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ken loszureißen, begann ich mich um die Katze zu kümmern“. Die anderen machten sich darüber lustig. Der Soldat schämte sich, daß ihm eine Katze etwas bedeutete. Das Ende der Geschichte, nachdem die Katze nicht mehr am Leben ist: „Auf dem Weg zum Lager konnte ich nicht anders, als mich freuen, daß ich noch am Leben war. Die Trauer um die Katze war ein gewöhnlicher Trick, den mir die Seele bereitete, damit sie etwas zu tun hatte. Wenn sie um nichts trauerte, heulte sie ins Leere oder freute sich wie jetzt und sprang herum, um mich am Leben (in einem lebendigen Zustand) zu erhalten. Sie wollte, daß ich sie möglichst lange aushalte und trage, denn sie wußte nicht, was ohne mich auf sie wartete. Sie langweilte sich im Käfig des Körpers und dachte sich aus, was schwer verständlich war. Selten, daß wir uns eins waren, meine Seele und ich, aber ich kannte keine andere. Ich dachte, daß es vielleicht einmal, wenn wir uns auf immer trennen, jemandem leid tun wird. So dachte ich.“ Kaum vorstellbar, daß sich in unseren Breiten, wo Business und Konsum alles beherrschen, jemand in dieser Art Gedanken über seine Seele macht. Hier wird alles getan, um ja möglichst selten zu sich zu kommen. Und geredet wird viel, aber nichts gesagt. Lassen wir uns lieber aus dem vielsagenden Buch erzählen. Maria Wölflingseder Dragoslav Dedovié (Hg.): Das Kind. Die Frau. Der Soldat. Die Stadt. Zeitgenössische Erzählungen aus Bosnien-Herzegowina. Aus dem Bosnischen, Kroatischen und Serbischen übersetzt von Bärbel Schulte. KlagenJurt/Celovec: Drava Verlag 1999. 367 S. OS 329,-/DM 45,-/SFr 41,50 Wer war Josef Schleich wirklich? Eine Spurensuche, eine jiidische Mutter mit Fragezeichen, eine bislang unbeachtete Facette der Flucht vor der NS-Verfolgung Er hat Juden in den Jahren 1938 und 1941 über die Grenze geschmuggelt, er wurde 13mal von der Gestapo verhaftet und 1941 wegen des VerstoBes gegen das Devisengesetz angeklagt und in ein Strafbataillon abkommandiert. Nach dem Krieg war er 1948 neuerlich mit einer Anklage diesmal wegen Bereicherung an jüdischem Eigentum und Mißhandlung von Juden konfrontiert. Bevor es zum Prozeß kommt, stirbt er und wird vergessen. So könnte man das Schicksal des Grazers Josef Schleich zusammenfassen, so beschreibt es zumindest seine uneheliche Tochter Hannelore Fröhlich, die sich nach 50 Jahren auf die Suche nach ihrem Vater gemacht hat. Die Schriftstücke und Briefe, die sie gefunden hat, liefern das Material für eine unglaublich klingende Geschichte, die einmal mehr zeigt, daß selbst ein halbes Jahrhundert nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und trotz magischer Kalendersprünge noch Überraschendes über die Zeit des Nationalsozialismus zu erwarten ist. Doch Vorsicht ist angebracht. Josef Schleich, der eine Geflügelfarm in Graz betrieb, dürfte wie der zu Hollywoodehren gekommene Fabrikant Oskar Schindler eine schillernde Persönlichkeit gewesen sein, ein Mann, der fein gekleidet in der Gesellschaft gern gesehen war und auch über das nötige Geld verfügte und neben seiner Frau auch noch Freundinnen hatte. Doch diese Parallele genügt nicht, um Schleich bereits als österreichischen Schindler bezeichnen zu können. Durch eine persönliche Bekanntschaft mit dem Schicksal der Juden konfrontiert, organisiert er 1938 in Zusammenarbeit mit der Grazer Kultusgemeinde Umschulungskurse für Juden, die vor den Nazis flüchten müssen. Josef Schleich verschließt sich nicht den Bitten um Hilfe und baut mit Wissen der Gestapo eine Auswanderungsbehörde für Juden in Graz auf, schmuggelt Juden über die Grenze nach Jugoslawien. Der Fluchthelfer Josef Schleich baut ein umfangsreiches Schleppernetz auf, ein ausgeklügeltes Transportsystem mit festen Sätzen pro gerettetem Juden und Informationsblättern für „Auswanderungsinteressenten“. „Er erzählte mir vorher genau, um was es sich handle, und sagte, das sind arme Teufeln, denen man helfen muß. So bin ich für ihn ungefähr 30mal gefahren, habe bei jeder dieser Fahrten bis sieben Personen mitgenommen. (...) Ich habe mir gedacht, die Leute werden dem Schleich Paläste bauen, wenn sie wieder zurückkommen“, erinnert sich ein