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beamter Anton Sittinger aus dem gleichnamigen Roman oder Fritz Kortners Friseur Duffeck aus dem Drama Donauwellen und später der Herr Karl laviert er zwischen den vorherrschenden oder an die Macht drängenden Systemen, um sich für den Augenblick einen — meist materiellen - Vorteil zu verschaffen. Er, der sich analog zu Horväths Kleinbürgern und abgesunkenen Mittelständlern ahnungslos verhält und harmlos gibt, besitzt ein Herz, das einer gärenden Mördergrube gleicht, in der Barbarei und Bestialität schlummern. Soyfer begleitete Qualtinger auch die 80er-Jahre über. Immer wieder gab es Sendungen, beispielsweise eine Dokumentation des Westdeutschen Rundfunks, bei der Qualtinger 1980 mitwirken sollte, oder Projekte, bei denen er Texte Soyfers unterbringen konnte. Eine günstige Gelegenheit bot ihm da die 1985 ins Leben gerufene, von Harry Glöckner gestaltete Hörfunkreihe „Literatur am Flohmarkt“, die Autoren von Peter Altenberg und Egon Fridell über Fritz von Herzmanovsky-Orlando bis hin zu H. C. Artmann und Thomas Bernhard vorstellte und auch Soyfer Aufnahme gewährte.‘ Während sich Qualtinger weiterhin in Lesungen für Soyfer einsetzte, gründete in Wien der Theaterwissenschaftler Reinhard Auer am Spittelberg eine nach Jura Soyfer benannte und der Aufführung seiner Stücke vorbehaltene Spielstätte. Ein Bogen hatte sich geschlossen, denn Soyfers Stücke waren zumindest wieder dorthin zurückgekehrt, von wo sie ihren Ausgang genommen hatten: auf die Kleinkunst-Bretter, die für viele angeblich die Welt bedeuten. Trotz seines ehrgeizigen und energischen Einsatzes für Soyfer Anmerkungen 1 Jürgen Doll: Theater im Roten Wien. Vom sozialdemokratischen Agitprop zum dialektischen Theater Jura Soyfers. Wien, Köln, Weimar 1997 (Literatur in der Geschichte, Geschichte in der Literatur. 43), S. 310. 2 Die Welt des Jura Soyfer. Hg. v. d. Jura-Soyfer-Gesellschaft. Wien 1991 (Zwischenwelt. 2), S. 9. 3 Zur Soyfer-Rezeption nach 1945 grundlegend Evelyn DeutschSchreiner: „Untergrund“-Dichter Jura Soyfer? In: Jura Soyfer und Theater. Hg. v. Herbert Arlt. Frankfurt/M. u.a. 1992, 26-42. Hier S. 26. 4 Qualtinger im Gespräch mit Emmy Kuhlmey: Bemühungen um Jura Soyfer. In: Volksstimme (Wien), 25./26.7.1975. 5 Friedrich Langer: Junges Theater — Studio der Hochschulen. In: Neue Wege (Wien) 4 (1949), S. 124. 6 Zur Affäre Qualtingers mit der KP und zu seiner Verhaftung wegen Hochstapelei vgl. die abgedruckten Dokumente aus der Wiener Stadt- und Landesbibliothek in: Quasi ein Genie. Helmut Qualtinger (1928-1986). Hg. v. Arnold Klaffenböck, Wolfgang Kos, Ulrich N. Schulenburg u.a. Wien 2003, S. 30-33 (Der Fall Qualfinger, 1945). 7 Der Herr Karl privat! In: Wiener Wochenausgabe, 28.4.-4.5.1962. 8 Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Handschriftensammlung, Nachlass Helmut Qualtinger, Karton 17. Deutsch-Schreiner (wie Anm. 3), S. 30. 9 p.a.: Literarische Kabarettrevue im Hochschulstudio. In: Osterreichische Zeitung (Wien), 13.2.1947. 10 Qualtinger zu Hans Haider: Auf keinen Fall Kostiim. In: Die Presse, 4./5.10. 1986. 11 Wie Anm. 9. 12 Wie Anm. 4. 13 Gerhard Bronner: Kein Blattl vorm Mund. Ein ungeschriebenes Buch. Wien 1992, S. 108. 14 Eine Neuinszenierung der „Broadwaymelodie 1942“ [sic!] von Jura Soyfer. In: Österreichische Zeitung, 20.3.1947. 