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dauers „Lexikon der österreichischen Spanien¬
kämpfer“. „Was für Geschichten! Etwa die von
Goldy Mattheys Cousin Ferdinand Bilger.
Überlebt alles — und bringt sich später um.“
Überhaupt war er, neben Wulf Kirsten, der ein¬
zige deutsche Schriftsteller, der das andere, das
rebellische Österreich genau kannte und ihm
zugetan war.

Die Freundschaftsgeschichte mit der WoZ
nahm dagegen eine böse Wendung. Lothars
Nachrichten im vergangenen Jahr, schon aus
Montreal, „einer hübschen Wohnung in dem
alten Industrie- und Arbeiterviertel Saint¬
Henri, in der jetzt endlich auch alle Bücher ste¬
hen“, verrieten seine Irritation über den Ab¬
schwung unserer einstigen Lieblingszeitung.
Im Zuge einer Blattreform, mit der neue, un¬
terhaltungssüchtige Leser gelockt werden
sollten, wurde seine Gesellschaftsseite umge¬
modelt, nach dem Vorbild krisengeschüttelter
deutscher Zeitungen ein Bund ‚Leben’ einge¬
führt. Statt Literatur wurde Pop zur Säule der
Kultur. Akzeptanz, nicht Ächtung des media¬
len Spektakels. Lothar warnte, argumentierte,
machte Vorschläge - und bekam patzige oder
gar keine Antworten. Er beklagte sich, daß
Texte von ihm, ohne Rücksprache, gekürzt
und verstümmelt gedruckt wurden. Als er das
letzte Buch seines Freundes und WoZ-Kol¬
legen Stefan Keller rezensierte, „war in der
Zeitung vorher herumgenöhlt worden: ist der
Baier nicht mit dem Autor befreundet, kann
man da noch ‚Objektivität’ erwarten“. So sah
er sich veranlaßt, die Besprechung mit jenem
Zitat des Autors Rudolf M. Lüscher zu verse¬
hen, mit dem seinerzeit die „Kleine Ode an die
Freunde“ geendet hatte: „Wenn ein Freund ein
Buch schreibt, dann gehört das Buch in die
Freundschaftsgeschichte, und zu einer Ge¬
schichte gehören zwei Stimmen. Buch und
Rezension sind die öffentliche Seite einer
Freundschaftsgeschichte, Objektivität über¬
lassen wir den Statistikern.“

Ich glaube nicht, daß Schriftsteller empfindli¬
cher sind als andere Sterbliche. Aber sie sind,
um überhaupt zu existieren, auf Vermittlung
angewiesen. Wenn die Vermittler für Freunde
gehalten werden, sich als solche jedoch zu¬
rücknehmen, entsteht Verzweiflung, auch oh¬
ne Hang zu Depressionen. Noch dazu steht ei¬
ner als Linker in dieser Welt ohnehin an der
Kippe, ist auf Gemeinschaftlichkeit, auf
Verständigung aus, wird in die Vereinzelung
abgedrängt und merkt, daß sein Resonanz¬
körper, über den andere verfügen, nicht mehr
funktioniert. Dabei weiß er, ohne sich zu über¬
schätzen, um seine Erfahrung: Er kennt die
Irrwege, er will sie sich und anderen ersparen.
Die ihn brauchen, vermögen ihn nicht zu trö¬
sten — sie sind in der gleichen Lage. Was tun,
sich der Krankheit fügen, die Schlinge knüp¬
fen? An Stefan Keller, der den Niederge¬
schlagenen immer wieder aufgemuntert hat,
schrieb er am 24. Juni: „Für Deine kommuni¬
kative Treue bin ich Dir ungeheuer dankbar.
Mit dem Durchhalten — auch wenn’s verflucht
schwerfallt — tiberlege ich es mir deshalb ernst¬
haft.“

Wie der Schweizer Autor Niklaus Meienberg,
dessen Werk er von Anfang an kritisch be¬
gleitet hat, hat auch Lothar Baier einige Zeit
vor seiner fatalen Entscheidung eine schwere
private Enttäuschung und einen Unfall erlitten.
Liebesverrat und körperliche Verletzungen
bringen einen aus dem Tritt. Besonders
schlimm ist es, wenn gleichzeitig eine geteil¬
te Geschichte ihr Ende findet.

In der Erzählung „Jahresfrist‘“ hatte Lothar vor
mehr als zwanzig Jahren über einen deutschen
Intellektuellen geschrieben, der sich aus Über¬
druß über die Welt der großen Wörter, aus
Sehnsucht nach einer Welt, die sich selbst ge¬
nügt, in ein verfallenes Bauernhaus im Süden
Frankreichs zurückgezogen hat. Indem er sich
mit Leben und Schaffen des kommunistischen
Schriftstellers Paul Nizan auseinandersetzt, ist
der Ich-Erzähler sich selbst auf der Spur. Es
gibt Stellen in Nizans Werk, die kennt er aus¬
wendig: Leben kann man nur inmitten einer
Bewegung, die die Welt anklagt. Die Welt zu
akzeptieren bedeutet Tod.

