OCR
Auge auf den Mundwinkel herab festgezerrt. - Seine Ähnlichkeit mit einigen Bildern von Schubert ist oft bemerkt worden; ich füge dem noch etwas Physiognomisches von einem jüdischen Neger hinzu. Er hatte, so lange ich ihn sah, eine gute Gesichtsfarbe, und ich fragte mich beim Mark und Nachdruck seiner Rede, und wenn es ihm schmeckte, immer wieder wie er in den Geruch kommen konnte, bresthaft zu sein. Und als ich mit ihm in die Krise kam, die das schon feste Verhältnis zerriß, da hatte ich immer noch das Gefühl, er lebt länger als ich, und: er bringt mich um! Ich hatte das Gefühl, mit ihm allein auf der Welt zu sein, und daß außer meinen nächsten Freunden niemand etwas von ihm wissen wollte. Fatal war, daß ich mein Mädchen, das in Klagenfurt lebte, dazu vermocht hatte, mit Kramer in Briefwechsel zu treten, und daß dieser mir sagte, er korrespondiere ganz unabhängig von mir mit ihr, und daß seine Briefe an sie sexuelle Anspielungen enthielten. Dasselbe Ärgernis gab er mir noch im Zusammenhang mit einer anderen Freundin, die ich ihm zugeführt hatte. Ich liebte und bewunderte Kramer; aber seine alles durchdringende sexuelle Thematik war mir von Anfang an unheimlich. Ich hatte dergleichen Offenheit, und wie er die Sache traktierte, noch nicht erlebt. Die Last, die er damit auf mich legte, wie auf ein lastsames Kamel, empörte mich eines Tages dergestalt, daß ich ihm einen Abschiedsbrief schrieb: darauf ist Erwin Chvojka bei ihm an meine Stelle getreten. Kramers kurz darauf erfolgter Tod hat mich tief erschüttert und sich mit einem schweren Notensatz ins Gewissen geschrieben. Erlauben Sie mir noch einen Wesenszug des großen Dichters anzudeuten. Als wir eines Tages vom Rathaus zum Burgtheater gingen, begegnete uns ein Herr, der vor Kramer zur Seite tretend den Hut vor ihm abzog und mit tiefer Verbeugung seinen Namen nannte. Kramer stand wie ein Pflock. Der Andere wiederholte seinen Gruß, und fügte Näheres hinzu. Kramer schwieg und rührte sich nicht und war finster wie eine Gewitterwolke. Da sagte der andere: „Erkennen Sie mich nicht? Ich war Ihr Treuzeuge!“ Da knurrte Kramer: „Der Teufel soll Sie holen!“ und wir gingen weiter. Kramer war von einer auffallenden Aufrichtigkeit. Ich hatte nie das Gefühl, daß er stilisiert. Der Brustton der Überzeugung: bei ihm war er echt. Aus ihm sprach Gerechtigkeitsgefühl. Ein Urteil fällen, so oft, so leicht, für ihn war es buchstäblich der Schluß eines langen subtilen Prozesses von pro und contra. Ein geraumer Prozeß, den er auch gegen sich selbst führte. Er war ein gerader, aber hypochondrischer Charakter. Und er winselte immer wieder wie ein armer getretener Hund. Die tägliche Litanei war, daß er seine vielen Gedichte nicht mehr werde feilen können, und daß sich kein Verleger mehr finden würde, sie im ganzen Umfang zu drucken. Seine Kunsttheorie war zünftig. Ein Gedicht ist im stofflichen Vorwand, in Aussage und Form etwas Konkretes, Überprüfbares, und formal, metrisch in sich abgerundet und geschlossen. Es muß rund sein. Er habe von Dichtern wie Bürger und Chamisso gelernt in der Anschauung; das Feilen aber von seinem Freund Joseph Kalmer. Von Dichtern wie Felix Braun und Alexander Lernet-Holenia, ja auch, andeutungsweise, von Rilke, hielt er nichts, oder er sprach mit Spott von ihnen, sie hatten für ihn