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Cancün, über Regenwälder gelandet. Mit dem Bus — vorbei an Islas Mujeres (ein Teil der Insel den Touristen, der andere Baracken), alle Orte Mexikos hinunter, nach Belize, Tikal. Die Grenze: Guatemala. Das Land, das ich suche. Sprachkurs in den Höhen Quetzaltenangos, erstes Erfühlen, Kennenlernen, Ausbruch Richtung Nicaragua, Cornislands, zurück Guatemala. Es wartet ein Dorf. Zwei Flüsse, fünf Vulkane, 300 Einwohner, aus drei Gebieten Mexikos im Juli 98 mit der letzten Flüchtlingsvereinigung zusammengebracht. Vom Westen oberhalb Guatemalas, vom Süden Chiapas, vom Norden um Mexico Ciudad, von einem Gebiet neben einen Vulkan, hier soll es Schnee geben. Die einen meinen, es ist zu heiß hier, San Vicente EI Baul, die anderen, zu kalt, El Baul wird sin Baul, das Vieh verkauft, das Land ist dürr. Die Campesinos teilen ein, von der Flüchtlingsorganisation bekommt jeder Land, das man bewirtschaftet. Hütten aus Holz, in blaues Nylon gehüllt. Manche brachten Kühlschränke und Radios mit, in anderen Hütten nur Lehmboden und alte Stühle. sechs Wasserhähne, das ist der Brunnen des Dorfes. Ein Geschäft, Kekse und Gaseosas für die Kleinen. Die Juntas, hier beredet man sich: Konsensfinden. 1982 sind sie, Opfer einer Militärdiktatur unter Rios Montt, nach Mexiko geflüchtet, dort lebten sie in Flüchtlingslager, andere in Städten, andre am Land. Die einen sind Disco, Kino, Cocacola gewöhnt. Was machen sie hier in der Wildnis? Es wird besprochen. Die Leute aus Chiapas wollen kein luz, Elektrizität, in den Flüchtlingslagern brauchten sie das nicht. Die Leute aus dem Norden sind Künstler, sie brauchen Licht zum Arbeiten. Es gibt Kerzen, um sechs geht die Sonne unter. Zum wöchentlichen Markt nach Flussdurchquerung mit dem Bus. Während der Regenzeit abgeschnitten. Aus Mangel an ärztlicher Versorgung ist Adeleida wochenlang dem Sterben nah. Die üblichen Busse, Kinder, Hühner, Körbe, Essen, bunter Markt. Die Erde ist trocken, es gibt keine Arbeit. Sie wollen zurück nach Mexiko. In Mexiko gab es Wasser, heisses Wasser, und Musik, und Freunde, und ausreichend Bier, in Mexiok, das war Leben. Ohne Ausweis, Papiere. Sie sind Guatemalteken, jeder Baum braucht seine Wurzeln. Am Nachmittag spielen wir vor der Hütte. Wettrennen in Gummistiefeln, Katz und Maus, und Pedro will Gespenstergeschichten hören. Die Vierjährige trägt die Zweijährige am Rücken, sie zeigt mir Wäschewaschen. Die Größeren lernen Englisch. Was heißt Wal, Papagei, Kühlschrank, und wie schreibt man Nek, Mana, Celin Dion. Mit den Älteren isst man. Eine Suppe, ein Ei, Gemüse, Tortillas, Fische vom Fluss. Und wo ist Europa, wie viele Stunden ist Europa weg mit dem Bus? Es gibt ein Meer. Ein Meer! Das muss weit weg sein. Kennst du nicht Rosa, eine compafiera aus Spanien, das ist doch bei euch, dort, du kennst sie nicht? Sie hat braunes Haar, und braune Augen, bestimmt. Wenn du sie findest, sag ihr einen schönen Gruß. Ihr esst keine Tortillas? Habt ihr nicht einmal dunklen Mais (Lachen). Ihr seid komisch! Wir essen Tortillas, alleine mein Mann isst sieben pro Mahlzeit, ich mache Tortillas und Tortil22 las, und die Tortillas nehmen kein Ende! Manchmal wünschte ich mir einen Trog voll mit Tortillas, und die Tortillas würden aus dem Trog zum Feuer hüpfen und sich selber wärmen, und man bräuchte sie nur mehr zu essen. Tamales, enchiladas, frijoles! Nostalgie ist das Gefühl, das wir für Heimat haben. Das ist die Erde, mit unserem Blut getränkt. Heute ist es vermischt mit Trauer. Die tönerne Krüge unsere Wunden tief in die Erde gebohrt. Das ist unser Land, das ausländischen Firmen gehört, ein Fünftel Guatemalas den Plantagenbesitzern. Spricht der Verzweiflung trunken Lieder. Löscht das Licht, bevor die Kerze brennt. El cielo, suave, invisible. En mi alma canta el ave triste. Gewalt und ihr Ursprung. Einsamkeit und Wege daraus. Konflikte und Briicken, Gehilfen. Tragik und Komödie auf der Bühne des Lebens. Ein Ort wird zum Mikrokosmos, Spiegel einer entwurzelten Gesellschaft, bodenloser Zeit. Malaria, Krankheiten, Arbeitslosigkeit. Tod in den Augen von Straßenkindern. Redende Frauen, lachende Frauen, vergewaltigte Frauen, grinsende Jungen, Mädchen, die in weiten Kleidern über die Hügel laufen. Betrunkene Männer, geschlagenes Kind, Hund, vor der Hütte, weint. Ich habe gelernt, welche Kriege Napoleon gewonnen hat und wann Spanien, die Europäer eroberten (Mord und Gemetzel), und ich weiß, dass Amerika Weltmacht sein will und dass Weiß-sein zum Ideal wird, Weiß hat Geld, und ich wusste, dass man die Geschichte mit den Namen der Gewinner schreibt, obwohl es im Krieg nur Verlierer gibt, und ich lernte, dass das Cocacola Mexikos besser schmeckt als das Pepsi Guatemalas und all die Maisgetränke, aber ich wusste nicht, wie wenig man als Mensch gelten darf. Und es gibt keinen Ton mehr, keinen warmen Ton, kein Lied der Erde, und bittre Nacht der Tränen verhallt salzlos, denn mit dem Ekel im Mund beginnt der Körper zu singen, und das Auge tanzt auf die Höhe zu, von der die Götter mit Körben kommen, und gefüllt mit reifen Trauben, stirbt Nüchternheit, und die Bitterkeit wird süß. Ich glaube, dass Hoffnung ein Wort ist, das jeder von uns in jeder Sprache schreiben kann.