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Künstlers in den Kontext seiner Epoche zu stellen, um solcherart Zusammenhang und Wechselwirkung der porträtierten Person mit dessen Werken und Ansprüchen heraus zu arbeiten. Besonders eindrucksvoll ist der Text „Freud deutet einen Traum“, in dem die politische Lage am Vorabend des Zweiten Weltkriegs in Form eines Traum symbolisiert wird. Den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erlebte Bermann nicht mehr. Am 5. September 1939 starb Richard A. Bermann im amerikanischen Exil, jener Mann, der zwar in Wien (1883) geboren wurde, aber ebenso in Berlin und Prag daheim gewesen war. Manfred Chobot Richard A. Bermann alias Arnold Höllriegel: Hollywood — Wien und zurück. Feuilletons und Reportagen. Wien: Picus Verlag 1999. 270 S. öS 291,/DM 39,80/Sfr 38,80 Die „Jüdische Frage in der deutschen Literatur“ Ritchie Robertson, „Reader“ in German am St. John’s College in Oxford und in Österreich auch bekannt mit der Buchserie „Austrian Studies“, die er zusammen mit Edward Timms bei der Edinburgh University Press herausgibt, legte eine umfangreiche, auf vielen sorgfältigen Lektüren beruhende Studie zum Thema ‚The ‚Jewish Question‘ in German Literature“ von 1749 bis 1939 vor. Das umfangreiche Buch beeindruckt durch die Fülle der behandelten Werke und Autoren. Dennoch wollte Robertson keine enzyklopädische und vollständige Literaturgeschichte schreiben, sondern, wie er ausdrücklich schreibt, nur die Texte einiger der für sein Thema relevanten Autoren diskutieren. Ausgehend von der Widersprüchlichkeit und den vielfältigen Aspekten der jüdischen Identität in der Moderne zeigt er, wie oberflächlich die Auseinandersetzung mit diesem komplexen Thema bei Autoren wie Arthur Schnitzler und Stefan Zweig verlief. Selbst bei so unterschiedlichen Autoren wie Adorno und Leo Baeck konstatiert Robertson eine verhängnisvolle Blindheit gegenüber den Gefahren und tödlichen Absichten des Nationalsozialismus. Was die moderne, zionistisch inspirierte deutsch-jüdische Renaissance betraf, für die Autoren wie Martin Buber, Franz Rosenzweig und Gershom Scholem rezipiert, kommt Robertson zu dem bemerkenswerten Ergebnis: „But in neither its religious, its cultural, or its political versions was it a rediscovery of a primordial Judaism. The forms of Judaism its proponents revived bore the stamp of the German culture in which they were at home as assimilated and highly educated German Jews.“ Dazu kam noch, daß Robertson die Frühschriften von Martin Buber nicht zu Unrecht als „surprising, uncomfortable, and disturbingly racist in tone“ beurteilte. 48 In weiteren Kapiteln analysiert Robertson auch antisemitische Stereotypien und das Bild des Jüdischen bei antisemitischen oder nichtjüdischen Autoren, darunter Thomas Mann. Selbst der kundige und spezialisierte Leser wird in diesem klugen und lesenswerten Buch viele ihm neue Aspekte, Analysen und Literaturhinweise finden. Evelyn Adunka Ritchie Robertson: The ‚Jewish Question‘ in German Literature 1749-1939. Emancipation and its Discontents. Oxford: Oxford University Press 1999. 534 S. 60 £. Kahn & Engelmann. Eine Familien-Saga „Auf dem Karmelstrand geht im Sommer 1938 ein jüdischer Flüchtling auf und ab (aus Köln?, aus Berlin? aus Wien? Es kommt nicht darauf an). Zwanzig Meter vom Ufer kämpft ein Mann mit den Wellen und brüllt auf hebräisch um Hilfe. Der Flüchtling lauscht, zieht sich die Jacke aus, faltet sie zusammen (man soll sich nie übereilen); und während er sich auch noch die Krawatte und die Schuhe auszieht, bevor er dem Brüllenden nachspringt, ruft er empört: ‚Was für ein Narr ist das! Hebräisch hat er gelernt. Schwimmen hätte er lernen sollen!