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pfindet. Villon erscheint so als ein mit Verve an den Problemen seiner Zeit partizipierender Geistesarbeiter, der sich rückhaltlos in die Konflikte einmischt und der Obrigkeit keinerlei Respekt zollt. Er ist ein bemüht Denkender, dem selber die Antworten noch versagt bleiben müssen. Mit der Figur eines aufopferungsbereiten Menschen, der über eine karitative Ader verfügt, der humane Regungen wie Mitleid verspürt und politischen Gestaltungswillen beweist, sympathisiert auch Qualtinger. Im Himmlischen Galgenvogel beschwört er den Topos des unbequemen Autors und unangepassten Streiters, der sich für eine menschenwürdigere Societät einsetzt, wobei die von ihm angegriffene Obrigkeit danach trachtet, ihn als Querulanten zu diffamieren und mundtot zu machen. Mit Moralisten wie Villon, Büchner oder Soyfer liebäugelte der junge Qualtinger. Der Villon aus seinem Stück erscheint zwar vorwiegend klischeehaft als verruchter Störenfried, er trägt aber auch Merkmale, die denen Jura Soyfers entsprechen. Qualtinger generiert im Himmlischen Galgenvogel ein schwärmerisches Ideal, das er schließlich im Artikel auf Soyfer überträgt. Letzterer avanciert für ihn zum Inbegriff des uneigennützigen und konsequenten, zu Risiko und Verantwortung bereiten Schriftstellers. Nach der Krisenerfahrung des Zweiten Weltkrieges und angesichts der ideologischen Unsicherheit nach 1945 konnte ein Autor wie Soyfer für den sich erst sozialisierenden Qualtinger ein geistiger Leuchtturm und eine moralische Stütze sein. Hatte Soyfer „Villon zum Wegbegleiter für die verzweifelten Intellektuellen des Jahres 1937“ gewählt, so entdeckte der angehende Kabarettist und Journalist Qualtinger mit Soyfer, den er für einen Wahlverwandten hielt, für sich einen probaten Wegweiser, der ihm Orientierung und so etwas wie ein weltanschauliches Zuhause bot. Die Attraktivität von Autoren wie Büchner, Villon oder Soyfer hing wohl auch damit zusammen, dass sie die Vorstellungen von Ethik, die sie in ihren Schriften verteidigen und einfordern, auch gelebt, ihre Überzeugungen selbst unter Preisgabe des eigenen Lebens nicht aufgekündigt haben. Nach den Programmen Blitzlichter und Sündenfälle sowie ihren Erfolgen mit der Revue Das Brett! vor dem Kopf sahen sich die nunmehr schon kabaretterprobten Merz und Qualtinger Mitte der 50er Jahre der Aufgabe gewachsen, den Wurzeln dieses Genres nachzuspüren und mit Einfühlungsvermögen Schlaglichter auf die Wiener Kleinkunstszene zu werfen. In einem „Radio-Essay““* führen sie in die anregende Atmosphäre und in die von lokalen Besonderheiten geprägte Kaffehauskultur im Wien der 30er Jahre zurück. Dort blühten damals höchst unterschiedliche Cabarets auf, die den Verlust der habsburgischen Provinztheater kompensieren halfen, und an die nach 1945 die wie Pilze aus dem Boden schießenden Kellertheater und Spielgruppen anknüpfen wollten. Vielleicht fühlten sich Qualtinger und Merz ja auch von Soyfer zu ihrem Bericht inspiriert, der 1936 in seinem Kurzdialog Die Freiheitsstatue um fünf Schilling ein ironisch grundiertes „Bild von der Arbeit der Kleinkunstbühnen“® geliefert und die ersten Gehversuche der jungen Gattung Kabarett kommentiert hat. Er erwähnt den täglichen (Uber-)Lebenskampf der ,,kleinen unterirdischen Theater“, eine Situation, die ständig von Unzulänglichkeiten und daraus resultierenden Reibereien unter den Theaterleuten geprägt sei. Er spricht mit Hochachtung vom Enthusiasmus der dort Beschäftigten, die schließlich keinem sicheren Brotberuf nachgingen als vielmehr ihrer Leidenschaft und Liebe für diese Tätigkeit, die sie leichter ausharren und Entbehrungen in Kauf nehmen