OCR
Stacheldraht, mit Tod geladen, Ist um unsre Welt gespannt. Drauf ein Himmel ohne Gnaden Sendet Frost und Sonnenbrand. Fern von uns sind alle Freuden, Fern die Heimat und die Fraun, Wenn wir stumm zur Arbeit schreiten, Tausende im Morgengraun. Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt, Und wir wurden stahlhart dabei. Bleib ein Mensch, Kamerad, Sei ein Mann, Kamerad, Mach ganze Arbeit, pack an, Kamerad: Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei. Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei! Vor der Mündung der Gewehre Leben wir bei Tag und Nacht. Leben wird uns hier zur Lehre, Schwerer, als wir’s je gedacht. Keiner mehr zählt Tag’ und Wochen, Mancher schon die Jahre nicht. Und so viele sind zerbrochen Und verloren ihr Gesicht. Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt, Und wir wurden stahlhart dabei. Bleib ein Mensch, Kamerad, Sei ein Mann, Kamerad, Mach ganze Arbeit, pack an, Kamerad: Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei, Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei! Heb den Stein und zieh den Wagen, Keine Last sei dir zu schwer. Der du warst in fernen Tagen, bist du heut schon längst nicht mehr. Stich den Spaten in die Erde, Grab dein Mitleid tief hinein, Und im eignen Schweiße werde Selber du zu Stahl und Stein. Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt, Und wir wurden stahlhart dabei. Bleib ein Mensch, Kamerad, Sei ein Mann, Kamerad, Mach ganze Arbeit, pack an, Kamerad: Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei, Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei! Einst wird die Sirene künden: Auf zum letzten Zählappell! Draußen dann, wo wir uns finden, Bist du, Kamerad, zur Stell. Hell wird uns die Freiheit lachen, Schaffen heißt’s mit großem Mut. Und die Arbeit, die wir machen. Diese Arbeit, sie wird gut. Denn wir haben die Losung von Dachau gelernt, Und wir wurden stahlhart dabei. Bleib ein Mensch, Kamerad, Sei ein Mann, Kamerad, Mach ganze Arbeit, pack an, Kamerad: Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei, Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei!® 12 Die Anpassung an den Terror mußte mit der Hoffnung auf ein Überleben in einer neuen Welt verknüpft sein, um ausgehalten werden zu können. Und eine Anknüpfung an die alte Welt, die den Männern zerstört wurde, wurde maßvoll gehegt: „Fern von uns sind alle Freuden/ Fern die Heimat und die Fraun ...“ Hilde und Ernst Federn wollten im Frühjahr 1938 heiraten. Wäre ihnen die Eheschließung gelungen, wäre Hilde nach den Kategorien der „Nürnberger Gesetze“ aus einem „Mischling ersten Grades“ zu einer „Volljüdin‘‘ geworden, dann hätte ihr Schicksal einen anderen Lauf genommen. „Mischlinge“ sind wegen ihren familiären Beziehungen zu „Ariern“ den Krieg über von Deportationen ausgenommen worden, weil die Nazis einen Bruch der Geheimhaltung ihres Vernichtungsunternehmens befürchteten. Wäre Hilde Federn eine „reine Arierin“ gewesen, hätte sie mit dem „Juden“ Federn im KZ keine Verbindung unterhalten dürfen, weil sie damit das schwer inkriminierte Delikt „Rassenschande“ begangen hätte. Der „Mischling“ Hilde blieb vom Schlimmsten verschont, was sie aber nicht wissen konnte, und durfte mit Ernst in Kontakt bleiben. Wie sagte Torbergs Tante Jolesch so treffend: „Gott bewahre uns vor allem, was noch ein Glück ist.“ Hilde Federn hat auf ihre Emigration verzichtet, weil sie sich für Ernst verantwortlich fühlte. Sie hat versucht, ihrer beider Emigration zu betreiben, mit hohem Kraftaufwand und letztlich ohne Erfolg. Sie hat Ernst mit ihrem und dem Geld der Familie Federn versorgt, das über komplizierte Kanäle von New York nach Wien kam, hat ihm Lebensnotwendiges geschickt und vor allem einen sicheren Liebes- und Lebenskontakt gehalten. Sie mußte sich intensiv für ihre Familie engagieren, da ihre „jüdische“ Mutter diskriminiert war und nur von der „arischen“ Familie gehalten werden konnte. Und selbstverständlich kümmerte sie sich auch um gefährdete Verwandte und Freunde. Hilde Federn konnte oppositionspolitisch nicht aktiv sein, weil sie ihre Verantwortung der Familie und ihrem Mann gegenüber nicht gefährden durfte. Alltagsnotwendigkeiten erzwangen in totalitären Systemen öfter politische Abstinenz, als wir uns vorstellen können. Hilde, die in streng zensuriertem Briefkontakt mit Ernst stand, wußte nichts vom Horror des KZ. Korrekte Informationen hatte sie keine, Ängste viele, und das Schlimmste konnte sie nicht denken, um nicht die Hoffnung zu verlieren. Sie erfuhr über ihre Kontakte von Gaskammern und konnte die Dimensionen des Massenmordes nicht realisieren. Gegen Ende des Krieges wurde sie als „Mischling“ zur Zwangsarbeit eingezogen und mußte ab 1943 im Horror des Bombenkrieges und der allgemeinen Knappheit und Gewalt bestehen. Auch in ihrem Alltag in Kriegs-Wien waren die Freuden mehr als fern.’ 1941 begann die Vernichtungsabsicht an den Juden in die Realität des KZ Buchenwald einzudringen. Für die in Buchenwald inhaftierten Juden kam es zu einer neuen, ungeahnt großen existentiellen Verunsicherung. Das Mordprogramm hob an mit Selektionen und Deportationen in die ehemaligen „Euthanasieanstalten“, und 1942 wurden die deutschen KZs „judenrein“ gemacht. Die Deportation der jüdisch kategorisierten Häftlinge in die großen Lagerkomplexe Lublin und Auschwitz wurde durchgeführt. Diese Deportationen führten zwar für die Mehrheit dieser Häftlinge nicht direkt in die Gaskammern, aber „Vernichtung durch Arbeit“ stand am Programm, und die Mordfabriken kamen nun in bedrohliche Nähe. Die Frage, wie bleibt man im vergleichsweise sicheren Hauptlager Buchenwald, war existentiell und beinahe unlösbar. Als „Nachtwächter‘‘ wäre Ernst Federn höchstwahrscheinlich