Turek und dem angeschlossenen Comics
Geschäft vorbei. Vor dem Turek stehen immer
dieselben T-Shirts im Ausverkauf, im military
look: grau, grün, schwarz, ein Stern-Aufkleber
auf der Brust. Delirija aber bleibt nicht stehen,
sondern, zielbewusst-ernst wortlos, geht sie
vor mir. Angst hat sie, ihr begehrtes Jacken¬
stück nicht mehr zu erhaschen - es könnte ver¬
griffen sein. Unser Angriffsziel: H&M, das
Beutestück: die sensationelle PVC-Jacke. (il¬
da zuferka rettet die kunst, 57)
Dennoch wissen sie genau, dass sich ihre
Flanerie auf von ImmigrantInnen bevorzugte
StraBenztige konzentriert.
Alle fiinf Schritte hért man hier unsere Mut¬
tersprache (...) Svetlana probiert bei Sala¬
mander Plateauschuhe, ihre Freundin Zvez¬
dana bei Delka, halboffen und weiß. Sanela
kauft bei H&M eine ganze Ladung weinroter
und schwarzer Reizwäsche, und Amela
schleppt vom C&A drei kniekurze und Sanita
drei bodenlange Seidenröcke mit Blumen¬
muster ab. (Ebenda, 58).
Es handelt sich, wie wir bald erfahren, um die
„Putzkolonne“, um „uniformierte Soldatinnen
der Raumpflege‘ (ebenda, 59), die sich ver¬
gnügt immer mehr Inseln des Alltags erobern,
indem sie sich den Freiheiten und Gesetzen
des Waren-Marktes anpassen, sich ihnen be¬
wusst ausliefern. Dabei fällt auf, dass als für
den Aufenthalt von Immigranten typisch an¬
mutenden Örtlichkeiten wie der Wiener Süd¬
bahnhof, aber auch die bürokratischen Instan¬
zen (Meldeamt, Arbeitsmarktservice etc.) in
diesen Texten bereits (fast) keine Rolle mehr
spielen, dass ein Grad von Sicherheit in die¬
ser Stadt und ihren Bewohnern gegenüber er¬
reicht scheint, der offenbar auch davon rührt,
dass AutorInnen wie Hadzibeganovic einen
nicht unwesentlichen Teil ihrer persönlichen
Entwicklung in Wien/Österreich durchliefen.
4. ‚Rebellin des Wortes‘ II ¬
Viktorija Kocman
‘Wien, Belgrad, Brooklyn, Nirgenwo und
Woanders: so lauten die Schauplätze eines
weiteren interessanten Debuts, nämlich des
aus drei Erzählungen bestehenden Bandes
Reigentänze von Viktorija Kocman. In der ti¬
telgebenden Eingangserzählung streunt eine
frisch gebackene Diplomingenieurin (Kocman
selbst hat ebenfalls Informatik studiert) durch
die Straßen Wiens. Aus Angst vor einer mög¬
lichen Ereignislosigkeit — der Bezugsort Uni¬
versität ist ja gerade verlassen worden - spricht
sie einen fremden Mann an, der sich als ser¬
bisch schreibender Schriftsteller ausgibt und
lässt sich auf eine Beziehung mit ihm (Nikola)
ein. Die fast zur Idylle neigende Zweisamkeit,
die sich daraufhin entwickelt, steht freilich un¬
ter einem fatalen Stern, jenem des Verschwei¬
gens der ebenfalls serbischen Herkunft der
Protagonistin, welche ihr Partner intuitiv er¬
ahnt. Eine Reihe von mehr oder weniger zu¬
fälligen Begegnungen spitzt den Trapezakt der
Verstellung einerseits weiter zu und führt
schließlich den annoncierten Absturz herbei.
Ein Wiedersehen Nikolas mit seiner von ihm
getrennt lebenden Frau lässt das Ich eine
Flucht in ihre Innenwelt antreten, die sich zu¬
gleich — und darin liegt wohl die Stärke die¬
ser bündigen Erzählung — unvermutet in die
Kindheitsgeschichte einerseits und in die
Sehnsucht nach einem neuen, unbelasteten
Leben andrerseits öffnet. So fügen sich die
Rückblicke auf die Jugendjahre in Belgrad, ge¬
filtert durch die Erfahrungen als assimilati¬
onssüchtige Studentin in Wien Stück um Stück
zu einer Existenz ohne festen Grund zusam¬
men. Der Tod des Großvaters, der sie kurz
nach Belgrad zurückführt, öffnet ihr die
Augen. Die Ich-Erzählerin begreift, dass ihr
Problem darin besteht, „alles verdrängt‘ zu ha¬
ben, die Kindheit im besonderen und deren
sprachlich-emotionalen Raum. Was bleibt ist
fortan eine Art Gewissheit auf eine Fremde
hin, einschließlich zu jenem Nikola, denn „wie
erzählt man in der Muttersprache, die man
nicht mehr spricht, warum man die Mutter¬
sprache nicht mehr spricht?“ (S. 36) Die bei¬
den anderen Texte nehmen wiederum deutli¬
cher auf den Jugoslawien-Krieg Bezug, wobei
vor allem der Mitteltext Der Krieg braucht kei¬
ne Menschen hervorzuheben ist. In ihm tref¬
fen wir auf eine Therapeutin, die in Belgrad ei¬
nen im Krieg zum Mörder gewordenen Arzt zu
behandeln sucht und an seinem Trauma, d.h.
der Ermordung eines Säuglings, selbst zu zer¬
brechen droht, einem Trauma, das sie fortan
mitverfolgt:
Jede Nacht träume ich von dem Baby. Von der
weißen Bettwäsche und dem kleinen blauen
Teddybären, der in der Wiege neben dem Baby
lag, an den sich das Kind vor der Todesstunde
klammerte, vor den Schiissen... (S. 49).
