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sprochen, welches das Buch zwar aufwirft, aber nicht erörtert: unter welchen Bedingungen gilt ein Schriftsteller als ‚jüdischer Schriftsteller‘? Josef Burg vertritt eine klare, wenngleich eigenwillige Meinung, indem er keine jüdische Literatur in einer anderen Sprache als dem Jiddischen oder Hebräischen zuläßt. Paul Celan oder Stefan Zweig sind für ihn deutschsprachige, österreichische Autoren, keinesfalls aber jüdische. Diese Auffassung mag zwar den gängigen literaturwissenschaftlichen Definitionsversuchen widersprechen, in denen Autoren wegen ihrer jüdischen Sozialisation und Themenwahl als ‚jüdisch‘ gelten, nicht aber wegen ihrer Sprache. Aus der Sicht eines jiddischen Dichters, der sich der reichen Tradition der jiddischen Literatur verpflichtet fühlt, ist sie freilich verständlich. Wer Josef Burg neu für sich entdeckt, dem kann das vorliegende Buch als erster Einstieg in sein Leben und Werk dienen. Helmut Kusdat Josef Burg — Michael Martens: Irrfahrten. Ein ostjüdisches Leben. Winsen/Luhe und Weimar: Hans Boldt Literaturverlag 2000. 63 S. OS 164,-/DM 22,50/SFr 21,Verstreutes „Das Wunder von Büttelsburg“ heißt die Rückkehr- und Nachkriegsparabel des 1911 in Wien geborenen, 1939 nach Südamerika geflüchteten und heute in Montevideo lebenden Fritz Kalmar. Der Roman ist unlängst im Wiener Ibera Verlag erschienen. Ein aus der Stadt Büttelsburg Vertriebener kehrt zurück — nicht als Lebender, sondern in einem Sarg. Die Heimat sieht es als eine Ehre an, dem ‚verlorenen Sohn‘ als letzte Ruhestatt zu dienen. Bürgermeister und Feuerwehr sind angetreten, den Sarg in feierlichem Zug vom Bahnhof zum Friedhof zu geleiten. Auf dem Hauptplatz legen sie eine Gedenkminute ein und stellen den Sarg nieder. Von da an läßt er sich nicht mehr von der Stelle rücken. Alle Versuche, ihn mit welchen Mitteln auch immer zu bewegen, bleiben erfolglos. Der unverrückbare Sarg auf dem Hauptplatz wird zu einer unheimlichen Touristenattraktion, wächst und wächst in der Vorstellung der Bewohner der Stadt, längst vergangen Geglaubtes wird aufgerührt, eine bürgerkriegsähnliche Situation entsteht. Fritz Kalmars Geschichte vom Sarg ist eine Parabel auf Nachkriegsösterreich, auf Nachkriegsdeutschland, ein Vexierbild für unsere heutige Situation, zu Demonstrationszwecken hergestellt von einem Exilierten. Solange man die Lebenden nicht herbeiwünscht und die Toten bloß ehrt, werden die Särge schwer von den öffentlichen Plätzen wegzubringen sein. Sogar die Gestalt von Denkmälern nehmen sie an. Am Ende bleiben auch die Touristen aus. 54 Poesie in Zeiten des Krieges Stell dir vor es ist Krieg und plötzlich taucht am literarischen Himmel ein neues, weithin strahlendes Sternbild auf! Krieg im Europa des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Sarajevo wird bombardiert. Die, die lange Zeit friedlich miteinander gelebt haben, werden getrennt, werden gezwungen sich zu trennen. Totale Destruktion. Unzählige sterben, unzählige flüchten und emigrieren. Wir in Österreich und Deutschland wissen es. Wir haben permanent politische Berichte und Analysen darüber gehört. Sie waren jahrelang in den Medien präsent. Jetzt, fast ein Jahrzehnt danach, erreichen uns immer mehr Mitteilungen der ganz anderen Art über diesen Krieg. Über das alltägliche Leben im Krieg, über die menschlichen Seiten des Unvorstellbaren. Geschichten so lakonisch, aber vielsagend, so schmerzvoll, aber warmherzig, so grauenvoll, aber poetisch, so aussichtslos, aber zärtlich. Poesie und Ironie als letzter Ausweg aus unendlichem Leid? In keiner anderen exjugoslawischen Teilrepublik als in Bosnien haben so viele Autoren — junge Menschen aus der „verlorenen Generation“ — so oft zur Feder gegriffen. Nicht nur, um dem Kriegswahnsinn mit ihrem einzigen Mittel zu begegnen, sondern um Literatur von hohem Rang zu schaffen. Ein drastisches Kontrastprogramm zur neuen deutschen „Schnösel-Literatur“. Hier Fadesse bis zum Exzeß, dort Poesie gegen den Exzeß. Poesie, die ihresgleichen fast vergeblich sucht. Breitenwirksam