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ne zentrale Fragestellung an, nämlich jene, inwiefern Texte von ImmigrantInnen ihr sprachkulturelles Potential, ihre fremdkulturelle Herkunft bzw. ihre meist bilinguale Gegenwart niitzen und im konkreten Schaffen umsetzen. Denn selbst wenn in vielen Fällen eine bemerkenswerte, ja stupende sprachliche Integration in das Deutsche zu beobachten ist, die linguistisch auf dem ersten Blick keine wesentlichen Differenzen zu deutsch schreibenden österreichischen AutorInnen ins Auge treten lassen — man denke nur an die Gedichte des 1996 mit dem Johann-Peter-Hebel-Preises ausgezeichneten Kundeyt Surdum (geb. 1937 in der Türkei) — so zeigen sich bei genauerer Lektüre doch Spuren einer mehrfachen sprach-kulturellen Prägung sowie mehr oder weniger explizite Signale einer mitunter paradox anmutenden Fremdheits-Wahrnehmung: Ich kenne die Berge meines Vaters nicht,/ auch die Lieder meiner Mutter sind/ mir fremd./ Woher ich komme,/ will man oft wissen./ Um sie nicht zu enttäuschen, nenne ich/ das Land meines Vaters. Signaturen dieser Art nachzuspüren lohnt sich, wie überhaupt zu beobachten ist, dass sich das Text- und AutorInnen-Spektrum im letzten Jahrzehnt erstaunlich ausdifferenziert hat. Neben dem immer noch gewichtigen türkischkurdischen Herkunftsraum sind nämlich in den letzten Jahren zahlreiche Stimmen aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Osteuropa einschließlich Russland, aber auch aus afrikanischen und asiatischen Regionen hinzugekommen. Analog zu Entwicklungen in der BRD zeichnen sich diese neuen Stimmen nicht mehr nur durch die klassischen Themen der (meist autobiographischen) Aufarbeitung des Kulturschocks, der reportagenhaften Arbeitswelt-Skizzen oder orientalisch eingefärbter Erzählansätze aus, die es natürlich auch bzw. nach wie vor gibt, z.B. in der berührenden Erzählung Der himmelblaue Gruß (1995) vom bereits erwähnten Serafettin Yildiz. Darin geht es um den Transfer eines Jungen aus der Türkei nach Wien, wo sein Vater bereits seit Jahren arbeitet, um dessen Integration in die neue zentraleuropäische Welt und um eine nachfolgende Konfrontation mit dem verlassenen Kindheitsraum, — eine Erzählung, die gleichermaßen zeitlos wirkt wie sie andrerseits aktuelleren Konfliktfeldern aus dem Weg geht”. Verstärkt scheinen hingegen Texte der ImmigrantInnen auf eine offensive Reflexion der gesellschaftlichen Bedingungen zu setzen, verbunden mit klaren Erwartungen an die politische und kulturelle Öffentlichkeit, sowie auf sprachexperimentelle Verfahren, die das angesprochene fremd- bzw. plurikulturelle Potential fruchtbar zu machen versuchen, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen. 3. ‚Rebellin des Wortes‘ I — Alma Hadzibeganovic BBBAAMM! BAM-BAM TATA-TAT-TA BBAAMM!! Melli springt unter den Tisch, wirft sich direkt vor meine Füße, da stehe ich schon auf. Das Fenster als Bildschirm spiegelt die Außenwelt als einen Ausschnitt wider, eingefangen von einem übermächtigen Blitz, der die Straßenkonturen gewaltig hin- und herschaukelt. Ein paar moosbewachsene Häuserdächer mit ihren gut versteckten Hinterhöfen ohne spuckende, spielende Kinder. Ich betrachte mich, wie alles aus den Fugen gerät. Sarajevo, Sarajevo, deine zwischenmenschlichen Grundlagen machen Werbung für dich [...] Deine weißen Apfelbäume sind jetzt meine Alpträume. Deine Brücken, deine HäuserJassaden, deine Goldschmieden schmelzen zu Erinnerungsmalen. „Wie kannst du nur so sein?“, fragt Melli, angesichts meiner Gleichgültigkeit schon hysterisch geworden. Das mindeste, was übrig blieb, ist, einen als inhuman postulierten Prozeß anzukurbeln, der mir das geringst mögliche Selbstgefühl gibt. Gib mir Tabak und bläulichen Rauch um mein Gesicht, der verdecke den missbrauchten ästhetisierenden Blick. Nirvana möge in eure hausarretierten Herzen einziehen und sich in euren Kriegszimmern verbreiten wie der Sarajevoer Matsch. Direkt aus Seattle nur für euch: (Anfangsachteln aus C-Dur, dann): Come as you are, as you were, as I want to be, as a friend, as a friend...” Die Stelle ist dem preisgekrönten Text von Alma Hadzibeganovic entnommen, der ersten Preisträgerin des 1997 eingerichteten österreichischen Literaturpreises für ImmigrantInnen. Alma Hadzibeganovic, 1972 im bosnischkroatischen Br&ko geboren, flüchtete 1992 nach Wien, seit 2000 studiert sie zeitweise auch in Utrecht