Gerda Hoffer, die Tochter von Stefan Polla¬
tschek, der Mitglied der „Vereinigung soziali¬
stischer Schriftsteller“ war, stand als Jugend¬
liche in Opposition zum Austrofaschismus,
wurde angeklagt, vom September bis Dezem¬
ber 1937 inhaftiert und der Schule verwiesen.
Sie flüchtete 1938 in die Tschechoslowakei,
von dort nach Großbritannien und übersiedel¬
te 1978 nach Israel. Gerda Hoffer, die enga¬
giert in der israelisch-österreichischen Freund¬
schaftsgesellschaft mitarbeitet und immer
wieder als Ansprechpartnerin des Forschungs¬
schwerpunktes „Frauen im Exil“ fungiert, ist
den LeserInnen der Zeitschrift der Theodor
Kramer Gesellschaft durchaus keine Unbe¬
kannte.
Erinnert sei nur an ihren Beitrag vom Juni
1990 zum hundertsten Geburtstag ihres Vaters.
In ihrem jüngsten Werk „Ein Haus in
Jerusalem“ zeigt uns Gerda in ihren Figuren
ein breit aufgefächertes Bild Israels und seiner
BürgerInnen. Es geht oft sehr turbulent zu un¬
ter den Bewohnern des fiktiven Hauses Num¬
mer 73 in einer tatsächlich existierenden
Jerusalemer Straße — Ben Maimon. Die Auto¬
rin hat sich die geschilderten Ereignisse nicht
etwa nur in ihrer Phantasie ausgedacht, son¬
dern dafür gründliche Recherchen in ihr zu¬
gänglichen Archiven und Bibliotheken durch¬
geführt. Bei einem der jüngsten Terroran¬
schläge auf einen Linienbus in Jerusalem war
sie sehr nahe, als die Bombe eines Selbstmord¬
attentäter den Bus zerstörte und einige Fahr¬
gäste in den Tod riss. Ein Freund von ihr
schrieb mir sogleich ein E-mail: „Es ist ihr
nichts passiert. Sie war zu Hause, aber sie müs¬
ste es eigentlich sehr deutlich gehört haben.“
Ausgangspunkt für ihren Roman sind die Ge¬
waltherrschaft der Nazis und ihre rassistischen
Wahnvorstellungen. Illusionen jüdischer Sol¬
daten, die ja in der deutschen Armee gedient
hatten und meinten, es werde ihnen von den
Nazis schon nichts passieren, werden ebenso
thematisiert wie die Ermordung eines Freun¬
des von Bernhard Stern, der als kommunisti¬
scher Widerstandskämpfer von der Gestapo
auf der Stelle erschossen wurde. Bernhard, der
als Jude sein Chemiestudium in Nazideutsch¬
land nicht beenden konnte, sah seine Zukunft
in einem Kibbuz und konnte von seinem Vater
letztlich überredet werden, doch eher in das in
seinem Besitz befindliche Haus Nr. 73 nach
Jerusalem zu ziehen und die anderen Woh¬
nungen zu vermieten. So geschah es auch.
Die vielschichtigen kulturellen Wurzeln der
Bewohner von Ben Maimon, ihre unter¬
schiedlichen Sitten und Gebräuche bieten Stoff
genug für Gerda Hoffer, um ein breites, durch¬
aus auch spannend geschriebenes Sitten- und
Gesellschaftsbild zu zeichnen. Sechs Jahr¬
zehnte Geschichte Jerusalems mit allen
Schwierigkeiten, die es da zu bewältigen gab,
werden in den Roman miteingewoben. Denn
sie kamen aus allen Windrichtungen nach
Israel. Sie flohen vor den Nazis, andere wie¬
der wuchsen in der Altstadt von Jerusalem auf,
kamen aus Äthiopien, aus Alexandria oder aus
einem gottverlassenen Dorf im Atlasgebirge.
Sie kamen aber auch aus Großfamilien aus
dem Jemen, wo der Großvater über die Män¬
ner, die Großmutter über die Frauen herrsch¬
te, die auch der jungen Mazal „alles, was nötig
war, also Beten, einen koscheren Haushalt
führen, die Familie vor dem bösen Auge schüt¬
zen und all die vielen Geheimnisse, die nur
Frauen kennen, beigebracht habe“. Wenn
Gerda Hoffer über ein großes Königreich in
Äthiopien schreibt, das unter Königin Judith
zur vollen Blüte gelangte, dann fällt einem so¬
fort ihr Buch „Zeit der Heldinnen“ ein, wo sie
Lebensbilder außergewöhnlicher jüdischer
Frauen beschrieb. Ausgiebige erläuternde An¬
merkungen und ein Glossar ermöglichen eine
zusätzliche Orientierung durch die Gescheh¬
nisse rund um das Haus Nr. 73 in der Ben
Maimon, in Jerusalem und in Israel.
Herbert Exenberger
Gerda Hoffer: Ein Haus in Jerusalem. Roman.
Jerusalem: Biblos Publishing 2003. 448, IX S.