‘“ (S. 7) Mit diesem Wanderwitz leitet der aus Wien gebürtige, 1938 nach Großbritannien geflüchtete und nun in Rockwood, Ontario, lebende Germanist Hans Eichner seinen Roman „Kahn & Engelmann“ ein, und jüdische Witze werden — wie auch Anekdoten und historische Exkurse — den Handlungsfaden immer wieder erläuternd unterbrechen. Bei wem es sich um den Ich-Erzähler und fabulierfreudigen Chronisten der Geschichte einer jüdischen Familie vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart eigentlich handelt, bleibt lange ungewiß. Er gibt sich vorerst lediglich als Mann zu erkennen, der in Haifa Pudel wäscht, Schuhschachteln voller vergilbter Fotos, Papiere, Familienbriefe durchstöbert, sich seiner kindlichen Spiele und Dichterträume in Wien erinnert und in liebevoller Kleinarbeit ein episches Mosaik seiner Familie zusammensetzt. Setzen Sagas nicht selten mit hehren Worten oder Taten ein, so beginnt diese eben mit einem Witz — und mit dem Kauf neuer Stiefel. Als sich nämlich die siebzehnjährige Gutsbesitzerstochter Sidonie im März 1880 im ungarischen Tapolca beim bedürftigen Schuster Jözsef Kahn Stiefel anmessen läßt und „dieser vorsichtig mit den Fingerspitzen ihren Knöchel anfaßte, um ihren Fuß auf das nicht karzinogene Packpapier zu stellen, war es um sie geschehen.“ (S. 9) Die Eltern, wegen der unstandesgemäßen Wahl entsetzt, stellt Sidonie vor vollendete Tatsachen: indem sie den ohnehin willigen Heiratskandidaten kurzweg verführt und wunschgemäß schwanger wird. Sidonie wird auch in der Ehe stets ihren Kopf durchsetzen - so etwa, als sie beschließt, dem anschwellenden Antisemitismus in ihrem Heimatdorf den Rücken zu kehren und mit Mann und Kindern nach Wien zu gehen, und zwar im buchstäblichen Sinn. Wohl weiß Sidonie ihre bald fünf Kinder mit ebenso liebevoller wie strenger Hand zu führen, wohl betreibt sie wie schon in Tapolca zur Aufbesserung des Familieneinkommens einen Gemüsestand, wohl bringt sie Gisa, die erstgeborene Tochter, als Hilfsarbeiterin in einer Blusenfabrik unter, doch der Wohlstand stellt sich immer noch nicht ein. Da macht der Tochter ein betagter Verehrer ein Geschenk — einen von Gustav Klimt entworfenen Ring, mit dessen Erlös die Textilfirma Gisela Kahn gegründet wird. Arbeit, Fleiß und unternehmerisches Geschick zeichnen auch Dezsö, den zweiten Sohn der Kahns, aus, der nach der Schule in ein Damenmodengeschäft in der Rotenturmstraße eintritt, dort nach und nach in die Rolle des Geschäftsleiters hineinwächst und schließlich das Geschäft übernimmt. Aus Geschäfts- werden Familienbeziehungen, aus Familien- Geschäftsbeziehungen. Bleiben die Kahn-Kinder Klara, die den Cousin Ferenc, Elli, die den Linzer Textilfachmann Sandor Engelmann nimmt, und Jenö, der Erstgeborene, der Schwerenöter, Sprüchemacher und Defraudant, der im Verlauf eines langwierigen Disputs um die gemeinsame Geschäftsgebarung seinen Schwager Sandor zum Selbstmord treibt. Von Beginn an liegt, von den Kahns und Engelmanns kaum bemerkt oder einfach unterschätzt, ein drohender Schatten über den geschäftlichen Zeitläuften und privaten Wechselfällen der Familie: der Schatten des immer stärker grassierenden Antisemitismus, des Aufstiegs der Nationalsozialisten, der sie alle ins Exil zwingen wird. Selbst nach dem „Anschluß“ gehen sie „weiterhin, solange sie durften, ihren Geschäften und ihren gewohnten Vergnügungen nach. Ich bedenke das, weil man es den Juden so oft zum Vorwurf gemacht hat, daß sie, in Österreich wie in Deutschland, dablieben, bis es zu spät war — ein völlig unsinniger Vorwurf. War es denn wirklich bloß Leichtsinn oder Ignoranz, wenn es so viele Juden [...] einfach nicht glauben konnten, daß die Epidemie von Größenwahn und Brutalität, die das Land überschwemmten, im Reich Goethes und Beethovens mehr sein konnte als ein vorübergehendes Nervenfieber? War es nicht eher rührend?“ (S. 101) Im Laufe der Lektüre gibt sich allmählich auch der Erzähler der Familien-Saga zu erkennen: Es ist Peter Engelmann, der 1921 in Wien geborene Sohn von Sandor und Elli Engelmann, der 1938 über Belgien nach Großbritannien flüchtet, dort als „enemy alien“ angehalten, irrtümlich mit der HMS Dunera nach Australien verschickt und dort im Internierungslager Hay interniert wird. Nach einem Germanistikstudium in London, mehrjähriger Lehrtätigkeit am Bedford College und danach an der King’s University in