OCR
Matinee für Leopold Lindtberg Unter dem Titel Leopold Lindtberg - „Alles in Szene setzen, nur sich selber nicht“. Zum 20. Todestag des großen österreichischen Regisseurs fand im Theater SPIELRAUM am 18. April 2004 eine Matinee statt. Das Zitat stammt von Leopold Lindtberg selbst und spielt auch im Lindtberg-Buch der Dramaturgin und Theaterwissenschaftlerin Nicole Metzger eine große Rolle, die gemeinsam mit dem Regisseur Gerhard Werdeker das Theater leitet. „In Wien geboren und aufgewachsen“, hieß es in der Einladung, „vom politisch engagierten Theater der 20er Jahre in Berlin geprägt, konnte Lindtberg — Jude und Linker — 1933 nach Zürich flüchten.“ Und: „Das offizielle Österreich hat Lindtbergs 100. Geburtstag vor zwei Jahren geflissentlich übersehen.“ Der Schauspieler Michael Schefts las aus dem Buch von Nicole Metzger und aus Texten Leopold Lindtbergs. Die Theaterwissenschaftlerin Hilde Haider-Pregler präsentierte Ausschnitte aus einem Interview mit Lindtberg, in dem dieser über den Beginn seiner dann Jahrzehnte währenden Arbeit am Burgtheater nach 1945 sprach. Ausschlaggebend für ihn war, dass das Angebot von Egon Hilbert kam, einem Mann, der viele Jahre Häftling im Konzentrationslager gewesen war. Erinnerungen an Leopold Lindtberg brachten Achim Benning, Rudolf Kautek, Topsy Küppers, Erika Pluhar, Lotte Tobisch, Ernst Stankovski, Gusti Wolf und Andrea Jonasson. Verlesen wurde ein Text von Christian Jauslin, der aus Krankheitsgründen nicht nach Wien hatte reisen können. Jauslin war Dramaturg Lindtbergs während dessen Direktionszeit am Zürcher Schauspielhaus gewesen, hatte den Lindtberg-Band „Reden und Aufsätze“ herausgebracht und das Erscheinen des Buches von Nicole Metzger wesentlich unterstützt. Susanne Lindtberg-Fankhauser, Tochter Leopold Lindtbergs, las einen Text ihrer 2002 verstorbenen Schwester, der Schauspielerin Bettina Lindtberg, über ihren Vater. Die Matinée war für Susanne Lindtberg Anlass, ein Vermächtnis Leopold Lindtbergs zu erfüllen: Dieser hatte in einem Begleitbrief zum Testament verfügt, dass die Erben aus seiner Erbschaft eine selbstgewählte Institution beschenken sollten. „[V]ielleicht“, hatte Lindtberg formuliert, „sogar eine junge, begabte und nicht zu meschuggene Gruppe von Theaterleuten, die es gerade für ihre Weiterexistenz brauchen kann.“ Lange hatte die Familie sich für keine Institution entscheiden können und den Wunsch Leopold Lindtbergs nicht zu erfüllen vermocht. Nun aber hatten sie mit Nicole Metzger und Gerhard Werdeker die richtigen Theaterleute gefunden. Im Anschluss an die Matinée wurde Leopold Lindtbergs Film Die letzte Chance (1945) präsentiert. In einem beeindruckenden Film-Interview mit dem Regisseur, das vor der Vorführung zu sehen war, konnte man viel über dessen Arbeit an diesem großen und noch immer viel zu wenig bekannten antifaschistischen Film erfahren. Schon anlässlich des 100. Geburtstags von Leopold Lindtberg also war es nicht möglich gewesen, auch nur eine kulturelle Institutionen in Österreich zu einer Gedenkveranstaltung zu bewegen. Ganz im Unterschied zur Schweiz. Nun, zum 20. Todestag, hatte Nicole Metzger — mit Unterstützung von Topsy Küppers — der Erinnerung an Leopold Lindtberg ihr Haus zur Verfügung gestellt. Zahlreiche Menschen waren gekommen, sie hätten unschwer jedes mittlere Theater füllen können. Peter Roessler Leopold Lindtberg (1902 — 1984), studierte in Wien, begann 1924 als Schauspieler in Berlin, emigrierte 1933 in die Schweiz, war Regisseur und 1965-68 Direktor des Zürcher Schauspielhauses; ab 1947 ständiger Gastregisseur des Wiener Burgtheaters. — Vgl. Nicole Metzgers Lindtberg-Biographie „Alles in Szene setzen, nur sich selber nicht“ (Wien, Basel 2002), besprochen in ZW Nr. 4/2002. Die diesjährige Jahrestagung der Gesellschaft für Exilforschung wurde in Zusammenarbeit mit den Stadtverwaltungen Carpi und Nonantola veranstaltet. Thema der Tagung war „Kinder und Jugendliche im Exil“. Beide Gemeinden engagieren sich seit einigen Jahren für die Aufarbeitung ihrer Geschichte während des Zweiten Weltkrieges und unterstützten die Tagung großzügig. Der erste Tag der vom Historiker Klaus Voigt (Berlin) organisierten Jahresversammlung fand in Carpi statt, das ca. 20 km nördlich von Modena liegt. 