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Armin Eidherrs Roman „Bibliomania“ Bücher gehen bekanntermaßen Verbindungen ein, führen von einem zum anderen, rufen Assoziationen hervor und verleiten einen oft in Gegenden, welche der Schriftsteller selbst vielleicht gar nicht im Sinn hatte. Mich führte — oder verführte — der Roman „Bibliomania“ zum hebräischen Dichter Pinchas Sadeh, zu seinem Buch „Das Leben als Gleichnis“, weil das tragische Schicksal Bertholds, wie es scheint, in einem ziemlichen Maße das Schicksal von uns allen im ausgehenden 20. Jahrhundert ist. So verstehe ich auch den Untertitel Historischer Roman, den ein feiner, bitterer Humor umweht. Der Vergleich mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert drängt sich wahrlich auf, als der existentielle Zustand des Menschen wahrscheinlich nicht viel leichter war, jedoch die Hoffnungen erstrahlten, es werde sich eine große, eine messianische Erlösung nähern. In der Weltliteratur sprudelten Ideen und Gedanken. Es blühte eine gewaltige Prosa, angefangen vom enigmatischen Russland bis hin zu den von der Romantik ausgenüchterten westlichen Regionen: Frankreich, Deutschland, England, Skandinavien u.a. Das ausgehende 20. Jahrhundert dagegen wird in ,,Bibliomania“ als eine Art Leerlauf einer Maschine geschildert, an der Grenze zwischen Bibliophilie und Bibliomanie, zwischen Bücher-Liebe und Bücher-Irrsinn. Gleich in den ersten Zeilen des Buches lässt der Autor wissen, dass er sich daranmacht, eine verkehrte Welt zu beschreiben, wenn Reinhard, der Geisteskranke, zu seinem Bruder sagt: „Du bist eigentlich verdreht und müsstest hier liegen — nicht ich“; und es ist doch eine alte Regel, dass Irre die Wahrheit sagen! Keine einzige der Personen, die indem Roman geschildert werden, kann einen Platz in diesem ausgehenden Jahrhundert finden, sondern alle verlieren sich in Wahnsinn. Der verrückte Reinhard sieht in allem Dreck und ruft die Menschen, seinen angeblich heilen Bruder eingeschlossen, Müllmacher. Ich könnte über jede einzelne Person eine ausführliche Analyse verfassen, so wie ich sie durch meine rauchbeschlagenen, fast schwarzseherischen Brillen erblicke, überlege jedoch, ob es tatsächlich exakt das wäre, was der Autor dabei im Sinn gehabt hat, oder ob daran meine eigene Stimmung „schuldig“ wäre. Die Bibliomanie, denke ich, ist für den Autor vielleicht bloß das Gleichnis für den allgemeinen Wahnsinn seiner Personen und für deren hinfälliges Umfeld, wie es sich beispielsweise bei der Schwarzen Messe der Satanisten in A. Voisingers Keller „offenbart“, wo sogar die „normale“ Bibliothekarin Renate unvermutet auftaucht; ganz zu schweigen von der exzentrischen Helene Petracky. Ich möchte hier jedoch nicht ins Detail gehen ... Ich blicke bloß auf den tragischen, in einem ziemlichen Maße grotesken „Helden“ Berthold, auf seinen 80 letzten Weg nach der mörderischen Szene beim bizarr-wahnsinnigen Baron von Hochlandt-Thränburg. In der normalen, natürlichen Gegend Chiles enthüllt sich die ungeheure Absurdität von Bertholds Leben, von der manischen Krankheit, in welche ihn seine Umgebung hineingetrieben hat. Der Autor lässt Berthold im Krater eines Vulkanes verschwinden, in den ewigen Tiefen der Erde, aber das Gleichnis ist viel umfassender. In der Konfrontation mit der Gestalt des simplen Jorge, des NaturMenschen, verliert Bertholds Herumgejage den ganzen Wert. Um die Wahrheit zu sagen, man bedauert es nicht, dass Jorge die teuren Bücher verbrennt, um es sich warm zu machen, und dass er das Büchlein aus Büttenpapier dazu verwendet, sich den Hintern auszuwischen. Das vielbändige Werk des guten Hermann Gerstenberg, einer weiteren grotesken Figur des Romans, wird die Welt gewiss nicht retten. Es wird auch nicht — im Sinne des Karl KrausMottos - entschädigen. Und es bleibt eine offene Frage, ob die Rückkehr zur „Ursprünglichkeit“, zur Lebensart Jorges, die ersehnte Harmonie wird bringen können. Alte Pessimisten, wie ich einer bin, sind skeptisch. Die Welt mit ihrem Irrsinn, mit ihrer Bösartigkeit, mit ihrer Schönheit, mit dem sündigen Menschen in ihr, ist halt so, wie sie ist, und wir müssen uns durch sie durchschlagen - in den geschenkten Jahren, die uns von ich weiß nicht wem beschert sind. Alexander Spiegelblatt Armin Eidherr: Bibliomania. Historischer Roman vom ausgehenden 20. Jahrhundert. Landeck: EYE Literaturverlag 2003. 