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Theodor Kramer hat ihn einen „aufrechten Mann“ genannt, einen „schrecklich kritischen Kauz“, einen „phantastischen Kerl“, einen „Klachel“, einen „Batzen Bursch“ und einen ,,streitbaren Kampel“: 1951 hatte Michael Guttenbrunner ihm ins englische Exil einen bewundernden Brief geschrieben und eine Korrespondenz eröffnet, die bis zu Kramers Todesjahr 1958 dauern sollte. In den fünfziger Jahren war Guttenbrunner Kramers Mann in Wien. Der junge Dichter, der für sich selbst alle Wege und Umwege der Intervention, alle Reklame und kollegiale Seilkameradschaft ablehnt, wirft sich für den Exilierten mitten ins Getümmel: Er knüpft unermüdlich Fäden zu Ministerialbeamten, zum Unterrichtsminister, zu Redakteuren. Er „schlägt“, wie er an Kramer schreibt, mit seinem „Namen drein“ und stellt „die peinliche Frage“, nämlich warum sich dort keiner um den einst Berühmten schert, „argumentierend wie ein schlagendes Wetter“. Er trägt dessen Gedichte „überall herum wie ein Katze ihre Jungen“, er liest daraus seinen Freunden im Wirtshaus vor, ja sogar den Patienten und Ärzten der Nervenheilanstalt Klagenfurt, wo er 1953 interniert ist, nachdem eine Auseinandersetzung ihn, einmal mehr, ins Gefängnis gebracht hat. Als „letzter Ritter in Österreich“ agitiert er für den älteren Kollegen, „pflichtgemäß beschäftigt wie nur ein Mann, der zur Liebesfeier oder zum Krieg rüstet.“ Immer wieder äußert er seine Bewunderung: „Sie sind bildender Künstler in der Sprache; Ihre Gedichte greifen wie mit Händen, sie führen und stoßen und setzen einen Fuß vor den anderen — wahrhaftig — sie gehen, und sie nehmen mich mit!“ Guttenbrunner brachte den Verleger Otto Müller dazu, eine Auswahl Kramerscher Gedichte unter dem Titel ‚Vom schwarzen Wein“ zu veröffentlichen und übernahm selbst die Herausgabe. Die Freundschaft zerbrach, als Kramer 1957 krank nach Wien heimkehrte und, in nächster Nähe, dem Hilfsbereiten unerträglich wurde. In seinem Prosaband „Im Machtgehege V“ schreibt Michael Guttenbrunner im Jahr 2001 von einem Germanisten, der eines seiner Gedichte lobte: „es sei ‚im naiven Ton‘ der dreißiger Jahre Theodor Kramers geschrieben. Das heißt, er nimmt mich in den Mund, um mich auszuspucken. Er selbst spricht ein schlaff zerlassenes Deutsch, kennt weder mich noch Kramer und nicht den Unterschied von Tag und Nacht.“ Aus dieser Notiz kann man erstens ersehen, daß man als Germanist oder Germanistin auf der Hut sein muß, wenn man sich mit Guttenbrunners Werk befaßt. Und zweitens, daß das auch — oder erst recht — dann gilt, wenn man es lobt. Drittens fällt daraus ein Licht auf das Verhältnis zwischen Kramer und Guttenbrunner, ein Licht, kein Schatten. Denn nicht der Vergleich kommt dem Ausgespucktwerden gleich, sondern die falsche Charakteristik: Kramers Ton war nie „naiv“ und der Guttenbrunners auch nicht — und diese Gemeinsamkeit wiederum be Während er aber gesteht, es sei ihm nichts „zu gestelzt, zu artifiziell“, hat Kramer seine Schwierigkeiten mit der „Schönen Literatur“ und liest ebenso so selten wie ungern Lyrisches. Bei den Gedichten seines Brieffreundes fehlen ihm die „runden Strophen“, er lobt zwar „geniale Stellen“, spricht von „erstaunlicher Begabung“, rät dem jungen Kollegen aber, „von der Realität auszugehen“: „Ich weiß einfach nie, worum es sich handelt.“ Michael Guttenbrunner findet sich damit ab, daß das Verhältnis ein einseitiges ist: „Sie verstehen mich und mein Sein nicht, ich aber auch nicht Sie und Ihre Anschauungen, nur Ihre