stand hatten Juden ihren Platz gefunden — wo
sonst hätten sie schließlich überhaupt sein
können? Im übrigen fügte sich die Redu¬
zierung auf die Opferrolle besser in das Juden¬
bild der Bundesrepublik. (S. 6) In der DDR
hingegen habe nur der kommunistische Wider¬
stand gegolten und der jüdische Anteil daran
sei vernachlässigt worden, weil er nicht in die
Parteilinie gepaßt habe.
In souveräner Beherrschung der Quellen und
zum Teil noch aus eigenem Erleben gibt der
langjährige Direktor des Londoner Leo Baeck
Instituts zur Erforschung der Geschichte der
deutschen Juden nun einen Einblick in die in¬
zwischen weitverzweigte Forschung zum jü¬
dischen Widerstand. Themen sind u.a. der il¬
legale Widerstand in der Arbeiter- und der jü¬
dischen Jugendbewegung, das Verhältnis zum
konservativen Widerstand, der jüdische Bei¬
trag im Spanischen Bürgerkrieg, im Parti¬
sanenkampf und zum Militärdienst in den
Alliierten Armeen.
Arnold Pauckers Überblick kann zugleich
auch als Einführung in die gründliche und ver¬
tiefende Auseinandersetzung mit dem Thema
gelesen werden, die eine dreiteilige Konfe¬
renzreihe der Konrad-Adenauer-Stiftung un¬
ternommen und in einem Sammelband veröf¬
fentlicht hat— ein wahres Kompendium zum
jüdischen Widerstand in Deutschland und
Europa, auf dessen inhaltlichen Reichtum nur
verwiesen werden kann. Eröffnet wird es mit
der Rede von Paul Spiegel zum 60. Jahrestag
des Warschauer Ghettoaufstandes, einem
Beitrag von Ernst Ludwig Ehrlich zur Idee des
Widerstandes im Judentum und einer Kurz¬
fassung der erwähnten Abhandlung von
Arnold Paucker.
Themen des ersten Teils, „Herausforderung
von Widerstand“, sind u.a. die Verteidigung
der Weimarer Republik durch deutsche Juden
(Barbara Suchy), das Verhältnis von Juden und
Deutschen im Vorkriegsdeutschland 1930-39
(Arnold Paucker), die Willkür der NS-Justiz
(Ingo Müller), „Hitlers Volksstaat“ als Um¬
verteilungsstaat der kleinen Leute (Götz Alys
Rede zur Verleihung des Heinrich-Mann¬
Preises 2002) sowie biographisch untermau¬
erte Ergebnisse der neueren Täterforschung
zum Holocaust (Gerhard Paul). Der zweite
Teil des Sammelbandes widmet sich dem jü¬
dischen Widerstand in Deutschland: Horst
Sassin referiert über den Beitrag zum libera¬
len Widerstand, Jan Fotzik über linke Klein¬
gruppen und die Organisation „Neu Be¬
ginnen“, Kurt Schilde über den jüdischen
Jugendwiderstand, zu dem Werner T. Angress
sehr anschauliche persönliche Erinnerungen
beisteuert. Der jüdische Widerstand in Europa
ist dann Gegenstand des dritten Teils. Er ent¬
hält mehrere Beiträge von Arno Lustiger, u.a.
zum Aufstand im Warschauer Ghetto, zum
Anteil der jüdischen Freiwilligen am Spa¬
nischen Bürgerkrieg, am Kampf der Alliierten
im Zweiten Weltkrieg und zur tragischen Ge¬
schichte des Jüdischen Antifaschistischen
Komitees in der Sowjetunion. Lucien Stein¬
berg behandelt den Anteil der deutschspra¬
chigen Juden am Widerstand in Frankreich
und Belgien, Viviana Ravaioli die Teilnahme
der Juden am italienischen Widerstand und
Ingrid Strobl den Kampf jüdischer Frauen im
besetzten Europa. Der abschließende Teil un¬
tersucht den Anteil jüdischer Emigranten am
Wiederaufbau der Demokratie in West¬
deutschland: Ihren Einfluß auf die amerikani¬
sche Deutschlandpolitik 1933-49 (Alfons
Söllner), auf das Reeducation-Programm (Ute
Gerhardt) und die Rolle der jüdischen politi¬
schen Remigration in Nachkriegsdeutschland
(Marita Krauss).
Theo Meier-Ewert
Arnold Paucker: Deutsche Juden im Wider¬
stand 1933-1945. Tatsachen und Probleme. 2.,
erweiterte und verbesserte Auflage der 1999
erschienenen Broschüre. Berlin: Gedenkstätte
Deutscher Widerstand 2003. 67 S. (Beiträge
zum Widerstand 1933-1945).