keine oder nur eine sehr vertrackte Wahrheit. Übrigens, so tief sich Kramer der Gerechtigkeit beugte, so hoch erhob er sich, gereizt, in stolzem Selbstgefühl. Er war von seiner Bedeutung überzeugt. — Politisch war er, wie er immer wieder betonte, Sozialdemokrat; und zwar ein überzeugter, und konservierter, einer von dazumal, denn die Partei oder Bewegung, die er meinte, gab es nicht mehr. Er war der letzte Mohikaner. Theodor Kramer, das ist fast eine Gestalt wie der spanische Volkssänger Don Miguel von Sevilla, den Zuloaga 1898 gemalt hat — das Bild ist im Belvedere; der Volkssänger, der mit der Schriftrolle seiner Gedichte in der Linken, in der rechten Hand den Wanderstab, von Haus zu Haus pilgert und den armen Leuten seine Lieder singt. Damit ist der Mann aus Hollabrunn mit der Ziehharmonika stilisiert, im Gegensatz zur spanischen Eiche ein gefühlvoll sordinierter Sänger und zitternder lyrischer Rächer der Enterbten. Er ist so hoch und breit wie das Hügelland, auf dem Rüben und Wein geerntet werden; und er schallert vom Rande der Großstadt, der zerfranst ist von Fabriksanlagen, Schrebergärten und notdürftigen Siedlungen. Ein Dichtermythos, den Daniela Strigl bewahrt wissen wollte im ersten Titel der Kramerblätter, als sie gegen dessen Veränderung in „Zwischenwelt“ Einspruch erhob. Kramers Vortragsstil aus seiner durch und durch sentimentalen, rhythmischen und melodischen Schöpfung hatte viel Trommel und Tremolo, gedämpft. Es waren viele Baßnoten darin, sordinierte Pauken, das Ganze piano, getragen, scharf akzentuiert. Er war von schwerwiegender Geschlossenheit, runder, rollender Schwere. Seine Rezitation hatte oft etwas Vollstreckendes. Gedichte wie „Moses Vogelhut“, „Das Abendmahl“, „Die Schnapshütte“, „Der böhmische Knecht‘ und die „Grünen Kader“ wurden „vollstreckt“. Das Bleibende und in die Ferne Wirkende des Eindrucks — ich wiederhole es — war schwerevolle Geschlossenheit, das Runde des einzelnen Strophenbaus, das Rollende des Ganzen, wie Räder in daktylischem Takt. Kramer war ein Schnorrer. Er hielt die idealistische begründete Existenzform eines solchen in der bürgerlichen Gesellschaftsordnung für berechtigt. Ich verweise auf die Theorien von Richard Wagner und Erich Mühsam. Andererseits war er einem Imperativ von patriarchalischer vorrevoultionärer Korrektheit und Ehrbarkeit verpflichtet, des Dienstes ewig gleich gestellte Uhr war akzeptiert, der ausbedungene Lohn muß pünktlich abgearbeitet werden. Im Gedicht „Alte Arbeiter“, womit Arbeiter einer alten Zeit und Arbeitswelt gemeint sind, ist derlei ausgesprochen. Das Ansinnen, sich fallen zu lassen und vom Staat versorgt zu werden, hat er immer wieder zurückgewiesen. Er hielt den Staat an sich nicht für verpflichtet, und es hat des Schlaganfalls bedurft, der Arbeitsunfähigkeit und eines ständigen Einredens, ihn darin umzustimmen. Meine Damen und Herren, Freunde Kramers und der Dichtkunst, ich schließe mit einer Strophe auf Theodor Kramer: Der Angstschweiß war sein sicherster Verbleib, und was ihn niederschwemmte, sein Bedarf. Was er berührte, war sogleich verwandelt, geschwärzte Fracht, gebündelt und im Faß, und auf dem Untermarkt verhandelt. Dort dreht ein Umschwung ohne Unterlaß. Die Invaliden toben im fahlen Wirtshausschein. Herr, führe die dich loben, in seinen schwarzen Wein!