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Gertrud Wengraf hervorzuheben. Die Transkriptionen haben einen Umfang von einigen tausend Seiten und sind eine wichtige Quelle für die Geschichte der deutschsprachigen Emigration nach Großbritannien. Im Buch werden die Interviews als Rohmaterial benutzt, um das alltägliche Leben die Eingliederung in die britische Gesellschaft, die Internierung, die Rolle der Religion, die Beziehung zur Heimat etc. zu untersuchen. Leider gehen durch dieses Verfahren die kontinuierlichen Lebensgeschichten und genauen biographischen Informationen in vielen Fällen verloren. Auch durch die englische Sprache geht manche authentische Information verloren. Eine „Central Synagogue‘ gab es in Wien nicht; gemeint ist sicher der Stadttempel. Die Einleitung gibt einen Überblick über den Forschungsstand, vermißt wird aber dennoch eine Bibliographie im Anhang des Buches. Umso mehr ist das nützliche Personenregister hervorzuheben. Evelyn Adunka Changing Countries. The Experience and Achievments of German-speaking Exiles from Hitler in Britain from 1933 to today. Edited by Marian Malet and Anthony Grenville. London: Libris 2002. 259 S. Wissenschaftlerinnen in und aus Osterreich ein fundamentaler Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte Eine der bemerkenswertesten Erfolge der Schul- und Universitätsreformen der 1970er Jahre war die weibliche „Bildungsexplosion“ — denn sozial ungerecht und patriachal ummauert reproduzierte das österreichische Bildungs- und Wissenschaftssystem 25 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eine negative weibliche Auslese. Nicht nur Intelligenz und wissenschaftliches Engagement waren für eine akademische Laufbahn von entscheidender Bedeutung, sondern der materielle und soziale Hintergrund des Elternhauses sowie das Geschlecht. Auch in den „traditionellen“ weiblichen Tätigkeitsfeldern wie Pädagogik, Psychologie, Sozialwissenschaften oder Medizin fand sich auf der Ebene des universitären Forschungs- und Lehrpersonals kaum eine Dozentin. Die Ursachen dafür sind durchaus nicht so vielfältig bzw. lassen sich nicht allein aus dem individualbiographischen Kontext herauslesen. Der wissenschaftshistorischen und genderspezifischen Frage nachzugehen, welchen Beitrag Wissenschaftlerinnen innner- und außerhalb der Universitäten geleistet haben, warum sie im allgemeinen österreichischen Wissenschaftsverständnis marginalisiert und durchaus verschwiegen wurden, unternimmt das vorlie82 gende Lexikon der „Wissenschafterinnen in und aus Österreich“. Die Herausgeberinnen, Brigitta Keintzel und Ilse Korotin, haben Forscherinnen aus den einschlägigen Disziplinen versammelt, um in 342 bio-bibliographischen Artikeln Leben, Werk und Wirken der Pionierinnen und folgenden Generationen von Wissenschaftlerinnen darzustellen. Wir haben es hier mit einer ersten Auswahl zu tun (die weitaus größere Zahl von Einträgen ist in der Datenbank biografiA, am Institut für Wissenschaft und Kunst, Wien, zu finden), in der vollständig die ersten Frauen erfaßt sind, die sich an den Universitäten von Graz, Innsbruck und Wien habilitieren konnten (eine zugleich erläuternswerte Einschränkung, zumal vor 1918). Das Lexikon stellt nicht nur interessante Persönlichkeiten vor, es besticht in vielen Beiträgen in der Balance zwischen Biographie und den sachkundlichen Darlegungen von Werk- und Wirkungszusammenhang. Dem Laien wird damit auch die Kenntnisnahme eines speziellen Bereiches wissenschaftlicher Entwicklung ermöglicht. Die Wissenschaftspionierinnen waren zunächst mit grundlegenden Verboten und Unmöglichkeiten (eine Matura abzulegen und damit die Zulassung zum Hochschulstudium zu erlangen war erst ab 1896 möglich) konfrontiert und hatten mit politischen oder auch bürokratisch-universitären Schranken zu kämpfen. Schon allein aus dem Umstand, daß sich die einzelnen Studienrichtungen und Fakultäten sehr (ver)zögernd einem Frauenstudium öffneten, folgte eine Dirigierung in spezielle Ausbildungen. Die 1872 geborene Eugenie Schwarzwald vermochte zwar in Czernowitz (Bukowina) an