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nalsozialismus und dessen Verbrechen in aller Deutlichkeit und mit allen Konsequenzen aufzuzeigen, so wenig darf diese Aufarbeitung zu Lasten der im Widerstand und im Exil Tätigen gehen. Wir brauchen nicht wirklich zu befürchten, dass die Opfer und Gegner, die Verfolgten und Vertriebenen politisch instrumentalisiert werden können, dass sie als Argument zur Abwehr der österreichischen Täterrolle und daraus resultierender Ansprüche benützt werden. Dieses „andere Österreich“ eignet sich nicht zur Vereinnahmung durch die heute Regierenden; das Österreich der Exil- und Widerstandskultur ist das Gegenteil einer Politik, die Bildung und Wissenschaft kaputtspart, und von jenen, die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, politische Kultur und Rechtsstaat systematisch zu demontieren versuchen. Ich bin gewiss: Die österreichische Exilforschung lässt sich nicht in den Dienst einer billigen Imagepflege stellen; sie wird auch in Zukunft jenen Menschen verpflichtet sein, die, verletzt und verjagt, ein anderes Österreich repräsentierten, das Österreich der Kultur, der Humanität und des Antifaschismus. Zuletzt bleibt mir nur, Siglinde Bolbecher und Konstantin Kaiser zu ihrem Werk, einem Markstein der Exilforschung, zu gratulieren und sie zu ermuntern, in dieser wichtigen Arbeit fortzufahren. Vorerst möchte ich herzlich dafür danken, daß ich, obwohl ich auf dem Felde der Exilliteratur mich nennenswerter Arbeiten kaum rühmen kann, hier das Wort ergreifen darf; ich tue dies in einer gewissen Anmaßung, stellvertretend, und auch das ist eine Anmaßung, für Kolleginnen und Kollegen, die NutznieBer dieses Buches sein werden. Denn wie die Autoren mit gutem Grund feststellen: Die österreichische Literatur ist ohne die Autoren, die ins Exil gejagt oder die vom NS-Regime verfolgt wurden, so gut wie nicht existent. Gnade dem deutschen Geist, wenn man den jüdischen von ihm abzöge, schrieb Nietzsche; Gnade der österreichischen Literatur, ohne ihre Exilierten und Verfolgten! Diese Literatur war es auch, die Österreich nicht selten in seiner Besonderheit und Eigenart, auf jeden Fall in seiner Selbständigkeit wieder erstehen ließ, und es war nicht das Werk jener, die sich versteckten und nachher sagten, sie wären immer schon für die Unabhängigkeit Österreichs eingetreten. Die junge Literatur nach 1945, die nicht das Maß an jenen nehmen konnte, die Opfer dieses Regimes wurden, hat erst so zu sich selber finden können, und ihre beachtliche Stärke schreibt sich wohl von daher, daß sie diese Tradition der Verbannten, der Exilierten, der Verfolgten, der Vergessenen für sich entdeckte. Zuerst galt es, eben diese Literatur zu entdecken, der es nicht vergönnt war, sich in Österreich oder Deutschland Gehör zu verschaffen. Einen Leitfaden stellt das eben erschienene Lexikon dar — wir können solche Entdeckungen nicht ohne einen enzyklopädischen Anspruch machen, auch wenn wir wissen, daß wir diesem Ganzen nie genügen werden. Wer aber weiß, wie schwer die Zusammenstellung der Daten ist, sei es das richtige Geburtsoder Sterbedatum zu eruieren, sei es die genauen Werktitel mit Erscheinungsjahr anzugeben, wer sich in den haarigen Fragen des Bibliographierens versucht, und das oft an Texten, die nicht im regulären Buchhandel zu haben waren, wer schließlich auch noch die literarische Bedeutung kurz charakterisieren will — der muß höchsten Respekt vor dieser Arbeit haben. Hier ist das Notwendige getan und das Überflüssige vermieden. Einer kritischen Lektüre, soweit ich diese in den letzten Tagen durchführen konnte, hält dieses Buch gerade im Bibliographischen stand; es imponiert, wie hier mit größtem Einsatz Abgelegenes gesucht und gefunden wurde, wie vor allem die Bemühung der anderen Forscher wahr- und ernst genommen wurden, wie das Vorwort die Prinzipien der Auswahl klar umreißt und nicht engherzig die einen ausschließt; nur um die selbst Geliebten aufzunehmen. So findet man auf der einen Seite Paula von Preradovic, und der übernächste Eintrag gilt Eva Priester. Das ist nicht die so beliebte Gleichmacherei des Unterschiedlichen vor dem Allgemeingültigen des Alphabets, sondern Ausdruck einer Gesinnung, die dem so unterschiedlichen Material und den zugleich durch den Begriff der Verfolgung verbundenen Persönlichkeiten gerecht werden will. Ich habe in dem Buch gelesen, und ich gebe gerne zu, daß diese Lektüre für mich manche Romanlektüre ersetzte. Hier wird von einem aufs andre Mal doch eine Unzahl von Verbindungen erkennbar, ein Hintergrund freigelegt, der bis heute von Wichtigkeit ist. So verwandelt sich das, was zur Spurensicherung diente, durch den trockenen Zugriff der Lexikographen in eine knappe Erzählung, die der Leser mit seiner Phantasie auffüllen kann. Es ist gewiß müßig zu betonen, daß ein solches Buch gerade in diesen Tagen, ich meine die Tage seit dem 4. Februar dieses Jahres, von besonderer Wichtigkeit ist. Es erinnert, es erinnert genau an das, was da passierte, und macht jene unglaubwürdig, denen die Phrasen von der Wiedergutmachung und der Notwendigkeit der Aufarbeitung von Geschichte so leicht über die Lippen gingen, wenn es opportun ist, die aber doch vorher ganz unverschämt von der österreichischen Nation als einer „ideologischen Mißgeburt‘ sprachen und manche als Ehrenmänner bezeichneten, die dieses Attribut fürwahr nicht verdienen. Solche Phrasen werden gerade durch ein solches Buch kenntlich — eine Botschaft, die explizit nirgends angesprochen wird, die aber jene vernehmen, die zu lesen verstehen.