Mir scheint, es war diese Art Tod, die Lothar
in den seinen getrieben hat.

Lothar Baier, geboren 1942 in Karlsruhe,
wurde am 11. Juli 2004 in seiner Wohnung in
Montreal tot aufgefunden. Baier studierte
Germanistik, Soziologie, Philosophie, lebte in
Frankfurt/M., Frankreich und Kanada. Neben
seiner Tätigkeit als Kritiker und als Essayist
übersetzte er Werke von Andre Breton, Jean
Paul Sartre, Georges Simenon, Paul Nizan und

Renate Göllner

gab in französischer Sprache die Essay¬
Reihe „Positions“ heraus. 1982 erhielt er den
Jean-Amery-Preis für Essayistik, 1985 den
Förderpreis der Akademie der Künste zu
Berlin, 1989 den Johann-Heinrich-Merck¬
Preis für literarische Kritik. Buchpublika¬
tionen u.a.: Französische Zustände (1982);
Firma Frankreich (1988); Volk ohne Zeit.
Essay über das eilige Vaterland (1990); Was
wird Literatur? (1993); Keine Zeit! 18 Ver¬
suche über die Beschleunigung (2001).

Im Jahre 2001 schenkte die Nichte des Schrift¬
stellers Manés Sperber, Nadine Fresco (Paris),
der Theodor Kramer Gesellschaft die deutsch¬
sprachige Bibliothek von Manes und Jenka
Sperber. Lothar Baier war es, der, mit der Fa¬
milie befreundet, die Schenkung vermittelte.
Das war zwar ein Restbestand, denn soge¬
nannte Widmungsexemplare werden mit Sper¬
bers Nachlaß heute im Österreichischen Lite¬
raturarchiv (Wien) verwahrt. Doch dieser
Restbestand, ca. 1.300 Bücher, scheint immer
noch bedeutsam genug, da er die Hand¬
bibliothek Manes Sperbers in Umrissen do¬
kumentiert, die Bücher diverse Eintragungen
und Anstreichungen aufweisen und etliche von
ihnen auch Widmungsexemplare sind. Einige
Werke stammen aus öffentlichen Bibliotheken,
in denen Sperber gearbeitet hatte. Dem Goe¬
the Institut in Paris wird z.B. seit Jahrzehnten
eine Luther-Bibel fehlen, in die Sperber an für
ihn wichtigen Stellen Zettel einlegte. (Es exis¬
tiert ein im Auftrag der Theodor Kramer Ge¬
sellschaft von Christina Köstner erstellter voll¬
ständiger Katalog.)

Der Verein zur Förderung und Erforschung
antifaschistischer Literatur plant in Zusam¬
menarbeit mit der Theodor Kramer Gesell¬
schaft und der Hermann Cohen Akademie im
Herbst 2004, am 22. und 23. Oktober, ein
Kolloquium mit dem vorläufigen Titel „Das
Subjekt des Erinnerns“. Im Folgenden ein
paar Gedanken dazu.

Eine Zeugin in im Hintennach, deren Sprache
Jeweils der gehetzten Atmung adäquat ist oder
der verhaltenen, selten der gleichmäßigen,
denn Ruhe war nirgends, freies Ausschreiten
und Bemächtigtwerden der Möglichkeiten
geglückter Vorgänge war nirgends, und die
Versuche dazu liefen gewiß nicht ohne
Monstrositäten ab. ... immer bricht die ver¬
gangene Untat in die Gegenwart. Stets ist die
verspätete Gegenwehr das Einzige, was bleibt,
wenn man noch atmen will und nicht ver¬
schwinden ... Robert Schindel: Rede auf
Elisabeth Reichart, in MdZ Nr. 2/1994, S. 3f.

Besucht man Veranstaltungen der Kramer-Ge¬
sellschaft, so fallt das fortgeschrittene Alter der
Anwesenden auf. Damit sind freilich nicht die
Uberlebenden gemeint, sondern die tiberwie¬
gend vierzig- und fünfzigjährigen Akteure und
Interessenten, die zum engeren oder weiteren
Kreis der Zwischenwelt und der Exilforschung
gehören. Natürlich gibt es auch unter Jüngeren
Ausnahmen, aber von einem wirklich breite¬
ren Interesse an dieser Thematik kann bei die¬
sen Jahrgängen nicht gesprochen werden;
Nachwuchs ist, genau betrachtet, wenig in
Sicht. Ist, so könnte gefragt werden, die Be¬
schäftigung mit dem Nationalsozialismus und
dem Exil eine Generationenfrage? Besteht die
Gefahr, dass, sobald die letzten Überlebenden
gestorben sind, auch das Interesse erlischt?
Und vor allem: welche Gründe sind es, die je¬
manden motivieren, sich mit den Verbrechen
des Nationalsozialismus und den unmittelba¬
ren Folgen, mit Verfolgung, Widerstand und
Exil auseinander zusetzen? Zugespitzter for¬

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