der Höheren Mädchenlehranstalt die Zulassung zum Studium zu erlangen, dieses jedoch konnte sie nur in Zürich mit einem Doktorat aus Philosophie (1900) absolvieren. Die acht Jahre ältere Gabriele Posanner von Ehrenthal (geb. in Ofen, Budapest) legte ihre Matura extern am Akademischen Gymnasium in Wien ab, zum Studium der Medizin übersiedelte sie nach Zürich und Genf. Als Dr.med. und erste Frau durfte sie nun auch in Wien Vorlesungen besuchen und promovierte 1897 als erste Frau an einer Universität der österreichisch-ungarischen Monarchie. Die Schwestern Helene und Elise Richter gehören ebenfalls zu jener Pionierinnengeneration, wobei Elise sich als erste Frau (Romanistik, 1905) habilitieren konnte. Beide Schwestern wurden, fast 80jährig, 1942 nach Theresienstadt deportiert und ermordet. War es um die Jahrhundertwende die frauenfeindliche politische Unterdrückung, die den Zugang zu den Universitäten zu einem heroinischen Kampf werden ließ, so verbesserte sich die Situation entschieden während der Ersten Republik. Die im Anhang angegebenen akademischen Berufe und Disziplinen ergeben ein vielfältiges Spektrum - das allerdings nicht die realen Schwierigkeiten im Wissenschaftsbetrieb und in Bezug auf die Karriere von Frauen widerspiegelt. Vielmehr läßt sich daran ermessen, wie breit gefächert das weibliche Wissenschaftspotential gestreut war und wie sehr dieses doch auf offene, innovative Bereiche angewiesen war sowohl in der Ausbildung (Psychoanalyse, Individualpsychologie) als auch in den Möglichkeiten zu praktischer Tätigkeit (Erziehungsberatung, Sozialarbeit). Die ideologische Haltung der Universitätslehrer (Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit) hat in einem beträchtlichem Ausmaß die Möglichkeiten des Frauenstudiums bestimmt — so finden wir Staatsrechtlerinnen, jedoch kaum Rechtswissenschafterinnen, und eine Anzahl von Architektinnen, die nach dem ,,Dritten Reich“ erst nach Jahren wieder erreicht wurde. Die meisten Einträge finden sich, nach meiner Zählung, in den Bereichen Psychoanalyse (46), Individualpsychologie (29), Psychologie (25), Physik (22), Botanik (24) und der Medizin. Von dem großen Ausmaß der Vertreibung und Vernichtung weiblicher Intellektueller und der von ihnen vertretenen wissenschaftlichen Ansätze handelt das Lexikon. Von 1931 bis 1938 leitete Emma Spira-Plank eine Montessori-Volksschule in Wien, es dauerte mehr als 30 Jahre nach der NS-Herrschaft bis die Montessori Pädagogik in die LehrerInnen Ausbildung aufgenommen wurde; die Wiederbegriindung eines psychoanalytisch gefiihrten Kindergartens fand 1981 (!) statt. Der Ordnungsrahmen eines Lexikons ist das Alphabet, nicht die politische Geschichte, nicht die Geschichte der antifeministischen Ausschließungen und möglicher weiblicher Strategien der Anpassung. Ganz allgemein kann eine österreichische Wissenschaftsgeschichte nicht ohne die politischen Zäsuren, die der Februar 1934 und in einer mörderischen, antisemitischen Konsequenz die nationalsozialistische Machtergreifung schufen, geschrieben werden. Verfolgung und Widerstand — Flucht und der schwierige, aber oft auch erfolgreiche Weg zu einer wissenschaftlichen Erfüllung im Exil (die in den ersten Jahrzehnten der II. Republik hierzulande gar nicht möglich gewesen wäre) bestimmten den Lebensweg vieler Wissenschaftlerinnen. Daneben finden wir eine Anzahl von Nazinen und Akademikerinnen, die sich mit mehr oder weniger Erfolg an die politischen wie auch wissenschaftsideologischen Verhältnisse anzupassen suchten. In einzelnen Artikeln spürt man die Auseinandersetzung mit der historischen Person, die Mühe, einer objektiven Würdigung der wissenschaftlichen Leistungen: Die Historikerin Mathilde Uhlirz, geb. 1881, erlangte nach Überwindung der üblichen Hindernisse des Frauenstudiums die Venia legendi. Bereits in ihrer Dissertation über den Einfluß von John Wiclif auf die Hussiten in Böhmen verfolgte sie einen völkischen Ansatz. Als überzeugte Nationalsozialistin verlor sie nach 1945 ihre Lehrbefugnis, war aber bald rehabilitiert und konnte im Rahmen der Bayerischen Akademie