„Gegen alle Vergeblichkeit“. Jüdischer Wider¬
stand gegen den Nationalsozialismus. Hg. von
Hans Erler, Arnold Paucker und Ernst Ludwig
Ehrlich. Frankfurt a.M./New York: Campus
2003. 456 S. Euro 45,¬
In der Geschichte nimmt die Shoah, und das
brauchte man den LeserInnen dieses Magazins
eigentlich gar nicht auseinandersetzen, eine in
vieler Hinsicht einzigartige Stellung ein...
Da ich noch etwas jiinger bin, wiirde ich gern
erklären, warum mich gerade dieses Kapitel
der Geschichte, und alles was im Umkreis des¬
sen ist, interessiert — vom Ursprung des
Holocaust bis zu meinen persönlichen Lieb¬
lingsgeschichten. Es sind, zumindest teilwei¬
se, seine surrealen Auswüchse...
Einer meiner favourites in der Kategorie 2/a
sind die französischen Internierungslager, an¬
gefangen von Gurs (zuerst errichtet für Flücht¬
linge aus Franco-Spanien z.B.: Internationale
Brigaden, Spanier welche gegen das rechte
Francoregime kämpften, Zivilbevölkerung) bis
zu Les Milles, und zu diesem Lager sind die
Tagebücher von keinem geringeren als Lion
Feuchtwanger, dem Autor von Jud Süß, neu
aufgelegt worden.
Ich werde mir jegliche weitere biographische
Anmerkung ersparen, da Lion Feuchtwanger
unter den Lesern meiner unbedeutenden Re¬
zension bekannt genug ist, und wer noch
nichts von L.F. gelesen hat, der kann auch
durchaus mit Der Teufel in Frankreich anfan¬
gen...
Sehr offen geschrieben. Der Autor hat einfach
eine sehr gute Beobachtungsgabe, welche er
im Zusammenhang mit einem weiteren aus¬
geprägten Talent, dem Schreiben, in diesem
Buch auf köstliche Art vereint. Persönlich
konnte ich mich so von Seite zu Seite in einen
angenehmen Wahn lesen, und allein dies ist für
mich schon einmal ein Anzeichen dafür, ein
ausgezeichnetes Buch in Händen zu haben.
Allerdings konnte ich mich auf den — sagen
wir — ersten hundert Seiten des Eindrucks
nicht erwehren, entweder der rosarote Panther
oder Herr Rossi mache auf der Suche nach
dem Glück eine unselige Zwischenstation in
Les Milles. Und zu meiner Verteidigung (denn
ich sehe böse Leserbriefe eintrudeln) folgen¬
des Bild:
21. Mai 1940. Am späten Nachmittag bleibt
ein Taxi vor dem französischen Internierungs¬
lager stehen (und sie werden nur deshalb von
mir nicht KZ genannt, weil man in Frankreich
halt zumindest so viel Anstand aufbrachte, die
tolle 5. Kolonne nicht gleich in den Lagern
selbst zu ermorden, aber sicher nicht, weil die
sanitären Anlagen vielleicht besser gewesen
wären, denn die brauchten so wie manch an¬
deres keinen Vergleich mit einem deutschem
KZ zu scheuen), und ein bereits älterer Mann
(L.F., geboren 1884 und selbst im damaligen
Frankreich als antifaschistischer Schriftsteller
bekannt) entsteigt dem Vehikel, vollbepackt
mit Koffern, Decke und Klappstuhl und dazu
das „allez hop“ eines französischen Sergean¬
ten...
Alles weitere wird die Leserschaft hoffentlich
selbst lesen, und es wäre ein wenig präpotent
(österr. für überheblich), würde ich jetzt eine
schulmäßige Kritik von Der Teufel in Frank¬
reich verfassen. Statt dessen wende ich mich
zum Schluß noch einmal der Grande Nation
zu. Es wäre schön, wenn in Frankreich nicht
nur die Resistance in Erinnerung verbliebe,
sondern auch diese üblen Aktionen - ein¬
schließlich des Artikels 19.2 der Petain¬
Vichy-Tolles-Frankreich-Regierung.
Und lesen Sie bitte Lions Feuchtwanger
Tagebuch 1940 Der Teufel in Frankreich da¬
ZU...
Nico Franze
Lion Feuchtwanger: Der Teufel in Frankreich.
Erlebnisse. Tagebuch 1940. Briefe. Mit einem
ergänzenden Bericht von Marta Feuchtwanger
und Anmerkungen von Harold von Hofe.
Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag 2000. 371
S. OS 131,-/DM 17,90/SFr 17,60
Interviews mit Exilierten in
Großbritannien
Das Buch basiert auf 30 Interviews mit teil¬
weise bereits verstorbenen deutschen und
österreichischen Exilanten, die von der Lon¬
don Research Group for German Exile Studies
— heute ein Teil des Research Centre for
German and Austrian Exile Studies — ab 1994
durchgeführt wurden. Unter den Osterrei¬
cherInnen sind Hans Brill, Ernst Flesch,
Mimi Glover, Nelly Kuttner, Hanne Norbert¬
Miller, Helga Reutter, Stella Rotenberg und