Euro 15,¬
Bezug über Theodor Kramer Gesellschaft: Fax
+ 43 1 729 75 04, E-mail: tkg@aon.at
Auf steinigem Boden
Tirols Sozialdemokratie von
1890 bis 1934
Im Rahmen der Michael Gaismair-Gesell¬
schaft in Innsbruck ist ein Buch über die
Geschichte der Tiroler Sozialdemokratie in der
Donaumonarchie und der Ersten Republik er¬
schienen. Als Herausgeber zeichnen der Vor¬
sitzende der Sozialdemokratischen Leh¬
rerInnen Tirols, Rainer Hofmann, und der
Dozent am Institut für Zeitgeschichte der
Universität Innsbruck Horst Schreiber, welche
den Text mit neun MitautorInnen verfassten.
Das Buch behandelt seinen Gegenstand in 24
Lebensläufen, denen von 16 Männern und 8
Frauen; zwei Vorspänne, einer über die Ge¬
schichte der Partei und einer über die Rolle der
Frauen in ihr liefern darüber hinausgehende
allgemeine Informationen.
Die Tiroler Sozialdemokratische Arbeiterpartei
wurde wenige Monate nach dem Hainfelder
Einigungsparteitag der Mutterorganisation in
Telfs gegründet. Als ihr Gründervater kann
Josef Holzhammer gelten, ein Eisenbahnar¬
beiter aus Absam, dessen organisatorische
Großtat die Gründung der „Allgemeinen Ar¬
beiter-Kranken-Unterstützungkasse“ war, die
schon 1877 in Innsbruck entstand.
Der Boden für eine marxistische Weltanschau¬
ungspartei der Arbeiterschaft war in einem
Land, in dem die Industrie nur in wenigen
Inseln, vornehmlich rund um Innsbruck und
rund um Wörgl, verbreitet war, denkbar stei¬
nig. Trotzdem gelang es, die „‚Fabrikler“, selbst
eine verfemte Minderheit, in einem Land, das
eher an zu wenig Kapitalismus als am Kapi¬
talismus als solchem litt, zu organisieren. Bei
den Fabriklerinnen war der Erfolg bei weitem
nicht so durchschlagend, was am Beispiel des
Textilortes Telfs sehr anschaulich dargelegt
wird.
Schlecht sah es mit dem Vorhaben aus, die
Landarbeiter, Klein- und Nebenerwerbsbauern
welche den Großteil der Mühseligen und
Beladenen ausmachten, von den Vorteilen des
Sozialismus zu überzeugen. Hier bestand in
der katholischen Kirche eine übermächtige
Gegnerin, der mit dem Vorwurf der Religions¬
feindlichkeit eine jedes Mal treffende Waffe
zur Verfügung stand. So war schließlich die
Sozialdemokratie vor allem als Partei verfemt,
welche die Religion abschaffen und die
Kirchen zusperren wolle. Bis zu den heiklen
Fragen der Eigentumsverhältnisse musste da
erst gar nicht vorgeschritten werden.
Bei der noch wenig fortgeschrittenen Demo¬
kratie in der Donaumonarchie des ausgehen¬
den 19. Jahrhunderts war Teilhabe an der
Politik für eine Arbeiterorganisation nur sehr
in Grenzen möglich, die politischen Vertre¬
tungskörper, wie Gemeindestuben und Land¬
tag blieben, wegen des undemokratischen Ku¬
rienwahlrechtes, bis zum Ende des Kaiser¬
reiches verschlossen. Frauen waren per Gesetz
vom politischen Leben ausgeschlossen, frau
behalf sich mit Arbeiterinnenbildungsvereinen,
in denen Maria Ducia eine hervorragende
Rolle spielte, eine Innsbruckerin aus kinder¬
reicher Familie, die sich als Ladnerin in Lienz
durchs Leben schlug.
1907 gelang es den demokratischen Kräften
Zisleithaniens, das Allgemeine Wahlrecht in
den Reichsrat wenigstens für Männer zu er¬
ringen. Erster sozialdemokratischer Nordtiro¬
ler Abgeordneter war Simon Abram, der als
Halbwaise mit fünf Geschwistern schon als
kleines Kind zum Unterhalt der Familie hatte
beitragen müssen. In Wien schloss er sich eng
an Karl Renner an, der ja ein ähnliches Kin¬
derschicksal erlitten hatte. Einer größeren Öf¬
fentlichkeit wurde Abram bekannt, als er das
Schicksal der „Schwabenkinder“ im Reichsrat
anprangerte, die alljährlich von Tirol ins be¬
nachbarte Deutschland zur Sklavenarbeit ver¬
bracht wurden. Die Autoren erwähnen kurz,
dass mit Abram auch der Trientiner Abge¬
ordnete Cesare Battisti in den Reichsrat kam.
Sein weiteres Schicksal, als Opfer einer grau¬
samen österreichischen Militärjustiz, wäre ge¬
nauso einer Untersuchung wert gewesen wie
überhaupt die Frage der zwei Nationalitäten im
Tiroler Proletariat. Von daher hätte der auch in
der Tiroler Sozialdemokratie wütende Deutsch¬
nationalismus, von dem im Buch die Rede ist,
eine interessante Beleuchtung erhalten.
Trotz schlechter Voraussetzungen erschöpfte
sich die Tätigkeit der Tiroler Sozialdemokra¬
tInnen nicht in steriler Opposition. Simon
Abram und seinen Mitarbeitern, voran Johann
Orszag, gelangen noch in der Monarchie eini¬
ge bedeutende organisatorische Leistungen,