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an der Front herangezogen zu werden. Erst als sie auch einem Fallschirmspringertraining unterzogen wurden, zeichnete sich ab, was später zur Gewißheit werden sollte: die Männer wurden für vielleicht noch risikoreichere Spezialeinsätze in kleinen Gruppen hinter der Front ausgebildet. Dies erfolgte im Rahmen der Special Operations Executive (SOE), einer Organisation, die aus dem britischen Geheimdienst hervorgegangen war und deren Zweck Sabotage, Unterwanderung der feindlichen Bevölkerung und Unterstützung lokaler Widerstandsgruppen auf gegnerischem Territorium war. Die Einsätze waren nicht nur der Fallschirmabsprünge wegen besonders riskant, sondern vor allem auch deshalb, weil die Männer bei ihren Einsätzen meist keine Uniform trugen und bei Gefangennahme nicht als Kriegsgefangene behandelt worden wären, wofür sich einige Beispiele aus den Reihen der österreichischen SOEAgenten nennen ließen. Nach weiteren intensiven Schulungen wurde Freud schließlich 1944 nach Italien, genauer nach Monopoli bei Bari, verlegt, wo er, wie seine Mitstreiter auch, auf den richtigen Zeitpunkt für den Einsatz warten mußte. Ursprünglich war er schon im Herbst 1944 als Teil eines Viererteams für eine Aktion vorgesehen; jedoch wurde dieser Einsatz durch die Verletzung eines anderen Gruppenmitglieds vereitelt. So kam es, daß Anton Walter Freud erst Ende April 1945, nach mehr als sechs Jahren per Fallschirm wieder auf österreichischem Boden landete. Infolge unglücklicher Umstände wurde er allerdings vom ursprünglichen Zielgebiet abgetrieben, landete fernab der anderen Gruppenmitglieder und mußte sich deshalb tagelang alleine durchschlagen. Trotzdem gelang es ihm, den Flugplatz von Zeltweg in der Steiermark, den zu sichern und vor deutscher Zerstörung und sowjetischem Zugriff zu bewahren den Agenten aufgetragen worden war, als erster seiner Gruppe zu erreichen. Während er sich bereits wieder auf dem Weg nach England befand, trafen erst seine Kollegen, einige Tage nach ihm, am Einsatzort ein. Zurück in England, sollte er noch auf dem fernöstlichen Kriegsschauplatz eingesetzt werden, doch wurde er durch die bald darauffolgende Kapitulation der Japaner davor bewahrt. Einige Zeit später wurde er jedoch reaktiviert und sollte nun, wie viele andere deutschsprachige Exilanten auch, die Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher aufnehmen. Im Rahmen der in Bad Oeynhausen stationierten War Crimes Investigation Unit war er mit der Untersuchung verschiedener Fälle betraut, so mit Ermittlungen über die Vorgänge im KZ Neuengamme. Vor allem aber war er in den Fall Tesch & Stabenow, jener Firma, in der Zyklon B-Gas für Auschwitz erzeugt wurde, involviert und konnte durch seine Befragungen zur Überführung und Verurteilung Dr. Hans Teschs beitragen, der geleugnet hatte, von der Bestimmung des Gases gewußt zu haben. Nach etwa einjährigem Dienst bei dieser Einheit hatte Freud genug von Militär und Krieg; er wollte studieren, eine Familie gründen, kurz: ein ganz normales Leben führen. Er wurde mit dem Rang eines Majors demobilisiert und ging im September 1946 zurück nach England, wo er im darauffolgenden Jahr die britische Staatsbürgerschaft erhielt. Danach studierte er technische Chemie und arbeitete bis zu seiner Pensionierung 1977 in der Chemiebranche. Aus seiner Ehe mit der Dänin Anette Krarup stammen drei Kinder. Er lebte in einem alten typisch englischen Landhaus mit einem gepflegten, schönen Garten, auf den er sehr stolz war. Bis zuletzt ließ er sich die Wahrung des Freudschen Erbes angelegen sein, hielt Vorträge über seinen Großvater, war wissenschaftlicher Beirat des Sigmund-Freud-Zentrums in Uchtspringe, Deutschland, und verfaßte noch ein Jahr vor seinem Tod die Einleitung zu der Biographie seiner Großmutter Martha Freud. Auf einen Rückruf in seine alte Heimat wartete er jedoch, wie so viele andere auch, vergebens, was er im Interview uns gegenüber auch besonders hervorhob. Selbstredend erfolgte auch kein Dank seitens der Republik Österreich für seinen Beitrag zur Befreiung, für die er immerhin Kopf und Kragen riskiert hatte. Allerdings schien er im Gespräch mit uns auch ein wenig skeptisch zu sein über den Nutzen und Wert seines Einsatzes, er meinte sinngemäß, daß die SOE-Aktionen eigentlich kaum etwas gebracht hätten, eine Meinung, die er auch mit ehemaligen Kameraden teilte. Anfang Februar 2004 ist Anton Walter Freud nach langer und schwerer Krankheit verstorben. Ein ereignisreiches und bewegtes Leben hat ein friedliches Ende gefunden. Und kann ein jeder schon von Glücke sagen, wenn er im Bett stirbt, nicht im Straßengraben. (Stella Rotenberg) Elisabeth Lebensaft, Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Wien; Dr.phil., stellv. Direktorin des Instituts Österreichisches Biographisches Lexikon an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Christoph Mentschl, Mag.phil., seit 1992 Redakteur ebendort, davor Studium der Geschichte und Germanistik in Wien. Gemeinsame Publikationen zu Themen der Exilforschung, wie z.B. über den exilierten Rechtsanwalt Friedrich Schnek. Eine Publikation über Aktionen der britischen Special Operations Executive in Österreich befindet sich derzeit in Vorbereitung. Shulamit Arnon Wenn du nicht mehr schreiben kannst - lese. Wenn du nicht mehr lesen kannst — bestaune die Natur und schau in dich. Wenn du dort nichts mehr findest — Schrei! Man wird dich schon abholen... An Bush Stilleben ohne Stille, Schafe mit falschem Hirt, Hirt, der mit falschem Glauben in der falschen Wüste irrt. Der große Mann mit kleinem Hirn führt über die Hürde die Herde nirgends hin. Shulamit Arnon, geb. 1929 in Königsberg, wanderte 1939 nach Palästina aus. Studium am Lehrerseminar Levinsky in Tel Aviv. 1950-60 Mitglied des Kibbuz Jechiam bei Naharya. 1960 Übersiedlung nach Jerusalem, Arbeit an einer Sprachschule für Akademiker. 1960-83 freie Mitarbeiterin von Radio Israel (Kol-Israel). Verfasserin von Hörspielen (u.a. auch für deutsche Radiosender, NDR und SDR): Erzählungen, Übersetzungen, Bearbeitung von Kinderbiichern. Sh. Arnon lebt in Bet-Schemesch (Israel). 21