OCR
Markus Murauer Die Wehrmachtsausstellung hat gezeigt, dass unsere Gesellschaft selbst nach über 50 Jahren mit den Greueln des Zweiten Weltkrieges große Schwierigkeiten hat. Wie das Individuum tut sich auch das Kollektiv schwer, Schuld einzugestehen. Viele Soldaten gehorchten einer Moral, die dem Sozialprinzip entgegengesetzt war. Diese „Vernichtungsmoral“, von der nationalsozialistischen Rassenideologie installiert, forderte viele Opfer. Dieser Essay bringt Gedanken über Rassenideologie, Gewalt im Krieg, Sadismus und versuchter Verdrängung zum Ausdruck. Wie ein einzeln Blatt nicht vergilbt, ohne das stumme Wissen des ganzen Baumes, so kann der Übeltäter kein Unrecht tun, ohne den verborgenen Willen von euch allen. (Kahlil Gibran) Der Leser darf die durchaus berechtigte Frage stellen, welche interessanten oder gar originellen Gedanken man im Jahre 2000 noch über eine Ausstellung äußern kann, die seit 1995 in 32 Städten zu sehen war. Ist nicht längst alles gesagt worden? Ist die Notwendigkeit dieser Ausstellung mittlerweile nicht auch den Gegnern klar? Haben die vielen Diskussionen in der Öffentlichkeit nicht endgültig für die angestrebte Problematisierung der Kriegsverbrechen von deutschen und österreichischen Wehrmachtssoldaten gesorgt? Wenn man die hämischen Reaktionen eines Teiles der (konservativen) Presse betrachtet, der sofort grundsätzliche Bedenken über die Ausstellung anmeldete, weil ein polnischer und ein ungarischer Historiker Fehler bei der Zuordnung von Fotos feststellten, sind Zweifel am Lernprozess der deutschen und österreichischen Gesellschaft angebracht. Was sich schon während der Ausstellung feststellen ließ, bestätigte sich auch in der im vorigen Herbst entflammten Diskussion um das nur in wenigen Ausnahmen fehlerhafte Bildmaterial: Selbst nach über fünfzig Jahren ist eine sachliche Auseinandersetzung mit diesem Thema kaum möglich. Zu tief scheint der Stachel einer grausamen Vergangenheit im Fleische der am Krieg beteiligten Menschen zu sitzen, zu schmerzhaft die Erinnerung an eine Zeit zu sein, die für uns Nachgeborene schon weit zurückliegt und aus der heutigen Wirklichkeitswahrnehmung heraus nicht mehr nachvollziehbar ist. Immer wieder wurde und wird polemisiert, jammert man von einer Verunglimpfung der Kriegsgeneration, die es schwer genug gehabt hätte usw. usw. Ein Kind der 70er Jahre wie ich weiß zwar von den Greueln des Krieges, von denen in den Medien ständig die Rede ist, es hat die Erfahrung des Krieges aber nie machen müssen und kann deshalb auch nicht begreifen, dass Menschen Menschen einfach umbrin42 gen und dafür auch noch Anerkennung finden. Die große imaginäre Gemeinschaft, die Nation, erinnert Kriege im historischen Bewusstsein als gewonnen oder verloren; Opferzahlen werden addiert und die Schrecken des Krieges abstrahiert. Der moderne demokratische Staat distanziert sich zwar offiziell von der nationalsozialistischen Kriegsführung und ihren Kriegshelden, er kann jedoch nicht verhindern, dass Weltkriegsveteranen sich gegenseitig die Ehre erweisen, die noch immer Treue heißt, und rechts stehende Politiker ehemalige Kriegsteilnehmer mit Lob und Anerkennung für ihre Tapferkeit im Krieg überschütten, während sie für die Opfer des Krieges oft nur Hohn und Spott übrig haben. Wir kennen den sarkastischen Unterton, mit dem etwa ein Jörg Haider scheinbar politisch korrekt über Kriegsopfer spricht, indem er sich für die Verbrechen entschuldigt, gleichzeitig aber mit seinem Tonfall vermittelt, dass es sich bei den Opfern um besonders wehleidige Figuren handelt, denen es schon immer an Mut und Stärke gefehlt hat. Haider tritt wie der kleine Lausbub im Klassenzimmer auf, der einen Mitschüler verprügelt hat und sich jetzt im Namen der Lehrerin bei dem Verprügelten entschuldigen muss. Die moralische Ordnung verpflichtet ihn quasi dazu, in Wahrheit empfindet er die Entschuldigung aber als Demütigung, eines „echten“ Mannes unwürdig. Deshalb der Sarkasmus, der Trotz, um zu zeigen, dass er sich nur beugt, weil es