Das Zerstörerische, Sinnlose eines absurden
und doch unter (rhetorischer) Berufung auf ein
‚Recht‘ geführten Krieges, die Blutspur der
Gewalt im Zeichen einer unverständlichen
‚Ehre‘ - es ging, so betont der Text, doch um
Vukovar — zwingt Kocman in Bilder, Sätze
und Dialoge, die wohl zum Eindringlichsten
(und zum Nachdenklichsten) zählen, was je
über diesen Ausbruch von Haß und Gewalt ge¬
schrieben worden ist.
5. ‚Rebell des Wortes‘ III —
Denis Mikan
Aus der Gruppe der aus Ex-Jugoslawien ge¬
bürtigen AutorInnen verdient schließlich der
Preisträger von 1998, Denis Mikan (geb. 1974
in Podgorica/Montenegro, aufgewachsen in
Zvornik/Bosnien, seit 1996 in Wien), der neu¬
erdings durch einen Erzählband unter dem
Titel Emil (2002) hervorgetreten ist, einige
Aufmerksamkeit. Es handelt sich hierbei um
21 mit Zwischentiteln versehene Erzählstücke,
die auf jeweils wenigen Seiten unspektakulär
wirkende Alltagssituationen, Beobachtungen
eines durch Wien flanierenden Erzählers, der
sich dabei auch selbst beobachtet; der Prota¬
gonist tritt immer wieder ins Zwiegespräche
mit der sich einmischenden Autorinstanz. Die
„Sprache, die ich eigentlich nie hatte erlernen
wollen“ (Emil, 55), zeigt in diesen verdichte¬
ten Aufzeichnungen, Impressionen und Kurz¬
erzählungen eine beeindruckende Modula¬
tionsbreite und verweist auf einen Autor, der
ohne großen narrativen Aufwand über ein be¬
achtliches Register verfügt und scheinbar
mühelos seine Bilder zu einem Ensemble zu¬
sammenführt. Fast zur Überraschung des Er¬
zählers entwickeln sich in diesen Bildern im¬
mer wieder Fragestellungen hintergründiger
Natur, die in intrikater Weise mit der beson¬
deren Identität dieses Emil zwischen den Le¬
bens-Kulturen zusammenhängen: allen voran
eine sensible Exterritorialität, die auf Zuge¬
hörigkeit pocht (etwa beim Beobachten eines
Fußballspieles zwischen einer Wiener und Bel¬
grader Mannschaft, Emil,44), dann erstaunt zur
Kenntnis nimmt, daß die neue, die deutsche
Sprache immer selbstverständlicher wird und
sich dennoch schwer vom Trauma der Vertrei¬
bung lösen kann, wie z.B. der Abschnitt das
bestandsverzeichnis (Emil, 21-28) zeigt. Zu¬
gleich wirft der Text die (alte und immer ak¬
tuelle) Frage auf, inwieweit es „möglich sei,
die eigene Geschichte zu erzählen, ohne sich
selbst dabei zu belügen“(21) Diese Frage rich¬
tet der Ich-Erzähler an Emil, d. h. an seine Fi¬
gur und liefert die Antwort in der Form mit,
daß er eben jenes Verzeichnis, das sein Vater
angefertigt hatte, vorlegt, ein Verzeichnis, das
lapidar, Punkt für Punkt, festhält, was zu einem
Lebensalltag gehört, Identität gewissermaßen
gerahmt hatte: Gebrauchsgegenstände, Erinne¬
rungsrequisiten, Bücher, Schallplatten etc.
Wie schwierig gerade der Umgang mit dem ist,
was als vertraut gilt, zeigt u.a. die den Band be¬
schließende Erzählung mit dem Titel heimat,
die Emil nach Sarajewo führt und durch die
Stadt streifen läßt (Emil, 97-99). Was er dabei
wahrnimmt, wird jedoch in Form eines Trau¬
mes referiert, ein klares Signal dafür, daß die
Realitätsebene keine gewisse mehr ist und trotz
ihrer Irritation doch wieder beruhigend wirkt,
geht es im Text ja auch darum, daß Emil Kin¬
der beobachtet, die mit einer Handgranate spie¬
len, — die glücklicherweise nicht explodiert.
Aus den wenigen Beispielen, eher Schlag¬
lichter denn Analysen, geht hervor, dass sich
gängige Vorstellungen von ‚National‘Literatur
im Zeitalter globaler Migrationserfahrung
verändern und noch weiter verändern werden.
Zu nennen wären hier noch andere AutorInnen
und Texte, allein der Rahmen zwingt zu ex¬
tremer Verkürzung. Nur auf einige sei hier
noch verwiesen, zum einen, weil sie seit Jah¬
ren aus der Literaturlandschaft nicht weg¬
denkbar sind, zum anderen, weil sie beachtli¬
che Debuts hingelegt haben. Nicht wegzu¬
denken ist z.B. Dzevad Karahasan, ehemals
Stadtschreiber in Graz und Koordinator des
Projektes ‚Poetik der Grenze‘ der mit seinem
in rund zehn Sprachen übersetzten Tagebuch
der Aussiedlung (1993) wahrscheinlich den
Text über die Belagerung Sarajevos geschrie¬