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Wir sind nur die Wellen auf einem vergessenen Meer, wir sind nur das Licht von einem erloschenen Stern, wir sind nur das Lachen von denen, die Kummer nicht kennen. Wir sind — ich und du. Die Berge weinen tote Tränen und rollen Tränen zu den kleinen Menschen und denken die, dass ihr Gott einsam ist, und beten an ihn, bringen Opfer, und schämt sich Gott ob deren Frommheit und er beschwert sich bei den alten Bergen und weinen Berge tote Tränen und rollen Tränen zu den kleinen Menschen. * Ich träume von Bergen und Sie sind der Schnee. Mit schneeweißen Händen Sie streicheln die Sonne, Und jedoch, die Küste mit leeren Wellen, die liegt zwischen uns wie ein Splitter der Schuld und Sie sind der Schrei in meinem verzerrten Gesicht. Mein verwelktes, laues Gedächtnis hat durchsichtige dünne Wände und es kann keine Träume bewahren, und sie fließen, wie Sand in den Händen. Im Irrgarten unnötigen Schweigens werde ich mich vor den Blicken verstecken. Und der weiße Schleier der Wahrheit kann mich kaum wieder erschrecken. Und nur plötzlicher Schnee auf dem Laub im September bringt mir wieder zur Kenntnis, die Ewigkeit bleibt mir verwehrt. Und nur laue Träume und durchsichtige Wände und der Sand in den Händen nur das wird mir gewährt. * Verzeih, dass ich dich nicht so lieben kann, wie ich dich gerne lieben würde. Verzeih, dass meine Augen nicht immer nach dir suchen, verzeih, dass meine Lippen nicht immer nach dir rufen, verzeih, dass meine Hände dich nie erkennen werden. Verzeih und bleib mir treu, wie ich in meiner schüchternen Nicht-Liebe dir immer treu gewesen war. * Hier darfst du das sein, was du willst: Das Wachsen einer Blume spüren, durch einen Sonnenstrahl hindurch mein Lächeln mit dem Wort berühren. In meiner Welt darfst du nicht wissen, was fühlt ein ungepflegter Garten. Du darfst ganz du sein und vergessen, was auf dich zuhause wartet. Es ist nicht wahr, dass wir uns nie vergessen, uns durch den hohlen Raum küssen einander Blicke werfen werden, einander Tränen trocknen müssen... Die Zeit ist kalt und gegen uns, du bist zu feige für die Träume und soll ich wirklich es versuchen, dich zu zäumen? Das war alles wie erst gestern, als ob ich gar nicht fliegen könnte, durch die matte Flamme des Bernsteins sah ich Haus, wo Trauer wohnte. Und zerschlagene Fenster sangen mir einen Traum, als ob’s wird wieder hell, und die Freude erwacht, als ob wir werden leben, und nur unsere Liebe wird zum Meeresvogel, vom erschrockenen Säugling ausgedacht. Lidia Daviel, geb. 1967 in Sibirien, wuchs in Togliatti an der Wolga auf, befaßte sich mit russischer Geschichte und baute mit ihrem jüdischen Mann ein kleines Kulturzentrum in Togliatti auf. 1993 mit ihrem Mann nach Israel, wo sie keine Chance für sich vorfand. Lebt seit 1996 in Österreich, am Anfang unter den schwierigsten Bedingungen. Sie ist beim Flüchtlingsdienst der Evangelischen Diakonnie tätig. Schreibt seit ihrem 16. LebensJahr Prosa und Lyrik in russischer und jetzt auch deutscher Sprache. 2002 Preis des Literaturwettbewerbs „schreiben zwischen den kulturen“. 53