15 Vgl. Heidi Jandl: Österreichische Studenten- und Studiobühnen im kultur- und gesellschaftspolitischen Konnex der ersten Nachkriegs28 erfüllte sich ein wesentliches Anliegen Qualtingers nicht - insofern ist seine wiederholt vorgebrachte Skepsis gegenüber seiner Wirksamkeit für Soyfer verständlich und berechtigt -, nämlich die breite Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Soyfers Bedeutung als Autor vor allem jenseits aller parteipolitischer Couleur liegt. Qualtinger scheiterte am Vorurteil des angeblichen Parteigängers und vermeintlichen Politkabarettisten Soyfer. Nach seinem Tod am 29. September 1986 wird Qualtinger ein Opfer dieses eingeengten Bewusstseins, das auf ideologische Funktionalisierung bedacht ist. Ein Nachruf in der Volksstimme würdigte lapidar seine Verdienste für Soyfer, reduzierte allerdings Qualtingers Engagement auf die Rolle des „Antifaschisten und Nicht-Kommunisten‘®®, Außer Acht blieb hingegen die wichtige Tatsache, dass Qualtinger 1948 in seinem Artikel für die Welt am Abend eigentlich ein Votum für Jura Soyfer eingelegt und die Forderung ausgesprochen hatte, dass sich im Umgang mit Soyfer dringend etwas ändern müsste. Er sah folglich die Chance, eine Entwicklung und Bewusstseinsumbildung in Gang zu setzen, an deren Ende Soyfer als veritabler Schriftsteller akzeptiert sein würde und dessen Dramen in die Spielpläne renommierter Häuser gehörten, Volksstücke”, die über eine existentielle Dimension, über menschheitliche Tiefe verfügen. Während Karl Kraus wenigstens darüber spekulieren konnte, „ob das Burgtheater Nestroyfahig“* sei, hat sich fiir Soyfer eine solche Frage gar nicht gestellt, im Gegenteil: Die ,groBe‘ Biihne sollte ihm, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, versagt bleiben — bis heute. jahre, 1945-1950. Phil. Diss. (masch.), Wien 1982, S. 215-216. — Deutsch-Schreiner (wie Anm. 3), S. 33. 16 Horst Jarka: Theater des Widerstands. Die Wiederentdeckung Jura Soyfers. In: Theater Zeit Schrift (Berlin) 23(1988), S.103-112, hier 105. 17 Wie Anm. 4. 18 Dissonanzen um die „Broadwaymelodie 1492“. In: Neues Österreich, 8.7.1952. 19 Soyfer darf nicht gespielt werden. In: Österreichische Volksstimme (Wien), 10.9.1953. 20 Jen.: Komet am Himmel der österreichischen Literatur. In: Österreichische Volksstimme, 22.6.1952. 21 Horst Jarka: Jura Soyfer. Leben, Werk, Zeit. M. e. Vorwort v. Hans Weigel. Wien 1987, S. 349. 22 Karl Kraus: Nestroy und das Burgtheater. In: Die Fackel XXVI (1925). H. 676-678 (Januar), S. 1-46. 23 Jura Soyfer: Das Gesamtwerk. Hg. v. Horst Jarka. Wien, München, Zürich 1980, S. 650. 24 Horst Jarka: Jura Soyfer: Ein Nestroy im Keller. Zum Einfluß Nestroys auf das oppositionelle Theater im Ständestaat. In: Maske und Kothurn (Wien) 24 (1978), S. 191-212. Hier S. 206. 25 Dazu auch Doll (wie Anm. 1), S. 398. 26 F.H.: „Broadwaymelodie 1492“. In: Neues Österreich, 22.6.1952. 27 Doron Rabinovici: Die USA-Rezeption nach 1945 in Österreich. In: Jahrbuch 1995. Hg. u. verl. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, $S. 45-61. Hier S. 46. 28 O.F.: „Broadwaymelodie 1492“ im Theater am Parkring. In: Österreichische Zeitung, 24.6.1952. 29 Doll (wie Anm. 1), S. 406. 30 Wie Anm. 28. 31 K.L: „Broadway=Melodie 1492“. In: Die Union, 26.6.1952. 32 Etwa F. H.: „Broadwaymelodie 1492“. In: Neues Österreich, 22.6.1952. 33 F. K.: Qualtinger dominiert am Parkring in „Broadway-Melodie 1492“. In: Wiener Zeitung, 22.6.1952.