OCR
nieder, wurde neu verarbeitet. Assia Djebar ist bewegt vom Gedanken, daß Picasso in kühnen Linien das Unglück und die Bitterkeit sprengt, die von dem Bild ausgehen. Hier gilt für Djebar das, was sie einer ihrer Heldinnen in den Mund legt: „Ich sehe für die arabischen Frauen nur eine einzige Möglichkeit, etwas in Gang zu bringen: reden, unablässig reden, über das Gestern und Heute, unter uns Frauen reden, in allen Frauengemächern, in den traditionellen ebenso wie in den modernen des sozialen Wohnungsbaus. ... Nach draußen blicken, die Welt außerhalb der Mauern und Gefängnisse betrachten. Die Frau als Blick und die Frau als Stimme.“ Ein von Assia Djebar geplantes „Quatuor“ (eine Art „Arabian Quartet“) über Geschichte und Gegenwart des Maghreb nimmt in den folgenden Jahren Form an. Der erste Band „Fantasia“ ist eine faszinierende Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte Algeriens und Frankreichs, Eroberung und Unterwerfung ab 1830. Aufstände flackerten immer wieder auf, die Repression blieb nicht aus, gleich der Fantasia, diesem wilden Reitertanz. „Fantasia“ ist ein faszinierendes Geflecht aus unterschiedlichen Erzählformen. Schilderungen, die immer wieder zur bitteren Klage und zum Schrei der Empörung anschwellen: Die blutige Kolonisierung Algeriens, autobiographische Skizzen aus der Welt des Harems, Berichte der Mütter und Witwen über die Befreiungskämpfe, schließlich die Erinnerungen Paulines, einer von Paris nach Algerien deportierten Aufständischen des Jahres 1848. Assia Djebar folgt hier der Geschichte ihres Landes bis herauf zu den eigenen Kindheitserlebnissen. Wie sah man im Dorf, in den gut abgeschirmten Innenhöfen der Häuser die angesiedelten Franzosen, die Beamten, die das ,,Mutterland“ jenseits des Meeres repräsentierten? Exkurs: 1962. Meine Pariser Gastgeber besitzen ein kleines Kaufhaus: „Le Soldat Laboureur“ (Der Soldat als Ackermann). Man erklärt mir den Ursprung des Namens, der in der Kolonialgeschichte wurzelt: Die zur Eroberung nach Algerien gesandten französischen Militärs sollten dort Fuß fassen, sich im Agrarsektor niederlassen, das Land befrieden. Man gab ihnen Acker, durch sie sollte sich das ,,Mutterland“ in der afrikanischen Erde einnisten. Im zweiten Quatuor-Band „Die Schattenkönigin“ stellt Assia Djebar stilistisch formvollendet zwei Frauentypen einander gegenüber: die emanzipierte, westlich orientierte Isma und die traditionell erzogene Hajila. Sie sind nacheinander mit dem selben Mann verheiratet. Isma entflieht bald dem Ehejoch. Unerwartet ist jedoch die Entwicklung Hajilas, die zunehmend den Kampf um ihre Freiheit aufnimmt, was zuerst einmal unbegleiteten Ausgang und Ablegen des herkömmlichen Haik, des großen weißen Schleiertuches, bedeutet. Fragen der algerischen Aktualität holen Assia Djebar bald ein. Mit „Fern von Medina“ unterbricht sie ihr „Quatuor“ und geht plötzlich 14 Jahrhunderte zurück. Diese Chronik ist ihre literarische Reaktion auf die beginnende Einflußnahme der Integristen in Algerien. Fatima, die Tochter, und Aischa, die Gattin Mohammeds, Selma, die Beduinenfürstin, Sadja die Dichterin... die Frauen, die in diesem Buch zum Leben erweckt werden, haben wirklich existiert. Sie sind nicht alle Mosleminnen, auch Christinnen, Anhängerinnen abtrünniger Sekten sind darunter, alle aber leben in der von Nachfolgekriegen geprägten Umbruchzeit nach dem Tod des Propheten, der „Periode der vier Kalifen“. Alle ergreifen an einem Punkt ihres Lebens autonom und selbstbewußt aufsehenerregende Initiativen. Djebars Beitrag zur Abwehr des fundamentalistischen Auftrumpfens mit seiner neuerlichen Eingrenzung weiblicher Aktivitäten erfordert von der Leserin, vom Leser einige Konzentration, weil sich ihr Stil mehr noch als sonst vom Rhythmus alter islamischer Schriften und Überlieferungen tragen läßt, die sie intensiv studiert hat. Der Übersetzer dürfte es hier nicht leicht gehabt haben. Wem die Welt des Islam unbekannt ist, der bedarf bei diesem Buch anfangs einiger Gewöhnung. Exkurs: Neunziger Jahre, Wien. Assia Djebar referiert in der „Alten Schmiede‘ über ihr Werk. Ich bitte sie um ein Gespräch. Kurze Zeit später treffe ich die Autorin in Paris, in ihrem Stammcafé am Boulevard St. Germain. Den Widerhall des Algerienkrieges mit seinen letzten Zuckungen — Bomben, Verhaftungen, Morde — hatte ich selbst noch erlebt. Aber erst nach der Lektiire von ,,Fantasia“, Assia Djebars wohl herausragendstem Buch, begreife ich die jahrhundertlange Vorgeschichte. Assia Djebar: „Ich wollte darin von meiner Kindheit sprechen, von gewissen Phasen meines Lebens. Mit Einschüben einer Chronik ganz Algeriens. Vor allem das Algerien der Frauen, aber doch ganz Algeriens und das Verhältnis zwischen Frankreich und Algerien. Der eigentliche Titel ,L’ Amour la Fantasia‘ bedeutet die Welt der Frauen und der Männer, die 19