241 S. Euro 19,Stefan Zweig im Zeitgeschehen Thomas Eicher legt einen Tagungsbericht vor, in dem ein weites Spektrum an Zweig-Themen und -Analysen von renommierten ZweigKennern aufgefächert wird. Dabei werden vornehmlich Zweigs Position zum Ersten Weltkrieg und seine Werke der Zwischenkriegszeit auf ihren Politikbezug hin untersucht und in Erinnerung gebracht. Faschismus, Zionismus, Eskapismus und Humanismus sind dabei die Schlaglichter, unter denen er betrachtet wird. Die Bedeutung seiner Exilbefindlichkeit wird wenig beachtet, obwohl gerade sie eine engagierte Haltung des Autors bewirkte. Der gewählte thematische Ansatz ist von vornherein bei einem Autor wie Zweig problematisch, der sich zu allen Zeiten vehement einer politischen Stellungnahme enthielt und dessen Motto „Keine Politik“ sich in vielfältigen Varianten durch sein Werk, seinen Briefwechsel und seine persönlichen Stellungnahmen zieht. Dass dennoch politische Verhältnisse in dem bewegten knappen halben 20. Jahrhundert, das Zweig erlebte, tief in seine Lebens- und Denkverhältnisse eingriffen, ist nicht zu leugnen und mehrfach nachgewiesen. Sie bilden die ständige Ambivalenz zu seinem Anspruch des Unpolitischen und belassen den Interpreten dadurch zwangsläufig im „vagen Gestern“ und narrativen Bereich des Lebens und Werks. Daraus ergibt sich, wie der Herausgeber im Vorwort ausführt, eine Vielfalt an Perspektiven und wechselnden Wertungen. Wenn Thomas Eicher dabei eine Positionierung und Kontextualisierung von Autor und Werk fordert, muss er sich nach Meinung der Rezensentin der Wahrscheinlichkeit bewusst sein, Werk und Person in eine jeweilige politische, soziologische oder literaturwissenschaftliche Theorie zu drängen, was für den interessierten und informierten Leser zwanghaft wirkt. Letztendlich widersetzen sich Person und Werk diesem Versuch ja auch überall dort, wo dies ins Spekulative abgleitet. Bruni E. Blum Thomas Eicher (Hg.): Stefan Zweig im Zeitgeschehen des 20. Jahrhunderts. Oberhausen: Athena 2003. 316 S. Jüdischer Widerstand in Deutschland und Europa: Zwei Literaturhinweise „Nicht wie die Lämmer zur Schlachtbank“ (Jeremias 11,19) - diese hier mehrfach zitierte Paraphrase eines Bibelwortes, die auch der 1980 zuerst erschienenen Untersuchung von Hermann Langbein über Widerstand in den Konzentrationslagern ihren Namen gab, richtet sich vornehmlich gegen ältere Äußerungen von Bruno Bettelheim, Hannah Arendt und Raul Hilberg, in denen ein jüdischer Widerstand gegen die NS-Herrschaft in Deutschland und Europa geleugnet oder doch fiir marginal erklärt wurde. Im Widerspruch dazu, den Arno Lustiger besonders entschieden formuliert, stehen allerdings die Sachverhalte, die — auch als Folge der Tabuisierung des kommunistischen Widerstandes im Zeichen des Kalten Krieges — von der Forschung bis 1970 völlig vernachlässigt und erst nach und nach in das öffentliche Bewußtsein gerückt wurden. Arnold Paucker skizziert die Ausgangslage so: In der Frühzeit der Bundesrepublik verlief die Geringschätzung jüdischer Aktivität gegen die NS-Diktatur parallel zum Herunterspielen fast Jedes nicht-militärischen und nicht-konservativen Widerstandes. Die Weiße Rose bildete da die eine löbliche Ausnahme; der Arbeiterwiderstand dagegen blieb in der Versenkung verschwunden. Aber gerade im linken Wider