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entscheidend geprägt. Selbstbehauptung und der Mut zur Fortsetzung der künstlerischen Tätigkeit kennzeichnen fortan Rossis Lebenslauf, bewährten sich besonders während des Exils. Nach dem Abitur wählte sie ein für Frauen damals noch ungewöhnliches Studienfach, die Philosophie und, promovierte mit einer Dissertation über den Einfluß des Darwinismus auf die Ethik. Ein Angebot für eine Assistentenstelle mit Aussicht auf Habilitation schlug sie aus. Inzwischen hatte sie begonnen, Gedichte und erste Dramen zu schreiben, arbeitete für das Radio und dachte über eine künstlerische Laufbahn nach. Während der Arbeit an ihrer Dissertation, hatte sie den Lehrer der Wiener Handelsakademie Dr. Oswald Rossi kennengelernt. Seine Familie stammte ursprünglich aus Italien, war protestantischer Konfession und lebte in der zweiten Generation in Wien. Im Juni 1915 ließ sich das Paar kirchlich trauen. Nach der Hochzeit zogen die Rossis in den dritten Wiener Bezirk, Erdberger Lände Nr. 22, wo sie bis zur Emigration lebten. 1917 wurde ihr einziger Sohn, Harald, geboren, der bis zu seinem Tode im Januar dieses Jahres 2000 in den USA als Physiker arbeitete und lehrte. Mit der Heirat konvertierte Hedwig Rossi, trat aus dem Judentum aus. Nach 1938 galt die Ehe nach den der Nürnberger Rassegesetzen als „Mischehe“. Über Rossis Beziehung zum Judentum finden sich in ihrem Nachlaß keine Aussagen. Unter ihren Stücken ist Der Fall Calas das einzige, in dem sie Unterdrückung und Verfolgung Andersgläubiger thematisiert. Ihr eigener Lebensweg spiegelt sich in dem Schauspiel The Naturalization of the Gersunis und in zwei unveröffentlichten Romanmanuskripten. Auch in diesen literarischen Verarbeitungen bleibt die Beziehung zum Judentum im Hintergrund. Ihre ersten Gedichte veröffentlichte Rossi in den frühen 1920er Jahren. Als erstes Theaterstück wurde das Künstlerdrama Sieben Jahre und ein Tag 1924 im Stadttheater in Wien aufgeführt. Die Geschichte eines jungen Musikers, der nach sieben Jahren der Irrwege zu seiner wahren Berufung zurückfindet, wurde in den Wiener Tageszeitungen überwiegend positiv besprochen. Im Neuen Wiener Tagblatt wurde sie gar als „Stern am deutschen Dramenhimmel‘“ bezeichnet. In den folgenden Jahren schrieb Rossi weitere Dramen, Radiohörspiele sowie Erzählungen und fand erste öffentliche Beachtung. Einzelne Szenen aus ihrer Tolstoi-Tragödie und ihrem Ghandi-Drama Chauri-Chaura, beide 1928, veröffentlichte sie in der Wiener Arbeiter-Zeitung. Dort erschienen auch die meisten ihrer autobiographisch geprägten Kindheitserzählungen, die sie später in dem Band Das Mädchen Kaja zusammenfaßte. Das Hörspiel Goldgräber wurde erstmals im März 1933 in Wien gesendet und im Wiener Tag wohlwollend beachtet”. Ihren größten künstlerischen Erfolg vor dem Exil hatte Rossi mit ihrem Voltaire-Stück Der Fall Calas, das 1934 mit dem Julius Reich-Dichterpreis ausgezeichnet” und im April 1937 unter dem Titel Wer kämpft für Calas? am Deutschen Volkstheater in Wien vom Ensemble der „Österreichischen Volksbühne“ unter Walter Firner uraufgeführt wurde. Das Drama behandelt Voltaires Kampf um die Wiederaufnahme und Revidierung des historischen Prozesses um den zu Unrecht verurteilten und hingerichteten Hugenotten Calas im Jahr 1762. Eine Besprechung in der Neuen Freien Presse vom 27. April 1937 lobte Rossis Kenntnisse des dramatischen Aufbaus und ihr „Talent zur Charakterisierung“. Selbst Thomas Mann urteilte positiv: „Der Versuch, berühmte Männer auf die Bühne zu stellen, glückt nicht