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Gedichte verstehe ich und viele derselben nenne ich wahr und schön und mehrere unvergleichlich.‘“ Auch Kramer erkennt das Ungleichgewicht, er schätzt „Ihre ganz ungewöhnliche Fähigkeit, sich so mit dem Werk eines anderen zu befassen“. Guttenbrunner und Kramer — zwei Dichter wie Tag und Nacht? Ohne viel nachzudenken will man den ersten dem Tag zuschlagen, den zweiten der Nacht. Und das, obwohl Michael Guttenbrunner es weiß Gott von Anfang an mit der Dunkelheit aufgenommen hat: „Schmerz und Empörung“ hieß die lyrische Anthologie, die der Kriegsheimkehrer 1946 gegen das Grauen des Erlebten aufbot. Im Jahr darauf folgten der erste Gedichtband „Schwarze Ruten‘ und das poetisch aufgeladene Prosabuch „Spuren und Überbleibsel“, beide nicht minder von Krieg, Mord und Tod bestimmt. Das Taghelle an diesem Werk kommt vielleicht aus Guttenbrunners Aktivismus oder gar Aktionismus: dem literarischen wohlgemerkt. Der Dichter selbst hat den Succus seiner Gedichte „Affekt und Attacke‘ genannt. So ist eben nicht der Schmerz das Prägende in seinem Werk, sondern die Empörung. Guttenbrunners Zorn, lodernd und mitreißend, hat etwas Erhellendes, während Theodor Kramers Melancholie, bei aller und in aller Sinnlichkeit, zur Nacht, zum Nichts drängt. Und hell, auf berückende Weise sonnenklar ist Guttenbrunners Phänomenologie des Geistes und des Ungeistes, sind seine aus einer scheinbar undurchdringlichen Wirklichkeit ausgeschnittenen Prosa-Miniaturen. Michael Guttenbrunner als Preisträger des Theodor KramerPreises: Das ist ein mehrfacher Glücksfall. Zum ersten weil in ihm einer geehrt werden kann, der Kramer nicht bloß gekannt und verehrt hat, sondern einer seiner wichtigsten Helfer, Propagandisten, Interpreten war. Sodann ist der Preis definiert für „Schreiben im Widerstand und im Exil“. Guttenbrunner war nie im Exil, aber immer im Widerstand, von seiner ersten subversiven Betätigung als Sozialdemokrat im Ständestaat, von seiner neuerlichen monatelangen Inhaftierung durch die neuen Machthaber nach dem Anschluß, von den lebensgefährlichen Insubordinationen in der Wehrmacht, bis zu seinen amtsbekannten Konflikten mit dem braunen Bodensatz in der Kärntner Provinz und zu seinem Aufbegehren gegen die Zumutungen des Fortschritts. Und wiewohl sich das nicht mit dem Zwang der Naziherrschaft vergleichen läßt: Michael Guttenbrunner steht und schreibt auch heute im Widerstand, im Widerspruch zu seiner Zeit. Drittens und vor allem aber: Sein literarisches Werk hat den Gesinnungsbonus nicht nötig, es steht da, um eine von Kleist entlehnte Lieblingswendung zu gebrauchen, „gehauen und gestochen“. Guttenbrunner ist ein Verseschmied in des Wortes eigentlicher Bedeutung: einer, dessen Verse Formanstrengung genauso verraten wie Präzision und die gültige Verfestigung ehemals flüssiger Wort-Glut, nun lakonisch zugespitzt und im Feuer der Erfahrung gehärtet. Für Guttenbrunner, als junger Mensch ärmlichster Herkunft von Karl Kraus’ „Fackel“ entzündet, war die Sprache nie Experiment, sondern „heilsame Übermacht“. Als bekennender Anhänger des Klassizismus entfernte der Lyriker sich zusehends vom literarischen Zeitgeschmack. Sein trotziges Pathos vertrug sich nicht mit der neuen Nüchternheit: 1954,vor genau fünfzig Jahren, erhielt er noch den prominenten Georg-Trakl-Preis, dann wurde es stiller um ihn. Dabei fand er mehr und mehr zu seiner eigenen Form, verknappt, komprimiert, destilliert — kein Epigone, nicht einmal im wohlmeinenden Sinne von Karl Kraus, und kein Eklektiker, vielmehr ein „Selbstdenker“, wie Lichtenberg das nennt, ein Selbstbildner und ein Selbstdichter. Bei ihm weitet sich das Biographische ins Mythische, wie im Titelgedicht des frühen Bandes „Opferholz“; im Unterschied zu Thomas Bernhard hat Guttenbrunner das Holzfällen nicht nur literarisch und metaphorisch betrieben, sondern wirklich, als Taglöhner in den Karawanken: „Sonst war der Worte Aufstieg flaumenleicht,/jetzt würgt sie jeder Schlag,/wenn von heiBem Blick gebannt/des Eisens Schärfe zuschlägt ins Opferholz.