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kanon erhalten, wenige aber kennen Hella Guth, Annie Albers oder Lotte Laserstein, um nur drei der bekannteren Unbekannten zu nennen. In Exilforscherkreisen wird von mindestens 500 Frauen dieser Kunstrichtung ausgegangen, die es wiederzuentdecken gilt. Auf der diesjährigen Tagung „Frauen im Exil“ suchte man nach den Ursachen für die verzögerte Wahrnehmung der Bildenden Künstlerinnen und Kunsthistorikerinnen. Inwiefern kann die Exilerfahrung als Ursache für den geringen Bekanntheitsgrad gelten? Kam zur Ausgrenzung als Frau und Künstlerin nun zusätzlich jene als Migrantin? Inwieweit ist die Überlieferung eines Werkes an einen kulturellen Kontext gebunden? Welche Rolle spielt der Alltag? Welche das Umfeld — Galerien, Kritiker —, das durch die Emigration ebenfalls verloren ging? In 14 Vorträgen wurde diesen Fragen nachgegangen und es zeigte sich, dass die Forschung nach wie vor detaillierte Antworten schuldig bleibt. „Der erste Schritt ist die Aufarbeitung der Biografien“, stellte die Publizistin Irme Schaber, die vor allem zu Fotografinnen im Exil forscht, fest und widerspricht der Ansicht, dass Fotografinnen bereits eine größere Öffentlichkeit erreicht hätten als emigrierte Bildende Künstlerinnen. Allerdings haben Fotografinnen, die in den letzten Jahren in Ausstellungen vertreten waren, ein breiteres Feedback erhalten, als bildende Künstlerinnen: Gisele Freund, Ilse Bing, ringl+pit, Lisette Model, Germaine Krull — sie scheinen heute noch Akzente zu setzen mit ihrem am Bauhaus und der Asthetik der Zwanziger Jahre geschulten Blick. Letztes Jahr erst erhielten die Fotografinnen Eva Besnyé und Ellen Auerbach — beide nunmehr 90jahrig — verspätete Preise für ihr Schaffen. Die demokratischen Errungenschaften der Weimarer Republik haben Frauen den Zugang zu Akademien erleichtert, wenngleich selbst das fortschrittliche Bauhaus deren Platz. vorwiegend in der Weberei, bestenfalls noch in der Dunkelkammer sah. Bildende Künstlerinnen, die in dieser Zeit dennoch ihren Weg suchten, waren demnach bei der nationalsozialistischen Machtübernahme relativ jung und kaum etabliert. Ohne Anbindung an eine Kunstbewegung und Kunstentwicklung waren die Malerinnen aber nicht in der Lage, sich auf dem Kunstmarkt im Exilland zu verankern. Die materielle Lebensfrage zwang zu einer konkreten Auseinandersetzung mit dem Alltag im Exil, für malerische Studien blieb wenig, oft gar keine Zeit. Die Angewandte Kunst, die „schneller“ zu einem Ergebnis führt, die zudem vervielfältigbar ist — wie beispielsweise Fotografie oder Keramik —, bot größere Chancen zur Daseinssicherung. Künstlerische Aktivitäten wie Musik oder Tanz, die als Kulturveranstaltungen der Exilorganisationen stattfanden, hatten mehr verbindende Kraft — während Bildende Künstlerinnen meist allein arbeiteten. Auch waren die Bedingungen in den Zufluchtsländern sehr verschieden. Wer nach Frankreich geflohen war, war von Abschiebung bedroht. Ab 1940 drohte unter der Vichy-Regierung zudem die Auslieferung an die Deutschen oder Internierung. In den französischen Internierungslagern hatten die Frauen zwar Zeit (die Internierungslager waren keine Arbeitsund Vernichtungslager) bei Hunger und Kälte, aber kaum Papier oder Farbe. Ab 1942 drohte die Deportation in die deutschen Vernichtungslager. Charlotte Salomon, heute eine der bekanntesten deutschen Exilkünstlerinnen, wurde von Frankreich aus nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht. Für sie war Malen wie Tagebuchführen, Kunst ein Mittel zum psychischen Überleben. Ihr künstlerischer Erfolg posthum verschränkt sich mit ihrem Schicksal. Die Londoner Kunstwissenschaftlerin Astrid Schmetterling wies in ihrem Vortrag auf Salomons malerische Moderne und Synthese von Text, Grafik, Zeichnung, Dramaturgie und Malerei hin: Nomadentum in der Kunst verstanden als avantgarde Form der Multimedia-Idee. Die Exilsituation in Holland, Großbritannien oder auch Südamerika kam anhand von Keramikerinnen und Weberinnen des Bauhauses zur Sprache. Holland wurde für Flüchtlinge nach dem Überfall Hitler-Deutschlands zur Falle. Entweder sie gingen in den Untergrund oder sie kamen in Internierungslager wie Westerbork. Von dort drohte der Transport in die Vernichtungslager. Die Kunsthistorikerin Maike Bruhns stellte in ihrem Vortrag über die Lebenswege emigrierter Hamburgerinnen die These auf, dass