oft, und das Problem der Gerechtigkeit, um das es in Ihrer Dra Selephon: Nr. B-31-0-37 Telephon: Nr. Be31:0:37 _ Veranstaltung der Osterreichischen Volksbühne Leitung: Walter Firner In der Reihe der Uraufführungen österreichischer Autoren: Wer kämpft für Calas? Schaufpiel in fünf Alten (fechs Bildern) von Hedwig Nofji Regie: Walter Firner Bühnenbilder: Franz Unger Voltaire oo oo onen ee an ans Frank Herzog v. Midelien ee Een Sorten Pater Udam oe ee Hugo Ried! Grau Denis oo on Elfe Gart raw, Calas. ua a ee Gertr. v. Alaftersky Pierre Calas . si BAG Ff Ee SS Bbw fs we Guftav Sillinger ; David: be: Beaihtigue : ee sg ee te ol aa aes Rothar Rewalt Pater Bourges 2.000 on ee en Mihat Popescu De fa Galle we ee ee pas Sofef Kuajtl oily ie a ea is ek RE he ae we ee Eric) Pohlmann Chirac... eho wal eo ghe Qala 5 bE BS ee Gd ak ace Franz Poforny Parlamentsfdreiber mu a mE Rw wR Ee Friedrid Links Gerichtsbote 2 >... Robert Gut Claivon, Schaufpielerin 2 2 2 Kann 2... Hella 2. Berne Lamoignon, Gerichtspuäfident 2... Karl Skraup De Beaumont). wis co diye wk the ew Geer ed wt Ludwig Blaha Rad) dem vierten Bild eine größere Panfe Koftiime: Alphons Schwarz und Berta Ragin Die Räume des Theaters werden mit „Pichtolin“ desinfiziert Vorverkauf von 9 Uhr früh ununterSroden an den La im SI ä ul b Lagestafjen im Sheatergebäude (VIL, Mufeumftraße) una in Oskar Gronners Kartenzentrale, 1., Graben 28, fowie in alan ae uknz zu Oviginalpretfen BRSTOOERSBERGBTDIUERNERBNIRTLEÜBRUNUGHOUNNNERDERUUKDUBUUGHNERURERERKLLENIS spBABARUSUHDBRUENTEUNGAUNBRANHRNNRENARENGHUNBUEBUUDKORUUULSUHLAUNNUUNLUNUNNEE NZ = UUUGTAULOATOOATAUTEOAAUEAUUCEOUEONAEROUESOUAUOUEGUAUAYEDEGUOLALEOROGEEOLEGUIEAES Theaterzettel, Wien 1938 matisierung des Fall Calas geht, beschwört die doppelte Gefahr des Tendenziösen und des Doktrinären.‘® In seiner Grundidee, dem Kampf für das Recht des Menschen gegenüber der Staatsgewalt, kann Rossis Voltaire-Drama noch heute als aktuell gelten. Das Schauspiel enthält zahlreiche historische Bezüge zu den politischen Ereignissen in Deutschland und Österreich während des nationalsozialistischen Terrorregimes. In der Verfolgung der Hugenotten wegen ihres Glaubens in Frankreich fand Rossi eine Parallele zu dem, was den Juden in Deutschland geschah und in Österreich nach einem „Anschluß“ drohte. In Voltaire, der die Aufklärung verkörpert, führt Rossi Toleranz als grundlegendes menschliches Ideal innerhalb einer zivilisierten Gesellschaft vor. „Daß Menschen andre zwingen wollen, wie sie zu denken! Daß sie einander deswegen umbringen! Wenn es noch Giftmischer und Raubmörder wären! aber weil der eine anders denkt als der andre!“ In der Haltung Voltaires zeigt Rossi auch, wie sie ihre eigene Position als Schriftstellerin in schwierigen politischen Verhältnissen verstand, die sie selbst schließlich zur Emigration aus Österreich zwangen. Nach der Aufführung des Stücks konnte Rossi in Wien nicht mehr ungefährdet arbeiten. In einem Brief an Thomas Mann von 1940 schreibt sie: „Wenige Monate vor dem Zusammenbruch Österreichs wurde mein Voltaire-Drama Wer kämpft für Calas im Deutschen Volkstheater aufgeführt. Es war schon damals nicht mehr leicht, ein Stück auf die Bühne zu bringen, das gegen Fanatismus und Intoleranz gerichtet war.‘® Hedwig Rossis Entscheidung zur Emigration wurde, so läßt sich aus Dokumenten im Nachlaß schließen, von der Sorge um die Zukunft des Sohnes und von der Tätigkeit als Schriftführerin der „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“ beeinflußt. Diese Organisation stand der Sozialdemokratischen Arbeiter15