nicht anders geht. Was aber ist, wenn sich so ein Mensch zur moralischen Instanz aufschwingt? Wenn er das Sagen hat? Was geschieht dann mit den Schwachen und Schwächeren? Man wagt gar nicht daran zu denken. Die Teilnehmer am Krieg gegen die damalige Sowjetunion haben nach Ende des Krieges nur wenig Anerkennung für ihre „Leistungen“ gefunden, auch wenn sich das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) bemühte, den weitgehend bedingungslosen Einsatz der Soldaten zu würdigen: „Die einmalige Leistung von Front und Heimat wird in einem späteren gerechten Urteil der Geschichte ihre endgültige Würdigung finden. [...] Jeder Soldat kann deshalb die Waffe aufrecht und stolz aus der Hand legen.“ (Letzter Lagebericht des OKW vom 9. Mai 1945, zitiert nach Heer/Naumann: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, S. 32). Die deutsche und österreichische Nachkriegsgesellschaft hatte nicht die Position, um ihre „aufrecht kämpfenden“ Soldaten zu ehren, sie war vielmehr damit beschäftigt, an der Bagatellisierung des Vorgefallenen zu arbeiten und einen breiten Mantel des Schweigens über Ereignisse zu breiten, die von einem nach Kriegsende noch herrschenden nationalsozialistischen Staat sicherlich ausgezeichnet worden wären. Die politische Elite eines noch besetzten österreichischen Staates distanzierte sich geschickt von der deutschen Kriegspolitik und sah Österreich gar als erstes Opfer der nationalsozialistischen Expansion. Was auf staatstheoretischer Ebene seine Richtigkeit haben mag, gilt sicherlich nicht für den Österreicher selbst. Es gab viele Österreicher, die den sogenannten „Anschluss‘ begrüßten, man erinnere sich an den triumphalen Einzug Hitlers in Linz oder Wien, an seine vielumjubelte Ansprache am Heldenplatz, und es gab genügend Österreicher, die der Partei beitraten, viele aus Überzeugung, viele wohl auch aus Opportunismus. Wie viele Österreicher freiwillig in den Krieg zogen, „um die Heimat vor der bolschewistischen Gefahr zu schützen“, wie es im Nachhinein hieß, kann heute nicht mehr eruiert werden. Fest steht allerdings, dass die „Vorwärtsverteidigung“ der deutschen Armee ein Euphemismus bleibt, der die grausame Absicht der nationalsozialistischen — und das heißt in diesem Fall deutschen und österreichischen — Kriegspolitik verschleiern will. Man zog nicht aus, um Volk und Vaterland zu beschützen, sondern um den „Lebensraum der deutschen Herrenrasse im Osten zu erweitern“. Der Krieg gegen die damalige Sowjetunion war ein „Rassenkrieg“ der Germanen gegen die Slawen, war ein Krieg gegen Menschen, die in einem von den Nationalsozialisten beherrschten Gebiet nichts mehr verloren haben sollten: „[Slawische] /ndustriearbeiter galten als kommunistisch verhetzt und überflüssige Esser. Großstädte und Industriezentren sollten aus dem künftigen Kolonialreich im Osten verschwinden. Um die Bodenschätze zu fördern, Transportwege zu schaffen und in den Werkstätten der Besatzungsarmee zu arbeiten, wurde nur ein kleiner Teil der Bevölkerung gebraucht. Die Mehrheit der Landbevölkerung sollte ihre Ernten den Deutschen abliefern, aber auch sie wurde nur vorübergehend benötigt, bis der ‚Generalplan Ost‘ die neuen Siedler ins Land bringen würde. Bezeichnend war die Schlußfolgerung der Verantwortlichen im Mai 1941: ‚-zig Millionen‘ Menschen im Osten könnten ruhig verhungern oder nach Sibirien abwandern.“ (Müller, Rolf-Dieter: Menschenjagd. Die Rekrutierung von Zwangsarbeitern in der besetzten Sowjetunion. In: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, S. 92). Man müsste meinen, dass diese erschütternden Kriegsziele von einer heute einhellig verurteilten, moralisch völlig unzurechnungsfähigen nationalsozialistischen Rassenideologie formuliert wurden. Tatsache ist aber, dass das OKW selbst solche Richtlinien über die Führung der Wirtschaft in den neu besetzten Ostgebieten festsetzte, den nationalsozialistischen Rassenwahnsinn also offiziell mittrug. Inwieweit die einzelnen Soldaten von dem im OKW kursierenden Rassismus infiziert