ließe. Soyfer sieht sie, die von den Souterrains der 26 Cafes Besitz genommen haben, noch in einer Testphase, in der das Provisorische und die Freude am Experiment überwiegt. Darin erkennt er einen Vorteil gegenüber den etablierten und finanziell besser versorgten Theatern, die aber nicht unmittelbar am Puls der Zeit seien und sich kaum auf die wirklich gravierenden Fragen der Gegenwart einließen. Soyfer setzt sein Vertrauen auf die kleinen Spielergruppen, die künstlerisch und inhaltlich einen künftig aussichtsreichen Weg beschreiten würden. Gerade in diesem Punkt sollten sich Soyfers vorsichtige Prognosen bewahrheiten, zumal seine Vorstellungen darüber, welchen Weg das im Werden begriffene Kabarett nehmen müsse, bei vielen der nach 1945 wieder oder neu ins Leben gerufenen Kleinkunstbühnen richtungsweisend wurden. Mit der Aufzählung der bedeutendsten Institutionen wie „ABC“, „Lieber Augustin“ oder „Literatur am Naschmarkt“ und der mit ihnen verbundenen Künstler rufen Qualtinger/Merz die Erinnerung an die Pioniere der hiesigen Kleinkunst wach. Die für beide Seiten günstige Allianz zwischen Cafetier und Conferencier bot sich für einige Autoren als ein Sprungbrett an und verhalf ihnen fallweise zu literarischem Ruhm. Als „stärkste literarische Persönlichkeit im Kaffeehausparnass dieser Epoche“ bezeichnen die beiden Verfasser des Hörfunktextes Jura Soyfer, dessen Talent in den sog. Mittelstücken für die Programme des Agitproptheaters lag. Qualtinger/Merz betreiben eine Imagepolitur für den als „Lyriker, Polemiker, Dramatiker, Volksdichter“ nur in Insiderkreisen bekannten Künstler. Weil sie Soyfer „als wirklichen Dichter“ beweisen möchten, präsentieren sie aus dem Werk signifikante Proben seines Talents. Neben der Begnadigungsszene des zum Sklaventreiber aufgestiegenen Pepito Alibi aus Broadway-Melodie 1492, der als Handlanger einer unbarmherzigen Kolonialpolitik agiert, bringen sie die Begegnung Jonnys mit dem Schreiber am Stadttor des im Meer versunkenen Vineta zu Gehör. Ihre Exkursion durch die Welt des Kabaretts der Zwischenkriegszeit beschließen Qualtinger/Merz mit dem Lied des Kometen Konrad aus Soyfers Stück Weltuntergang, der auf die Zerstörung der Erde verzichtet und stattdessen trotzig seine plötzliche Liebe zu den widerspruchsvollen Menschen verkündet, die dort alles andere als ein rosiges Leben führen. In der zweiten Hälfte der 50er Jahre, unter dem Eindruck von Antikommunismus und „Brecht-Boykott“, flaute das Interesse an Jura Soyfer merklich ab. Immer spärlicher wurden die Aufführungen seiner Stücke in Österreich, das seine Souveränität wiedererlangt hatte und nach Abschluss des Wiederaufbaus wirtschaftlich florierte. Dieser Abwärtstrend hielt auch das folgende Jahrzehnt an, und ab 1969 wurde der Autor hierzulande überhaupt nicht mehr gespielt. Schließlich musste Qualtinger in einem Interview feststellen, dass Soyfer bereits wieder in Vergessenheit geraten sei.“ Der für ihn unhaltbare Zustand wurde auch andernorts moniert, so von Hugo Huppert, welcher in der kommunistischen Zeitung Die Volksstimme anlässlich einer Aufführung von Richard Billingers Drama Die Fuchsfalle durch das Ensemble des Wiener Volkstheaters hintersinnig meinte: „Verstorbene Dramatiker Österreichs zu pflegen, ist ein dankenswertes Bühnen-Anliegen. Aber da gäbe es zum Beispiel einen heimischen Theaterpoeten namens Jura Soyfer, ein hohes Talent, das nicht mit, sondern gegen Goebbels ging und von Blut- und Bodenleuten ermordet wurde. Diesen hingeopferten Landsmann vor Wiens Außenbezirken[,] die er liebte, nicht aufzuführen ist eine arge Unterlassung. Ihnen aber stattdessen einen Billinger vorzusetzen, ist ein Skandal.“