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der Sinn des Präfixes Multi vor dem Kulturalismus. Diese und ähnliche Kanalisierungen erfolgten durch die Sprache, und trotzdem war die Sprache der Ort, wo jener Art von Ressentiment eine andere Deutung entgegengesetzt werden konnte. Hinter diese Möglichkeit der Sprache setze ich ein Rufzeichen. Der österreichische Staat hat ein Auge auf eine Million sprechender Migrantinnen. Zumindest besagen das die Volkszählungen. Ich fragte einmal meinen Vater, was er dazu zu sagen hat, und er antwortete: „Sie sind hier, weil sie Menschen: mit Sehnsucht sind.‘ Mein Vater hatte Recht. Sehnsucht und Sprache sind die Widerstandsformen gegen das, was Foucault Staatsrassismus nennt, der in der Festung Europa einen triumphalen Aufstieg erlebt, und erst gar in der marginalen Alpenrepublik... Eine Sehnsucht zu haben und ihr Gestalt zu geben, bedeutet nichts anderes, als sich mit Nachdruck daran zu erinnern, dass wir Subjekte sind. Um eben das zu verwirklichen, braucht es Ausdauer. Oft endet die Sehnsucht in einem erfüllten Leben, aber leerstehenden Haus irgendwo, wohin die Jugendfreunde jetzt langsam — manche auch nur, um begraben zu werden — zurückkehren. Die Sprache geht ihren Weg. Wer versucht, ihr eine Richtung zu weisen, muss scheitern, wie das bei den nationalstaatlichen Gebilden seit dem 18. Jahrhundert — die eine Reduktion auf die Nationalsprachen predigten und sich dafür auch die Akademien und die entsprechende Öffentlichkeit schufen - letztlich der Fall ist. Zur Zeit verlieren sie ihre Definitionsmacht. Heute scheinen wir von einer Vielzahl der Handlungen, deren gleichzeitiges Merkmal und Trägerin die Sprache ist, zu träumen. Die MigrantInnen werden definiert und sie erschaffen sich zugleich als Gruppe neben anderen Gruppen, die sowohl für sich Sprache beanspruchen als auch einen selbstbestimmten Zugriff auf diese nicht scheuen. Die Sprache als Kampfplatz scheint in den Vordergrund zu treten. Dadurch wird die Sprache als nationales Hegemonieinstrument zurückgedrängt. Was mich angeht, so bin ich in den frühen Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts in den deutschsprachigen Raum übersiedelt. Und ich verschriftliche die Sprache, indem ich ihren verschiedenen Formen beiwohne. Ich glaube dabei nur fließende Grenzen zwischen sozialwissenschaftlicher Abhandlung, Essay und Kurzprosa zu kennen. Jedenfalls nicht so, dass diese Unterschiede mich zu der Entscheidung zwingen, nur eine der Formen zu wählen. Was ich dabei tue, ist Produktion von Wissen, und dieses kann bekanntlich höchst verschiedentlich formalisiert werden. Dabei richte ich mich nach keiner Schule: Ich produziere Möglichkeiten, die sich ergeben, und zwar ins Unbekannte hinein. So geht für mich die Sprache dorthin, wo die Notwendigkeit sie hinträgt, deren Teil ich bin und gleichzeitig werde. Ob dies im Kontext der politischen antirassistischen Arbeit oder auf der Straße, mit meiner kleinen Tochter spazierend, geschieht — es ereignet sich die Sprache, zu deren Verschriftlichung ich hier beitrage. Sprache der gewöhnlichen Umgebung. Eine Umgebung, die mich vor allem durch eine faszinierende Spur von Vergangenem einfängt. Einfängt wie die Geschichte der Wohnungen in der Leopoldstadt, die wiederum ein Teil von etwas umfassend Menschenverachtendem war, und auch, nie dürfen wir das vergessen, von dem ihm Widerstehenden. Ideologien waren und sind. Ich bin ein Überlebender. Aus dieser Position heraus schreibe ich, und ich bin weder zynisch noch verzweifelt. Sehen wir ab vom grossen schriftstellerischen Können von Anna Seghers. Von ihrem untrüglichen Gespür für dramaturgischem Aufbau, der uns um Georg Heislers Rettung in Das Siebte Kreuz bangen lässt. Von ihrem Verständnis für die Widersprüchlichkeit des Menschen, das die Fischer aus St. Barbara — lange bevor sie Angehörige einer Klasse, Ausgebeutete, Subproletariat sind — als Opfer aber gleichzeitig auch als Täter zeigt: roh, abgestumpft, widerwärtig. Erst das macht die Literatur jenseits der Übernahme platter Ideologie in die Kunst zu einer mehrdimensionalen Lektüre. Erst dann wird Literatur zu einer glitschigen Angelegenheit für jede ideologische Vereinnahmung. Der Text wird Widerstand leisten und wird sich nicht einordnen lassen. Sehen wir weiter davon ab, dass die Seghers hervorragend schreibt: kurz, glasklar, geerdet, alles in allem ein filmisches, sinnliches Schreiben, das einen sofort in seinen Bann zieht. Wenn ich ihre Bücher lese, hat die Sprache eine klare Gestalt und ist gegenwärtig. Gleichzeitig, ohne dass das ein Widerspruch ist, wirkt sie transparent und die Dinge dahinter zeigen sich umso deutlicher. Wenn ich schreibe, dann bemühe ich mich mit meinen Mitteln genau darum: gegenwärtig zu sein und transparent. Meine 40 Muttersprache, Rumänisch, ufert aus, verliert sich in Metaphern, Assoziationen und Verspieltheiten, sie ist launisch und sprunghaft, wunderschön für Verliebte und Poeten. Es war keine bewusste Entscheidung, auf deutsch anders zu schreiben: knapp, lakonisch, pointiert, mich zu disziplinieren und die Eigenarten des Rumänischen nur kontrolliert und tröpfchenweise zu übernehmen. Fehlen dürfen sie jedoch nicht, und es ist mir ein liebes Kompliment, wenn man meinem Schreiben die Latinität anmerkt. Es war eher ein Instinkt für das, was wirksam ist. Der Instinkt von einem der mehr durch Filme als durch Bücher gegangen ist und seinen Verstand für die Magie des Wortes an der Magie der Bilder geschärft hat. Denn ich schreibe oft so, als ob ich eine Filmkamera in der Hand hielte. Im Prinzip bin ich dabei, Filme zu drehen, nur billiger als die auf Leinwand. Dass ich ins Deutsche eingewandert bin, kommt mir zur Hilfe, denn dadurch entsteht die optimale Nähe — um nicht Distanz zu sagen — zu dieser Sprache. Staunend wie ein Kleinkind mit seinem Spielzeug drehe ich sie auf alle Seiten und prüfe, wie man sie auch anders zusammensetzten kann. Das ist gut für mich, es verjüngt mein Schreiben, weitere solcher Impulse wären aber für die deutsche Literatur nötig, denn zu oft wird sie grimmig, verkopft,