ist sie wohl - trotz hoher Qualität —- kaum. In Österreich und Deutschland sind die wenigsten Leser auf Literatur vor dem Hintergrund solch “Konfliktbeladenheit" neugierig. Überdies ist die mitteleuropäische Ignoranz gegenüber allem Slawischen legendär. In Bosnien selbst mangelt es sehr an Möglichkeiten der Literaturverbreitung. Abgesehen davon, ist die Hälfte des potentiellen Publikums ins Ausland geflüchtet. Für deutschsprachige an der slawischen Kultur Interessierte stellt der Erzählband „Das Kind. Die Frau. Der Soldat. Die Stadt“ jedoch einen Meilenstein im KennenlernenDürfen einer neuen Generation von bosnischen Schriftstellern dar. (Gleichzeitige Veröffentlichung in Originalsprache im Verlag Feral Tribune in Split unter dem Titel „Evakuacija“.) Die vom Herausgeber Dragoslav Dedovic — geb. 1963, seit 1992 in Köln lebend - ausgesuchten, fast zur Gänze erstmals von Bärbel Schulte ins Deutsche übersetzten 32 Erzählungen von 20 Autoren und drei Autorinnen, alle zwischen 1955 und 1974 geboren, entstanden alle zwischen 1987 und 1998, also „in einem zutiefst tragischen Zeitabschnitt“. Die Hälfte der Autoren lebt nunmehr in den USA, in Kanada, in Deutschland, in Kroatien, in Jugoslawien, in Tschechien und in Holland. Einer ist in Sarajevo ums Leben gekommen und einer in Kanada. Die andere Hälfte lebt weiterhin in Sarajevo — bis auf zwei, die in Tuzla und Mostar beheimatet sind. Junge Autoren und Autorinnen haben bereits in jenem gesellschaftspolitischen Vakuum, das in den Jahren vor dem Krieg geherrscht hat, begonnen, eine Umwertung der Tradition der bosnisch-herzegowinischen Literaturszene vorzunehmen. Sie wendeten sich von der „verbrauchten sozialistischen Pathetik“ ab. Der Herausgeber in seinem Vorwort: „Die Sympathie von ausgeprägten Individualisten zu einer Art nonchalanter, ein wenig snobistisch urbaner Distanz gegenüber der nationalistischen Hysterie wird sich später als literarisch gewichtiger erweisen als alle anderen generationsabhängigen Modelle der damaligen literarischen Szene.“ Die Entscheidung zu emigrieren ist schwer und folgenschwer. Wer geht, hat nicht „zwei Heimatländer, sondern zwei fremde Länder“. Viele der Erzählungen kreisen um diese schmerzliche Erfahrung. In der zweiten Fremde fehlt der sprachliche Kontext, es bleibt aber nur „die Sprache als einziges Ruhebett“. In einer der beeindruckendsten Geschichten, „Montage der Attraktionen“ von Aleksandar Hemon wird dies mehrmals angesprochen: „Wie unbequem und unbeholfen ich mich im Englischen fühle, wie ich untergehe in der Sprache und meine Sätze mit Wörtern um sich werfen, wie die Hände eines Kindes beim Ertrinken.“ (Sein Buch „Die Sache mit Bruno“, vorigen Herbst auf deutsch erschienen, hat Hemon bereits englisch geschrieben.) Bücher von Miljenko Jergovic, Semezdin Mehmedinovic, Nenad Velickovic, Aleksandar Hemon und Dragoslav Dedovié sind bereits ins Deutsche und teilweise in weitere Sprachen übersetzt worden. Wir warten auf Übersetzungen der anderen meisterhaften Erzähler. Zum Erstaunen der psychologisch geschulten Rezensentin hat allemal die Poesie als offenbar wirksame Medizin gegen das drohende Verrücktwerden in einem Land gesorgt, wo Menschen auf unglaubliche Weise abgeschlachtet wurden. Goran Samardzic’ Erzählung „Das Gespött des Seele“ ist der Inbegriff an Zärtlichkeit, der Inbegriff an Menschenmöglichem, dem Wahnsinn zu widerstehen. Eine kleine Geschichte über die hingebungsvolle Beziehung eines Soldaten zu einer Katze, die in den Schützengraben sprang — ausgerechnet aus der Richtung aus der gewöhnlich geschossen wurde. „Aus Angst etwas zu verderben, hörte ich auf zu atmen. Ich dachte, dies wäre ein gutes Zeichen und der Auftakt zu einer sanfteren Zeit.“ Der Soldat verstand plötzlich seine anfängliche Begeisterung beim Schießen immer weniger. „Deshalb wandte ich mich mit soviel Hoffnung den Sternen zu; der seltsamen Materie, zu lauschen, was sie mir zu sagen haben. ... Etwas mußte ich ändern, schnell und augenblicklich, denn jedes Aufschieben verlängerte die Qual. Um mich von den schwarzen Gedan