1996 hatte Herr Voigt von der Stadt Nonantola den Auftrag bekommen, die Geschichte der Kinder der Villa Emma in Nonantola zu dokumentieren. Herr Voigt sprach am Beginn der Tagung über diese Kinder und ihren Betreuer Josef Indig, dessen Erinnerungen im Herbst 2004 im Arsenal Verlag in Berlin erscheinen sollen. Dazu thematisch passend war das Referat von Gudrun Maierhof, die über die Arbeit von Recha Freier, der Leiterin der von ihr 1933 ins Leben gerufenen Jugendalijah, berichtete. Mit ihrer Hilfe flüchteten etwa 140 Kinder aus Österreich und Deutschland zunächst nach Zagreb und kamen dann mit viel Glück über Slowenien nach Italien. Während des einjährigen Aufenthaltes (1942/43) der 73 Kinder in der Villa Emma erhielten sie einen einigermaßen geordneten Schulunterricht. Als Italien nach dem Tode Mussolinis von deutschen Truppen besetzt wurde, versteckte man die Kinder mehrere Wochen im Priesterseminar der Abteikirche, bei Nonnen und einheimischen Familien, bis — wie durch ein Wunder — eine weitere Flucht in die Schweiz gelang, von wo sie 1945 nach Palästina gelangten. Fast alle überlebten und blieben dort. Klaus Voigt hat die Geschichte dieser Flucht in seinem Buch Villa Emma. Jüdische Kinder auf der Flucht 1940-1945 (2002) festgehalten. In Nonantola selbst war die Episode mit den jüdischen Kindern lange Zeit ein wenig in Vergessenheit geraten. Erst in den letzten Jahren entschloss man sich, eine Erinnerungsstätte in der Villa Emma einzurichten. Am Nachmittag des ersten Tages ging es um Exil in Großbritannien. Claudia Curio referierte über die Integrations- und Fürsorgekonzepte der Hilfsorganisationen, die deutschjüdische Kinder in England versorgten. Andrea Hammel berichtete über eine im Aufbau befindliche Datenbank. Biographien von Kindern, die mit einem Kindertransport nach England gekommen waren, werden im Rahmen dieser Arbeit erfasst. Und Charmian Brinson und Marietta Bearman gaben einen Einblick in die Tätigkeit von „Young Austria“, einer Organisation, die von 1939 bis 1946 von jungen Österreichern in London geleitet wurde. Im Wiener Czernin Verlag erschien das Buch Wien-London, hin und retour. Das Austrian Center in London 1939-1947, in dem die beiden auch auf die Arbeit von "Young Austria" eingegehen. Am späten Nachmittag besuchten die fast 70 Tagungsteilnehmer dann das ehemalige Deportations- und Konzentrationslager Fossoli in der Nähe von Carpi. 1942 wurde dort ein Lager für britische Kriegsgefangene errichtet, die im Herbst 1943 nach Deutschland ,,verlegt“ wurden. Ende 1943 wurde es von der »Republik von Salo“ im Sinne der Bestimmungen der ,,Charta von Verona“ zum regionalen Internierungslager für Juden umfunktioniert. Im Februar 1944 übernahm die SS die Lagerleitung, und Fossoli wurde zum Polizeiund Durchgangslager für politisch und rassisch Verfolgte. Die meisten Internierten waren italienische Staatsbürger und stammten vorwiegend aus den nordwestlichen Gebieten Italiens. Unmittelbar nach der Übernahme des Lagers durch die SS kam es zu ersten Deportationen nach Auschwitz. Im August 1944 beschloß die SS, das Lager nach Bozen zu verlegen. In den Monaten der deutschen Leitung passierten mehr als 5.000 Gefangene Fossoli. Etwa die Hälfte von ihnen waren politische 71