“ Da ist das Opferholz der Sprache, dem der Schreibende zu Leibe rückt. Aber dem Dichter kommt es auch zu, daß die wirkliche Wirklichkeit sich nach seiner poetischen richtet - in einem Prosaband bezeugt Guttenbrunner, er habe ein Jahr darauf in der Gegend von Viktring im Wald eine rostige Blechtafel mit der Aufschrift „Ortschaft Opferholz“ gefunden: „Damit war das nie zuvor gehörte Wort, das ich gebildet zu haben glaubte, autorisiert.“ Die Autorisierung durch höhere oder jedenfalls äußere Mächte gehört zum paradoxen Selbstverständnis des Autors Guttenbrunner, der das Gedicht einmal „die unwirksame Selbstverbriefung eines Amtes, für das es keine Bestallung gibt“ genannt hat. Sein öffentlicher Ruf war zu Zeiten ein anderer, und er überschallte die Stimme seiner Dichtung: „Bei aller Vergeblichkeit gelang es mir, für Fachjargon, Komfortgesinnung und Reklamegeist unbegreiflich zu sein. Daher das Presseklischee; meine Sprache sei grob, ich sei ein in Zorn, Wut, Ohnmacht verharrendes gekränktes Kind“. Ganz von ungefähr kam dieser Ruf freilich nicht: Berühmt wurden die Handgreiflichkeiten gegen einen weiter (oder wieder) in Kärntner Kulturdingen amtierenden Altnazi namens Dinklage, der einige Verse „Guttenbrunners für den Fremdenverkehr zweckentfremdet hatte. Legendär auch Thomas Bernhards Telegramm: „Warum nur zwei Ohrfeigen? Herzlichen Glückwunsch, danke.“ Es scheint aber, als würde das gegensätzliche Bild den Porträtierten noch mehr aufbringen: Vor einigen Jahren hat — Begleitmusik des würdigen Alters - ein Journalist ihn den „unumstrittenen Doyen der Kärntner Dichtung“ geheißen. Das war so nicht hinzunehmen: „wie kann denn einer wie ich, und so vereinzelt, der vom Tal bis an die Gletscherwand und von der Drau bis zur Donau fast alles verneint, unumstritten sein? Es ist nicht wahr. Einer der überhaupt nicht zählt!“ Als „Nörgler‘“ aus Berufung steht Guttenbrunner in Karl Kraus’ Diensten. Gekämpft, gestritten hat er tatsächlich sein Leben lang und auch Kollegen am Zeug, am Werkzeug geflickt: Karlheinrich Waggerl, Christine Lavant, Josef Weinheber, W. H. Auden, H. C. Artmann, Ingeborg Bachmann, Felix Mitterer zum Beispiel. Gewiß kann man Michael Guttenbrunner bewundern, ohne seine Meinungen in allem zu teilen. Mit dem Modernen hat der „letzte Mohikaner“, wie er sich selber sieht, seine liebe Not, will er seine liebe Not haben. Auf durchaus unzeitgemäße Art dem Begriff des Schönen verpflichtet, weigert er sich, in Zeiten des Kulturkampfes sein Zelt in einem Lager aufzustellen, dessen Grenzen politisch abgesteckt sind: „Zwischen ‚links‘ und ‚rechts‘ muß es noch andere Dimensionen geben. Das Entweder-Oder, entweder Lobisser [der NS-Holzschnittkünstler] oder Cornelius Kolig ist ein Zumutung.“ Auch für sich selbst hat Guttenbrunner nie mildernde Umstände ins Treffen geführt. Seine lebenslange Auseinandersetzung mit dem Krieg war zugleich eine mit der eigenen Beteiligung, der eigenen Fahnentreue. Obwohl wegen Aufwiegelung 1944 zum Tode verurteilt (und zum Frontdienst in der SS-Sturmbrigade Dirlewanger begnadigt), zeiht er sich des