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Neulich, in der Galerie, spricht Galeristin G. doppelt so lahm mit mir, auch nach neuerlichem, meinerseitigem Versichern, ich verstünde die deutsche Sprache, sie wäre mir nicht fremder als ihr selbst, der Galeristin, die doppelt so lahm mit mir spricht aufgrund meines Aussehens, doppelt so fremd vielleicht. Eine Situation, in die ich häufig gerate. Es knirscht an meinem Selbstbewußtsein, nehme ich mich verstärkt aus ihrer Perspektive wahr, der Perspektive derer, die mein fremdes Äußeres mehr hören als sehen. Bald antworte ich auf solch gedehnt verzerrtes Deutsch mit eindeutigem Stottern und angedichtetem Akzent, bald glaube ich, die falsche Position zu vertreten, ihnen, jenen, recht geben zu miissen — doch nicht, nie berechtigt gewesen zu sein, sicheres, perfektes Deutsch sprechen zu können, wie auch, sieht nicht alles dagegen? Mein Stammeln bestätigt ihr Sehen; sie fahren fort, idiotisch zu reden, ich fahre fort, mich diebisch zu fühlen, benutze ich unberechtigterweise diese Sprache, unerlaubterweise perfekt. In einer anderen, ebenso häufigen Situation läßt man mein Sprechen ohne Verwunderung zu, vorerst; später lobt man meine Sprachbeherrschung, staunt über das fehlerhafte, perfekte Deutsch und impliziert, so gehöre es sich doch nicht, wie könne ich, die ich nicht hier geboren sei, das Deutsche besser sprechen als jene, die hier geboren sind. Wieder der Moment, in dem mir die Berechtigung, gutes, richtiges Deutsch zu sprechen, abgesprochen zu werden scheint. Fühle mich weiterhin diebisch, erlaubterweise. Auch nach der Konvertierung zum österreichischen Paß fehlt mir das Geburtsrecht. Weitere Konfrontationen obiger Art absehbar. (Hätte ich mein Aussehen gewechselt und nicht meine Staatsbürgerschaft, wäre ich staatsbürgerlicher als je zuvor.) Sicher, oft habe ich mit Freunden — Freunde nenne ich an das Phänomen Gewöhnte, Eingeweihte — über das Phänomen gesprochen (ohne zu stottern); wir sind zu dem Schluß gekommen, daß all dies harmlose Verwunderung, kindliches Staunen, kein absichtliches Verletzen sei, kein Ausschluß aus der Gemeinschaft, nur Einüben in das Gewöhnen an das Außergewöhnliche. Sehe ich in mir nach solchen Gesprächen eine Mutation, wenn auch gutartige, scheucht man sie mit Lächeln weg. Eigenartig, daß Staaten nun auf legale Weise Druck auf Einwandernde ausüben, sich der Sprache der Mehrheit anzupassen, wenn Angepaßte als Mutationen noch so (vermeintlich) unangepaßt verbleiben. Kehre ich vor der inneren Tür, wandelt sich das Bild geringfügig: In einem Streit wirft man mir mein Anderssein vor, als wäre dies ein Entschluß. Konkreter Vorwurf (Beispiel): Das Versäumnis, die Sprache der Eltern gründlich erlernt zu haben. Von Geburt an normal, hätte ich die Seite gewechselt, wäre nach und nach zu den Fremden übergelaufen. Reicher Subtext: Die Harmonie innerhalb der Familie zu gefährden, weil man nicht konform geht, nicht konform gehen kann, erkennt man nicht die Ideale der Familie, die ausgehend von den Eltern in kulturellen Handlungen, Mentalitäten solcherart inkorporiert sind, daß sie nur schwer von Nicht-Eingeweihten (trotz äußerlicher Eingeweihtheit) zu erkennen sind. Schlimm, wenn dies vorgeworfen wird? Wenn expliziert wird, das Anderssein sei ein Makel. 36 Schlimm, wenn der Vorwurf als genereller gegen die ganze Person, nicht nur gegen einen Teil, gerichtet wird, wenn er aus der Familie kommt, aus einem Kreis, der sehr eng, sehr bekannt ist; wenn, sozusagen, das Blutsband offenbar nicht existiert, oder in der Weise existiert, daß es nur da ist, aber kein Band mehr zu sein scheint, denn wo ist die Verbandung? Ist die Familie keine Familie mehr, sobald der idyllische Zustand intimer Eingeweihtheit des Nicht-Aussprechen-Müssens, sobald das automatische Hüpfen der Gedanken von einer zur nächsten Person, zerstört ist? Gehen wir von einem Nein aus, macht es die SACHE nicht aufschlußarm, da offen zugegeben wird, das Anderssein als Makel spalte die Familie. Die Selbstverständlichkeit der Zugabe verblüfft. Denke ich das Ganze aus einer anderen Perspektive, etwa der Perspektive meiner Mutter, müßte ich sagen, daß sie eine verstümmelte Stimme besitze und keine vollständige, gesunde. Kann es als ungesund bezeichnet werden, wenn man sich in einer Sprache nicht vollständig ausdrücken kann? Sagen wir daher — neutralerweise? — Unvermögen. Aus der Sicht meiner Mutter verhält es sich so, daß sie eine Stimme besitzt, die nur teilweise funktioniert, der Rest ist von mir dazugeliehen. Bin ich quasi eine Prothese für die mütterlichen Stimme. Habe ich deshalb das Gefühl, kein einheitliches Leben zu führen, sondern Teile mehrerer Leben? Teile des mütterlichen, väterlichen Lebens, derer, die sich meiner Stimme bedienen, um selbst uneingeschränkt leben zu können? Vielleicht verhält es sich auch so, daß ich keine Stimme habe, daß sehr wohl Mutter und Vater eine Stimme besitzen, ich aber stets nur über eine gespaltene, keine eigene Stimme verfüge; daß ich die Stimme der Allgemeinheit, der Familie bin, aber nicht meine eigene. Denn sie muß ja immer zur Verfügung stehen: Sobald sie meine Stimme, Sprache brauchen, muß ich sie hergeben. Die Sprache gehört mir nicht, ich borge sie nur her. Angesichts der Sprachenvielfalt wird es immer Menschen geben, die Sprache borgen und welche, die leihen. Sprechen ist streng demokratisch. Die Mehrheit bestimmt die Sprache. Sprache bedeutet einerseits Kommunikation, zwischenmenschliche Verbindung, andererseits, im Fall des Nicht-Beherrschens, Einschränkung, Barriere. Sprechen als eine Frage der Machtausübung: Beherrsche ich eine Sprache, beherrsche ich nicht nur das Sprechen, Grammatik und Semantik, sondern auch mein Gegenüber, im guten Fall, gleichberechtigt, im schlechten Fall, beherrscht. Kultur basiert auf Verständigung und Verständnis. Im eingangs erwähnten Fall der Einwanderungsbehörde, die Ausländern Sprachkurse aufzwingt, stehen die Sprachkurse ebenfalls für Verständigung und Verständnis, jedoch nicht (nur) die sprachliche Verständigung ist gemeint, sondern das Verstehen der einheimischen Kultur soll erreicht werden, das Verstehen in einem Ausmaß von Aneignen. In einem Interview gehört, daß es selbstverständlich sei, Jun Yang in China zu sein, aber nicht Jun Yang in Wien.' Ist also Interkulturalität überhaupt möglich? Wird nicht zuviel Toleranz abverlangt, die notwendigerweise in Heuchelei