das Exil in Südamerika für Frauen eine größere Chance bot, sich als Kunstschaffende zu etablieren. Die Länder befanden sich in einem kulturellen Aufbruch, waren offen für Neues. Den Kunstströmungen aus Europa wurde in diesem Prozess durchaus eine wegweisende Rolle zugeschrieben. In Großbritannien dagegen hatten Künstlerinnen — vor allem wenn sie an Expressionismus und Bauhaus geschult waren — weniger Chancen, sich zu etablieren. Der englische Traditionalismus erschwerte den Zugang zur kunstinteressierten Gesellschaft, und darüber hinaus galt der Expressionismus als brutal und sehr deutsch. Das traf auch die Keramikerin Greta HeymannLoebenstein, die in England nicht an ihre Erfolge in Deutschland anknüpfen konnte. Allgemein muß festgestellt werden, dass die angewandte Kunst innerhalb der Kunstgeschichte eine untergeordnete Rolle spielt; dem geringeren wissenschaftlichen Interesse entspricht ein Reflexionsdefizit in Bezug auf soziale und ästhetische Hintergründe. Warum haben sich vorallem Frauen verstärkt diesen künstlerischen Tätigkeitsfeldern zugewendet? Aus der Sicht der TagungsteilnehmerInnen muss der Kunstkanon dringend erweitert werden. Das speziefisch kulturelle Schaffen von Frauen wie Keramik, Weberei, Fotografie, Design und Grafik aber auch Journalismus und Tagebuch soll nicht weiter durch eine falsche Hierarchisierung ignoriert werden. In diesem Sinne argumentierte Albrecht Pohlmann (Halle), der seit zehn Jahren über Leben und Wirken von Trude Guermonprez forscht. Sie war Weberin, die — zur Muse der Männer stilisiert — einen langen Prozess der künstlerischen Selbstfindung durchlief. Ihr erstes Exilland war Holland. Dort arbeitete sie als Designerin. Ihr Mann wurde hingerichtet. Ihr zweites Exil fand sie in den USA. Sie entwickelte ihre Techniken stetig weiter und war eine der ersten, die mit dreidimensionaler Weberei experimentierte. Pohlmann vertritt die These, dass die Weberei im Grunde der abstrakten Malerei den Weg bahnte. Der Gebrauchs- und Dekorationswert der Wandteppiche lenkte von der Auflösung gegenständlicher Abbildungen ab und öffnete damit die Tür für das Gegenstandslose. Dass durch das Exil die künstlerischen Paradigmen des Bauhauses in die USA gebracht wurden, kann als gelungener Transfer einer Herkunftskultur in eine Exillandkultur gesehen werden. Das Black Mountain College, an dem viele emigrierte Bauhäusler und Bauhäuslerinnen lehrten — darunter auch die Weberin Annie Albers und die Keramikerin Marguerite Friedlaender-Wildenhain —, galt als ein Zentrum der US-amerikanischen Avantgarde. Zum Weggehen gezwungen, wurden die Emigranten und Emigrantinnen zu Wegbereitern. Die Fremdheitserfahrung im Exilland USA wurde für die Kunsthistorikerin Hanna Deinhardt — wie Dr. Irene Below in ihrem Vortrag ausführte — zum theoretischen Rüstzeug für ihre unorthodoxe Kunstkritik. Selbst unangepasst, entwickelte sie ein ästhetisches Verständnis für das Unangepasste — nach dem Selbstverständnis der Avantgarde. Ihre Kritiken und Schriften verweisen auf eine Tradition des Essays, wie sie im angelsächsischen Raum heute brillant beherrscht wird. Signifikant für die deutschen Geschichte und Kultur scheint die Erfassung in der Retrospektive — das gilt besonders für das 20. Jahrhundert. Dass Frauen, die ins Exil gehen mussten, dabei ein so untergeordnetes Interesse in der wissenschaftlichen Wiederentdeckung erfahren, bestätigt die feministische Sicht der Gesellschaft gegenüber dem Patriarchat in Wissenschaft und Kunst. Meist sind Wissenschaftlerinnen Jahre damit beschäftigt, das Leben einzelner Emigrierter aufzuarbeiten. Die Quellenlage ist in der Regel miserabel. Bei der Recherche zu Künstlerinnen kommt noch erschwerend hinzu, dass deren Werke oft verschollen sind, ja auch nicht durch die Flucht gerettet werden konnten und damit eine künstlerische Kontinuität vor 1945 meist nicht mehr nachgewiesen werden kann. Gerade im Kunstkontext spielt jedoch Kontinuität und künstlerische Entwicklung eine entscheidende Rolle. Lebensbrüche — wie jede Frau sie kennt und wie das Exil sie im Grunde einer ganzen Generation von Intellektuellen und KünstlerInnen aufzwang — sind aus einer traditionellen Perspektive nicht kulturstiftend. Warum suchen aber junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dennoch immer wieder nach den verlorenen Vorbildern? Die Antwort so einfach: Weil sie uns fehlen! Waltraud Schwab 41