Kunstgeschichte. In einem Interview definiert sich die Autorin als „schonungslose Rebellin des Wortes“ und gesteht, dass ihr Literatur bereits von Kindheit an ein vertrauter Bezirk war, dass folglich ihr Blick auf die Welt maßgeblich von ästhetischen Sprachregeln vorgeformt war und sich später mit jenen der Pop-Musik überlagert hat, was sich schließlich in ihrer Neigung zur Montage, ihrer Lust zum abrupten Blick- und Tempowechsel und im Einfangen der unmittelbaren Zeitlichkeit t (Plakattexte, Mediensprache z.B.) ausdrückt.” Ihre Texte sind demnach oft augenblicksbezogene Schrift-Kunststücke, die sich tendenziell assoziativ-anarchisch der Wirklichkeit stellen und nicht selten eine emotionale Distanz zum Aufgezeichneten zu halten versuchen. Wer z.B. eine verbitterte, melancholische oder gar aggressive Auseinandersetzung mit den ideologisch-historischen Aspekten jenes tragischen bosnisch-serbischen Krieges, der zugleich ein kultureller war (und darauf spielen einige der ModerneSignale im Text an) erwartet, wird erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass die (vorwiegend mittel- bzw. zentraleuropäischen) Projektionen nicht unbedingt mit den im Text aufgezeigten Verhaltens-Formen/Codes korrelieren, ja sie mitunter grotesk unterlaufen. Zwar wird in dieser Text-Collage — Hadzibeganovic bezeichnet ihre Schreibform selbst als eine der Montage" — das Auseinanderbrechen einer plurikulturellen Wirklichkeit thematisiert, aber es geschieht dies nicht in programmatisch-offener Weise, sondern verdeckt, über die Ebene der Auswirkungen und Wahrnehmungen im Alltag: über das Eingesperttsein in die schützenden eigenen Wände, den Verlust eines gemischten Freundeskreises, die provinzielle Nationalisierung der Medien und der Unterhaltungsindustrie (neue Volkslieder im DiscoRhythmus), die weitgehende Opferung oder Hintanstellung einer gerade errungeneren selbstbewussten Weiblichkeit (PenthesileaMotiv) oder das (vorübergehende) Verschwinden eines amerikanisierten und konsumistischen Lebensstils (Video-Cassetten von Lifestyle-Filmen wie Basic Instinct). Damit wird aber der abstrakte kulturelle Diskurs wieder in seine konkrete Phänomenologie zurückgeführt, die durchaus banale, politische sowie verträumt poetische Aspekte in einem aufweisen kann. Freilich, eine Wunde bleibt auch jenseits der Poesie offen: der Traum Sarajevo mutiert zum Alptraum, seine wahren und folkloristischen Signale der Interkulturalität „schmelzen zu Erinnerungsmalen“ (S. 18). Knappe, nicht mit Fragen und Deutungen überfrachtete Bilder reichen der Autorin, um anzudeuten, was oft wortreich und ideologiebelastet zerschrieben wird. Und sie zieht daraus ihre Konsequenzen, indem sie Zuflucht sucht in einer Sprach-Kultur, in der das Hybride, eine Gleichzeitigkeit von Verschieden-/Andersheit — wie einst in Sarajevo, für das nun ‚Wien eine Art paradoxe Kompensation ist’ — zumindest für den Lebensraum ‚Literatur‘ lebbar erscheint. Lebbar auch deshalb, weil die Autorin hier schreibend wirksam werden kann: „Die Sprache entwickelt sich und WIR verändern sie mit.“ Und in diesem WIR steckt eine selbstbewusste Subversivitat der „schonungslosen Rebellin des Wortes” Selbstbewusstsein und sprachliches Rebellentum versprühen auch die meisten der kurzen, formal z.T. sehr verschiedenen Texte (Erzählstücke, Dialoge, Berichte und Gedichte), die Hadzibeganovic im Band ilda zuferka rettet die kunst (2000) versammelt hat, insbesondere im bereits vom Titel her signalartigen Text PRETTY CITY @ WIR . Eine Ich-Erzählerin und ihre Freundin Delirija, beide EmigrantInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien, schlendern oder, präziser gesagt, hasten durch Wien, registrieren dabei die Arbeits-, Waren- und Plakatwelt, saugen diese geradezu auf, um die Supermarkt- und Discount-Konsumtempel aufzusuchen. Zwei Frauen, die entfernt an die beiden Freundinnen im Film Pretty Woman erinnern und offenbar kein Problem auf der Ebene der Integration haben. Im Gegenteil: die äußere Assimilation an dieses Wien scheint bereits so fortgeschritten zu sein, dass ihre Sprache, grundiert mit ironischen Verfremdungen und bewussten syntaktischen AusländerInnen-Verkürzungen, die Siglen und das Tempo jener Konsum-Welt weitgehend verinnerlicht hat: Delirija und ich slackern auf der MariaHilfmir-Straße, schreiten im Partisanentempo [...] Johann Strauß passiert, gehen wir am 59