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„feigen Verharrens im Reglement“, gegen das „kosmische Stimmen“ ihn aufstachelten: „Aber der Militärsklave zerriß seine Ketten nicht; er flocht noch selbst andere Ketten hinein, die aufs feinste aus frommen Sprüchen und Sätzen der Stoa geflochten waren. Doch wie immer er sich auch klemmte und zwängte, das Weltall war antimilitaristisch und gab keinen Erlaß.“ Guttenbrunner kämpfte in Jugoslawien, Griechenland, Rußland, Italien und Ungarn, er wurde zweimal schwer verwundet. Die Begnadigung zur Strafkompanie verdankte er nicht zuletzt seiner Tapferkeit, die dem Divisionskommandeur aufgefallen war. Mit der eigenen Verführbarkeit durch „Wein und Lorbeer“, durch den Rausch der Männer-Gemeinschaft und des Ruhmes, hat er später unnachsichtig abgerechnet. In einer Notiz berichtet er von der Begegnung mit gefangenen jugoslawischen Soldaten während des deutschen Vormarsches: „Und ich spürte noch brennender die Schmach der Gegenrichtung. Nun stieß ich selber an die Opfer an. Ich lernte, was es heißt: mit der Waffe in der Hand und über Leichen durch fremdes Land zu fahren und so seiner Verschändung und der Vernichtung seiner Kinder beizuwohnen.“ Kein Zweifel besteht für ihn daran, daß erst der Krieg in Rußland „der eigentlich vernichtende totale Krieg“ war: „vernichtend für einen jeden von uns“. Für Guttenbrunner ist eingetreten, was Kraus schon 1924 befürchtete: Es ist dem Teufel gelungen, „der Menschheit das Hakenkreuz einzubrennen. Es ist geschehen und bleibt uns eingebrannt, wie wir uns auch wenden.“ Umso vehementer attackiert der Krausianer die phrasengesättigte Beflissenheit, mit der Rituale des Gedenkens ohne Nachdenken abgewickelt werden: der Nationalsozialismus (den er der Wahrheit zuliebe „‚Nationalbestialismus‘“ genannt haben will) als rhetorische Spielwiese und Kraftkammer. Für Michael Guttenbrunner wird nicht zuletzt die Annährung an Griechenland zur persönlichen Form der geistigen Wiedergutmachung. Entweiht durch die deutsche Militärmaschinerie, sind die Sehnsuchtsländer der Klassik für jede naive Schwärmerei verloren. Guttenbrunner entdeckt für sich das byzantinische Hellas und die neugriechische Literatur von Nikos Kazantzakis bis Jannis Ritsos. Und er entdeckt die Griechen, leibhaftig, als Freunde, wie er im Gedicht „Nach vierzig Jahren“ ungläubig vermerkt: „Hier, wo es über Griechenleichen ging,/ gehst du mit Griechen jetzt zum Wein.“ Der Grieche figuriert in Guttenbrunners Werk als der Inbegriff von Freiheitsliebe und Todesverachtung. Wie für den Griechen die Liebe zu seiner Heimat gerade die Voraussetzung für seinen Widerstandsgeist ist, so gibt es auch für Guttenbrunner hier keinen Widerspruch: Kärnten ist dem leidenschaftlichen Verfechter der slowenischen Sache ganz selbstverständlich „die Urstätte meines Patriotismus und des Konflikts mit der herrschenden Ordnung, schicksalhaft und verhängnisvoll durch (...) Nationalhaß und die Trennung der Völker. Aber auch das bindet an die heimatliche Scholle.“ In der Reihe „Im Machtgehege“ verhandelt Guttenbrunner derlei Fragen und berichtet, wie er der Macht ins Gehege gekommen ist. Seit dem luziden Lyrikband „Lichtvergeudung“ (1995) hat er sich, abgesehen von einer Sammlung „Politischer Gedichte“ (2001), zunehmend auf die Kurzprosa konzentriert, soeben ist Band VII erschienen. Hier zeigt er sich wie auch in seinen Essays als Meister der Charakteristik im griechischen Wortsinn: als einer, der die Prägung, die Eigenart von Menschen und Landschaften, Städten, Bauwerken und Tieren mit verblüffender Deutlichkeit freilegt - und damit zugleich erst erstehen läßt. In seiner Prosa glän zen einzelne Wörter auf, unabgegriffen, frisch, wie Kieselsteine in einem Bergquell, ein Labsal für den abgestumpften Sprachkonsumenten. Zu seinen schönsten Texten zählt, was Guttenbrunner, der einstige Roßknecht, über Pferde geschrieben hat, Bilder eines Wesens, das ungebrochen Vitalität und Schönheit verkörpert, sinnlich und symbolisch zugleich, als Abbild des Dichterrosses Pegasos. Die Welt des Pferdes, die Welt der maßvollen Geschwindigkeit und des maßvollen Lärms beschwört er in den Erinnerungen an seine Jugend, er findet sie aber auch noch lange in den Ländern des Mittelmeers. Was er etwa über Kreta sagt, das er in den Reihen der Wehrmacht heimgesucht hat, über die Kühnheit seiner Natur und die Kühnheit seiner Bewohner, es gräbt sich in zwingender Bildlichkeit und Prägnanz ein — ich war gerade dort, ich konnte nicht anders, als die Insel durch Guttenbrunners Augen zu sehen: Augen, die das Geschaute zerlegen und in wundersam organischer Gestalt neu zusammensetzen. Und „Der Kreter“ ist in seinem Gedicht gleichsam der Grieche zur Potenz, der ewige Empörer, der jeden Frevel überdauert: „Nie stirbt das Recht. Das ist wie das Meer./Dagegen ist der Haß der Welt Geklimper./Mit keiner Wimper zuckend wacht ein Aug’/In mir, das alles sieht, und ewig unbewegt.“ Theodor Kramer bekannte dem Brieffreund einmal seine vielen Schwächen: „Aber ich glaube, daß ich als Dichter ein Mann bin.“ Michael Guttenbrunner hat, nach diesem altertümlichen Verständnis von Männlichkeit und Mut, zwischen Leben und Dichtung nie einen Unterschied gemacht. Ich gratuliere Ihnen!