit den Landes-Ministerpräsidenten Stoiber und Rüttgers längst offenbar, und von dem schnellen Erstarken des Neonazismus im großen Nachbarland weiß man ebenfalls. Die deutsche Bundeswehr ist bereits wieder außerhalb der Grenzen des eigenen Landes eingesetzt worden. So kann auch Österreich, innerhalb oder außerhalb der NATO aber jedenfalls an der Seite deutscher, revanchistischer Kräfte, in ein Kriegsabenteuer hineinschlittern. Es haben mich also die beschwichtigenden Beteuerungen des Herrn Molden und der Frau Ferrero-Waldner durchaus nicht überzeugt. Um so ernster nehme ich die Bitte um Hilfe, die angesichts zunehmender Diskriminierung und Bedrohung von seiten demokratischer Organisationen und Gruppen Österreichs (IG Autorinnen Autoren, Informationszentrum gegen Gewalt, Frauen-Netzwerk, Demokratische Offensive, Wiener Israelitische Kultusgemeinde, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Theodor Kramer Gesellschaft u.a.) zu uns gelangt. Wir wären weniger besorgt und deshalb wohl auch weniger aktiv, wenn wir das Geschehen in Österreich nicht als bloßes Symptom einer weltweiten, tödlichen Krankheit begriffen: einer Strukturkrise, der dunkle Kräfte mit neofaschistischen „Lösungen“ begegnen möchten. Zuerst in gekürzter Form als Leserbrief erschienen in: Argentinisches Tageblatt. Wiedergutmachung: Über die österreichische Postsparkasse wurden Alfredo Bauer im Juni 2000 US Dollar 100,- (ca. öS 1.500, -) als „Wiedergutmachung“ für zugefügtes Unrecht überwiesen. In seiner Empfangsbestätigung schreibt Alfredo Bauer: „Eine echte moralische und materielle Wiedergutmachung steht weiter aus, abgesehen davon, daß sie ja von der Regierung Österreichs und von den Personen, Instanzen und Firmen, die uns moralisch und materiell geschädigt haben, ausgehen müßte. Es wäre nur logisch gewesen, eine solche Überweisung als Affront zu betrachten und zurückzuweisen. Ich habe mich aber entschlossen, sie dennoch anzunehmen, wenn auch nicht zu behalten. In Argentinien ist die Bewegung der Verteidigung der Menschenrechte stark und aktiv. Sie übt auch Solidarität mit den demokratischen Kräften Österreichs, die der blauschwarzen Regierung und der steigenden neofaschistischen Gefahr Widerstand leisten. Ich habe die empfangene Summe also dorthin weitergeleitet.“