Zeitzeuge. In seiner persönlichen Rechtfertigungsschrift, die Josef Schleich nach Kriegsende angesichts der Anklage wegen Bereicherung an Jüdischem schrieb, spricht er von 120.000 geretteten Juden. Nicht nur diese Zahl wird es gelten in weiteren wissenschaftlichen Forschungen kritisch zu beleuchten. Hannelore Fröhlich ist keine Historikerin und schildert den mühsamen Weg zur Geschichte ihres Vater, der angeblich durch Schweigen und Mißtrauen ihrer Halbgeschwister markiert war. Der Eckstein von Fröhlichs Gebäude ist ihre Entdeckung, daß ihre eigentliche Mutter, Berta Horiner, eine Sekretärin von Josef Schleich, als Jüdin in Auschwitz ermordet worden ist. Diese Geschichte ist jedoch durch nichts bewiesen und wird im Buch als Endpunkt einer esoterischen Selbstfindung beschrieben. „Die Prozeßarbeit war ein groBer Wachstumsschritt auf meiner Suche nach Ganzheit. Ich erlebte mich wie eine Zwiebel, sorgfältig und liebevoll löste sich Schicht um Schicht.“ Prozeßarbeit verträgt sich jedoch nicht mit der Suche nach der historischer Wahrheit. Für Verwandte von Berta Horiner, die heute in Israel leben, ist diese erfundene und phantasierte Familiengeschichte gelinde gesagt eine Frechheit. Doch auch ein anderer unehelicher Sproß von Josef Schleich, Josef Roschker, der in Deutschland lebt, ist über diese Anmaßung empört. Auch für ihn ist klar, daß die jüdische Mutter von Frau Fröhlich eine pure Erfindung ist, „um sich wichtig zu machen“, Berta Horiner sei nie schwanger gewesen, und außerdem hätte er Frau Fröhlichs Mutter damals sogar im Spital nach der Entbindung besucht. „Die Hälfte der Geschichten über Josef Schleich hat sie von mir gehört, da ich nicht nur als Zeitzeuge, sondern auch als Tatzeuge dabei war.“ Josef Roschker hält seinen Vater keineswegs für einen „Österreichischen Schindler“. „Er hat dafür Geld genommen und daran verdient. Wenn ich aus ihm einen Märtyrer hätte machen wollen, hätte ich das die letzten 30 Jahre tun können.“ Hannelore Fröhlich beharrt darauf, daß Berta Horiner ihre Mutter war. Auf ihre Frage an die Geschwister, wer wirklich ihre Mutter sei, habe sie durch Jahre hindurch nur ausweichende Antworten erhalten und den Hinweis, daß keine Aussage möglich sei, da sie zu dieser Zeit nicht in Graz gewesen seien. „Jetzt plötzlich erzählen sie von dem Spitalsbesuch“, so Fröhlich. Eine Bestätigung, daß Berta Horiner tatsächlich die Mutter gewesen sein könnte, erhofft sie sich von Dr. Walter Brunner vom Steirischen Landesarchiv. So findet sich laut Dr. Brunner in einem Bericht über Schleif in einem Wiener Hotel der Hinweis, daß Josef Schleich mit zwei Frauen — eine davon schwanger - angetroffen worden sei. Der Kontakt von Josef Schleich mit Berta Horiner sei darüber hinaus auch mit der Deportation nach Theresienstadt nicht abgebrochen. Die Weigerung von allen Seiten, diesen Teil der Geschichte zu akzeptieren, führt Frau Fröhlich auch auf Erbschaftsstreitigkeiten und Neid zurück. Josef Schleich hätte für sie Geld in der Schweiz deponiert, nach seinem Tod seien jedoch alle Unterlagen verschwunden. Der Erbschaftsstreit habe sich innerhalb der Familie über 13 Jahre hingezogen. Neid gebe es, weil sie jetzt den ersten Schritt gesetzt habe, die Geschichte von Josef Schleich zu schreiben. Diese Fragezeichen ändern nichts an der Tatsache, daß mit Hilfe von Schleich Juden aus der „Ostmark“ fliehen konnten — wieviele wird noch zu klären sein. Die Legenden um Josef Schleich werden noch so lange bestehen, solange die Geschichte nicht wissenschaftlich durchleuchtet wird. Hannelore Fröhlich hat ein Buch geschrieben, bei dem viele Fragezeichen zu setzen sind, die wahre Geschichte von Josef Schleich muß erst geschrieben werden, diese Geschichte wird nicht umhin können, auch die familiären Verwicklungen und Betroffenheiten zu analysieren. Trotzdem muß man ihr dankbar sein, daß sie den Anstoß gegeben hat, sich mit diesem „Vergessenen“ zu beschäftigen, um so vielleicht auch in Zukunft eine bislang unbekannte Seite der Flucht vor dem NS-Regime schreiben zu können. Robert Streibel Hannelore Fröhlich: Spurensuche. Mit einem Nachwort von Walter Brunner. Graz: Steirische Verlagsgesellschaft 2000. 176 S. OS 291,55