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Erst in den 70er-Jahren begann sich die Situation grundlegend und zu Gunsten Soyfers zu verändern. Die 68er-Bewegung hatte eine politisch aufgerüttelte und betätigungswillige Generation hervorgebracht, und ein junges, aufgeschlossenes Publikum schickte sich an, Soyfer kennenzulernen. Qualtinger war maßgeblich an dessen (Wieder-JErweckung aus dem Dornröschenschlaf beteiligt, der am 12. Mai 1975 endete. Auf Einladung des Kommunistischen Kulturbundes stellte er zusammen mit anderen Schauspielern und der Gruppe „Die Schmetterlinge“ im Auditorium Maximum der Universität Wien „Lieder, Szenen und Texte von Soyfer“ vor, die Götz Fritsch für die experimentelle Performance ausgewählt hatte. Die Veranstaltung wurde im Nachhinein als markantes Ereignis für die Neuentdeckung des Dichters und Bühnenautors Soyfer und als Weichenstellung für die seither kontinuierliche Rezeption bezeichnet. Qualtingers unermüdliches Eintreten für Soyfer war letztlich dadurch belohnt worden, dass diesem die Wissenschaft endlich gebührende Aufmerksamkeit schenkte und die Erforschung seines Werkes in Bewegung kam.” Ungeachtet des begeisterten Zuspruchs blieb Qualtinger abwartend. Wenige Wochen nach seinem Auftritt im Hörsaal klagte er über die ungebrochene Ignoranz gegenüber Soyfer und ärgerte sich über die Gleichgültigkeit, mit der seine Animationsversuche quittiert wurden: „Gescheitert sind meine Versuche offenbar an einer völligen Verständnislosigkeit. Er ist erlaubt, aber keiner will ihn.‘ Trotzdem ließ sich Qualtinger nicht entmutigen und hielt unbeirrt an seinen Lesungen fest. Am 13. August sollte er einen „Jura-Soyfer-Abend“ auf Schloss Arenberg in Salzburg abhalten, wo aber kurzfristig Herwig Seeböck für ihn einspringen musste, der gemeinsam mit Peter Turrini, Heinz Ehrenfreund und Christine Jirku einen Streifzug durch das (Euvre unternahm, was in den Salzburger Nachrichten als längst überfällige „Wiedergutmachung“ goutiert wurde. Einige Tage später, am 17. August, führten die Salzburger Kammerspiele unter Wolfgang Glück Vineta mit Peter Uray in der Rolle des Jonny auf, ein frühes Indiz dafür, dass damals Soyfers Dramen langsam wieder auf die hiesigen Bühnen zurückkehrten. Qualtinger führte bei seinen Auftritten 1976 neben Johann Nestroy, Karl Kraus, Anton Kuh oder Ödön von Horväth die Schriften Soyfers im Reisegepäck, aus denen er bei den Lesungen für Amnesty International oder während der Tournee „Die Zwei“, bei der er mit Vera Borek den deutschsprachigen Raum bereiste, vortrug. Um die Popularität Soyfers zu steigern, nützte Qualtinger außerdem die Möglichkeiten des Filmes und des Rundfunks, wobei ihm mehrere Male der Regisseur Götz Fritsch (*1943) als Fachmann zur Seite stand. Einfallsreichtum bezeugte Qualtinger in einer Aufzeichnung von Soyfers Stück Weltuntergang (1976), wo er geschickt seine Bauchrednerpuppe Maxi einbringen konnte. Qualtinger hatte sie in eine Uniform gesteckt und mit einem Schnauzbart versehen, um mit ihr das Gespräch des Physikers Guck mit Adolf Hitler im Salon des ‚Führers‘ nachzustellen. Hier wie zuvor in seinen Lesungen aus Mein Kampf im Hamburger Thalia Theater (1973) wollte er die Perversion der Weltanschauung Hitlers und die irrsinnigen Ziele des ‚Gröfaz‘ durch die Akustik und Melodik der Sprache enttarnen. Ganz im Sinne von Karl Kraus packt Qualtinger die Sprache dort, wo sie am empfindlichsten und verletzlichsten ist, nämlich bei der Phrase und beim Pathos. Jura Soyfer hatte das selbst bereits in der Revue Weltuntergang auf vorbildliche Weise vorexerziert, wo Hitler „nicht mehr in seinen lächerlichen, sondern in seinen hassenswerten Zügen ridikülisiert und so weniger dem befreienden als dem beklommenen Lachen der Zuschauer ausgeliefert“” wird. 1977 zog Fritsch Qualtinger und Vera Borek als Schauspieler für die ORF-Produktion Vom einfachen Menschen — Jura Soyfer heran, eine in zwei Folgen ausgestrahlte Filmmontage, die über Passagen aus allen erhalten gebliebenen Stücken Soyfers verfügt und in der Qualtinger einige Gedichte Soyfers rezitiert. Qualtinger fühlte sich mit seinen Lesungen in der Tradition des „Theaters der Dichtung“ von Karl Kraus und empfand seine Auftritte als politisch relevante Aktionen. Vorsichtig formuliert, engagierte sich Qualtinger politisch in dem Sinne, dass er mit seinen Lesungen Stellung zu gesellschaftspolitischen Ereignissen bezog und mitunter sehr empfindlich auf Ereignisse und für ihn symptomatische Veränderungen der politischen Geschiebelage reagierte. Nach der Affäre Reder-Frischenschlager 1985 etwa reiste er nunmehr auch in Österreich mit Hitlers Mein Kampf durch die Bundesländer, um sein Unbehagen angesichts des immer noch oder schon wieder virulenten Faschismus zu artikulieren und seine Sorge vor einem Rechtsruck in der heimischen Politlandschaft zu äußern. Ebenso wichtig waren ihm erzieherische und aufklärerische Anliegen, glaubte er doch wie Soyfer an die prinzipiell mögliche Veränderbarkeit und Verbesserung von Menschen. Anhand der Szenen einer deutschen Revolution nach Tankred Dorsts Drama Toller im Münchener Werkraumtheater (1969) oder durch Lesungen aus Horväths Roman Der ewige Spießer (1975/76) wollte er sein Publikum für jene spezifischen Strukturen und Mechanismen sensibilisieren, die dem Nationalsozialismus zugrunde lagen. In Soyfers So starb eine Partei wies er auf die historischen, ökonomischen und soziologischen Faktoren hin, die es dem Regime überhaupt erst ermöglicht hatten, derart an Einfluss zu gewinnen und auf so verheerende und todbringende Weise wirksam zu werden. Mit dieser minutiösen Studie, in der Soyfer mit jener „fortschrittsoptimistischen, vernunftgläubigen Weltsicht der Sozialdemokraten‘ abrechnet, die er vor der Etablierung des klerikalen Ständestaats nach den Ereignissen im Februar 1934 selber vertreten hatte, gastierte Qualtinger am 11. November 1978 in der Volkshochschule Brigittenau. Dank einer im selben Jahr vom österreichischen Rundfunk hergestellten (und inzwischen als CD erhältlichen) Aufzeichnung für die Sendereihe „Roman in Fortsetzungen“ ist Qualtingers rhetorisch ausgezeichnete und stimmlich nuancierte Analyse des Untergangs der Ersten Republik im Austrofaschismus, in machthungriger Demagogie und menschenverachtender Politik, auch heute noch erlebbar. Darin stellt er mit dem Bahnbediensteten Franz Josef Zehetner den unausrottbaren Typus des politischen Spießers und Mitläufers an den Pranger. Wie Oskar Maria Grafs Post 27