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annähern können.’ Da seine Deutschkenntnisse dafür noch nicht ausreichen, schreibt er seine Texte in der ,,,anachronistischen Vorkriegsversion der serbokroatischen Sprache‘, wie Dragoslav Dedovic sie genannt hat‘. Lidia Daviel ist die Pflege ihrer Erstsprache, des Russischen, hingegen ein politisches Anliegen, da diese „von der Amtssprache, von den offiziellen Ausdrücken und von der Propaganda dermaßen vergewaltigt war, dass die Leute das Gefühl dafür verloren haben, wie schön und ausdrucksvoll sie sein kann“. Obwohl ihre Bindung zum Russischen sehr eng ist, hat sie mittlerweile damit begonnen, ihre Gedichte ins Deutsche zu übersetzen. Das Schreiben in nichtdeutscher Sprache bringt freilich mit sich, dass die Texte nur einem sehr eingeschränkten Publikum zugänglich sind. So berichtet etwa Sedat Demirdegmez von seinem Kabarett-Programm in türkischer und kurdischer Sprache: „Nach drei Abenden ist es vorbei.“ Trotzdem sollte ein weiteres Programm folgen, und für die Zukunft plant er ein Kabarett in deutscher Sprache. Dimitre Dinev schreibt schon jetzt sowohl in deutscher als auch in bulgarischer Sprache und betont die positiven Auswirkungen, die die Zweisprachigkeit auf seine Arbeit hat: Jn Osterreich habe ich die besten bulgarischen Gedichte geschrieben. Das Niveau hiitte ich in Bulgarien nie erreicht.” Die schmerzliche und gleichzeitig beglückende Arbeit eines Autors, der nicht in seiner Muttersprache schreibt, hat er in einem Bild festgehalten: Wenn ich deutsch schreibe, fühle ich mich ganz anders. Es ist, als hätte ich einen Eiszapfen in der Hand, und den muß ich solange halten, bis er zu schmelzen beginnt. Und jeder kleine Tropfen ist ein Wort, das geboren wird. Die Worte kommen zwar nicht fließend, aber dafür kennt jedes Wort die Wärme meines Körpers. Und wenn meine Hände durch diese Berührung kalt werden, laufe ich wieder zurück in den Garten und bleibe solange, bis ich wieder Lust auf die Winterlandschaft bekomme. Aber da gibt es noch einen anderen Trick. Ich laufe nicht weg, sondern wärme mir meine Hände und mache weiter. Und wer weiß, vielleicht bricht auch hier eines Tages das Eis. Dann werde ich sehr glücklich sein. Ich werde mich ‚fühlen wie Adam, der von einem Paradies ins andere wechseln kann.* Auch Vladimir Nikiforov schreibt sowohl auf Russisch als auch auf Deutsch. Russisch schreibt er Lyrik, „und zwar fast ausschließlich gereimte Lyrik, wie es sich in der russischen Tradition - nach wie vor — gehört. [...] Wahrscheinlich liegt das am Charakter der Sprache.‘” Übersetzungen seiner Gedichte gibt es nicht. Den prämierten Text „Aus dem Tagebuch eines Nachtportiers“*, der von seinen Erfahrungen in Österreich als Portier bei einer Bewachungsfirma inspiriert wurde, hat er auf Deutsch geschrieben. Einige AutorInnen schreiben ausschließlich (oder beinahe ausschließlich) Deutsch. Hamid Sadr, der seit seiner Jugend im Iran schriftstellerisch tätig ist und seit Anfang der neun ziger Jahre auf Deutsch schreibt, richtet seine Texte dennoch vor allem an LeserInnen im Iran. Seine Situation beschreibt er in Anlehnung an Kafka folgendermaßen: Ich muss mit drei Unmöglichkeiten leben: die Erste: Als Perser, der von rechts nach links schreibt, von links nach rechts zu schreiben, die Zweite: Als „junger“ Schriftsteller in einem anderen Land wieder von vorne zu beginnen, obwohl man gar nicht mehr jung ist, und die Dritte: In einer Sprache zu schreiben, die meine urspriinglichen Leser, die ja in Persien sitzen, gar nicht verstehen können! Wie soll man damit umgehen?” Für Hamid Sadr bedeutet das Leben zwischen den Kulturen nicht nur Bereicherung und „zwei Sitzplätze in dieser Welt‘, sondern auch Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit. Obwohl er als Schriftsteller Anerkennung findet, empfindet er diese als „irgendwie ausgeborgt, provisorisch. Sie ist nicht so echt wie im eigenen Land. Da ergibt sich keine Befriedigung und man weiß nicht, wohin man schreibt.‘“' Alma Hadzibeganovic hingegen sieht im Schreiben in der Zweitsprache eher einen Vorteil: Dadurch, daß mir im Deutschen vielleicht nicht so viele Wörter zur Verfügung stehen, kommt eine andere Sicht hinzu. Durch die radikale Reduktion des Satzes und des Wortes, der Syntax kommt Unmittelbarkeit zu stande!‘ Dass ihr Deutsch nicht unbedingt der Norm entspricht, ist beabsichtigt und entspricht ihrem Ziel einer „Demokratisierung der Sprache“: Sie können uns das Wahlrecht verweigern, aber das Grundrecht auf Sprache, die einzige Waffe, die wir haben, [... ] NICHT!*® Sie hat sich bewusst für die deutsche Sprache entschieden, um mit den des Serbokroatischen in der Regel nicht kundigen deutschsprachigen LeserInnen kommunizieren zu können, zugleich aber im Protest gegen das vermeintliche Alleinrecht der MuttersprachlerInnen auf die deutsche Sprachen und in der Sprache sichtbar zu machen, was in der Gesellschaft oft übersehen wird: „In Wien leben ?00.000 Menschen mit Deutsch als Fremdsprache. Wie lange noch sie ignorieren?“ Das ‚Recht auf Sprache‘ ist auch für die zweisprachig aufgewachsene Anna Kim ein zentrales Thema. Im Interview äußert sie sich dazu folgendermaßen: Ich war [...] immer der Meinung, mich wür65