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Das Erste, was ich von Kramer sah, waren „Die Grünen Kader“ und „Die Untere Schenke“ in der Hand des Surrealisten Max Hölzer. Er propagierte Kramer, und ich war leicht für ihn zu gewinnen, für diesen lyrischen Charakter, der sprachlich kaum weniger markant hervortritt, als Rilke, George und Brecht. — Das war noch in der alten Zeit, nicht lang nach dem Krieg, in Kärnten. Vollendet hat sich der unmittelbar mächtige Eindruck, den ich von Kramers Gesang empfing, mit der „Gaunerzinke“ und mit „Wir lagen in Wolhynien im Morast“. Also vorbereitet, gelangte auch an mich eine Werbung für Kramer, als einem Pflegefall, durch Gertrude Rakovsky in Wien. Kramer sei in England einsam und leidend, es fehle ihm an allem Möglichen, man müsse sich seiner annehmen und ihm vor allem auch solidarische Briefe schreiben. Ich ließ mich sofort darauf ein, schrieb Kramer meine Begeisterung, und alsbald war ich von den Ansprüchen, die er an meine Verehrung stellte, schwer in Anspruch genommen. Zur Fessel, die seine lyrischen Eigenschaften um mich gelegt hatten, kam nun noch die Verflechtung, durch seine Briefe, und ihre Meldungen iiber seine Misere. Ich dachte nicht, daß er auch anderen dieselben dringenden Briefe schrieb, daß die Last nicht allein auf meinen Schultern liege. Ich bin für Kramer dann an allerlei Leute herangetreten, die ich in eigener Sache nie gesehen hätte, mit wenig Erfolg, man schien mehr an mir als an Kramer interessiert zu sein, und vor allem alte Bekannte von ihm waren sehr zurückhaltend und sprachen sogar Warnungen aus. Hilfsbereit war vor allem der Ministerialbeamte Hans Brunmayr. Er hat, nachdem Kramer der Schlag getroffen, dessen Repatriierung und Versorgung betrieben. — Indessen hatte Kramer mich mit einem Faktor der Israelitischen Kultusgemeinde in London, Fritz Brassloff, bekannt gemacht, der mich noch extra informieren sollte, denn Kramer hatte mich dazu ausersehen, Verwalter seines Nachlasses zu sein. Eines Tages ist Kramer, von Brassloff gegängelt, in Schwechat gelandet. Ich hatte ihn mit Brunmayr abgeholt, und wir brachten ihn in die Pension bei Maria am Gestade. Da sagte Brassloff zu mir: „Herr Guttenbrunner, da haben Sie ihn nun.“ Und setzte fort: „Ich nehme an, Sie werden jetzt öfter mit Kramer beisammen sein, sich seiner annehmen und auch mit ihm essen gehen. Da mache ich Sie darauf aufmerksam: Kramer hat selbst Geld und er muß seine Zeche selbst bezahlen.“ Kramer sah mich dabei still an, und in seinen Augen stand die Frage, ob ich auch so dächte? Oder ob das bei mir nicht womöglich ganz anders wäre? Es war dann so, daß er den Kellner mit gespannter Ruhe neben sich stehen ließ, und ich mich immer wieder diesem Verhalten fügte. Kramer war eine imposante Erscheinung, groß, breit, stämmig und wie ein Bild kräftig gemalt und in tiefen Schatten getaucht; übrigens dick bekleidet, und das breite glattgestirnte Haupt hutbedeckt. Er hatte weich und tief eingebettete Kinderaugen, eine Stupsnase und dicke rote Lippen. Das Gesicht war im Grunde hübsch, nur jetzt durch die Facialislähmung einseitig vom