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reichischer Torschützenkönig, ebenso 1937. In den Jahren 1938, 1939, 1940 und 1941 kanonierte er sich zum Torschützenkönig der „großdeutschen“ Fußballmeisterschaft. Er war auf dem Höhepunkt seines fußballerischen Könnens und seines Ruhmes angelangt, aber drei seiner vielen Tore sollten ihm schließlich zum Verhängnis werden, als es am 22. Juni 1941, dem Tag des Überfalls Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion, im Berliner Olympiastadion vor 95.000 Zuschauern zum Finale um die „großdeutsche“ Fußballmeisterschaft — die „Viktoria“ — zwischen Rapid Wien und Schalke 04 Gelsenkirchen kam. Der SC Rapid trat mit Raftl, Wagner 2, Sperner, Wagner 1, Gernhart, Skoumal, Fitz, Schors, Binder, Dvoracek und Pesser gegen eine Schalke an, die als populärster Fußball-, ja Sportverein überhaupt des Dritten Reiches galt und deren sechs Meistertitel zwischen 1933 und 1945 von den Nazis entsprechend gefeiert und für die „nationale Sache“ vereinnahmt wurden. „Der fanatische Wille zum Ziel und zum Sieg, das haben die Schalker mit Adolf Hitler gemeinsam“, war bereits 1936 im „Buch vom Deutschen Fußballmeister“ zu lesen. „Nach dem Anschluss Österreichs nutzten die Nationalsozialisten das Endspiel der ersten „Großdeutschen Meisterschaft“ am 18. Juni 1939 im Berliner OlympiaStadion zu einer gigantischen Propagandaveranstaltung. Nach dem 9:0 Sieg von Schalke 04 gegen Admira Wien wurden die Gelsenkirchener Spieler zu Ehrenmitgliedern der NSDAP ernannt. Gegen die Vereinnahmung durch die Partei wehrten sie sich nicht. Fritz Szepan etwa, nebenbei auch Spielführer der deutschen Nationalelf, war bereits 1937 in die NSDAP eingetreten. Im November 1938 kaufte er das jüdische Kaufhaus Rhode & Schwarz in Gelsenkirchen. Die Inhaberinnen wurden in das KZ Riga gebracht und ermordet. Nach dem Sieg gegen Admira 1939 beriefen die Nazis Fritz Szepan in den „‚Führerrat des Fachamtes Fußball“, beschrieb das WDR-Magazin WestArt kürzlich das Umfeld, das die Wiener 1941 im Berliner Olympiastadion erwartete. Die Zuschauer und Schalke waren jedenfalls auf einen deutlichen Sieg gegen die „Ostmärker“ eingestellt. Und das Schicksal schien ihnen recht zu geben. Denn die Gelsenkirchener hatten die Rapidler mit ihrem berühmten Kreiselspiel mehr als eine Halbzeit lang schwindlig gespielt und führten 3:0. Das Anschlusstor durch Schors in der 60. Minute zum 1:3 schien nicht mehr als eine kosmetische Verbesserung des Ergebnisses zu bringen. Doch dann schoss Franz „Bimbo“ Binder die Tore seines Lebens, drei am Stück. 62 Jahre nach diesem Endspiel erinnerte sich der deutsche Sportreporter Wolfgang Hempel, damals im Olympia-Stadion ein 14-jähriger Steppke, an das Siegestor der Wiener: „Es war so, dass noch zehn Minuten zu spielen waren, und am linken Flügel hatten die einen gewissen Pesser. Dieser Linksaußen gibt eine Flanke rein, einer der Halbstürmer stoppt das Ding an der Strafraumgrenze, lässt ihn von der Brust runter fallen, dann ein Drop Kick, 4:3, und Schalke hatte verloren.“ Auch durch dieses Ergebnis gewann der Fußball bei Begegnungen zwischen „reichsdeutschen“ und „ostmärkischen“ Mannschaften recht bald eine politische Dimension. So erinnerte sich etwa der St. Pöltner Sportreporter Kurt Castka an eine wahre Schlacht am „Sturm 19“-Platz zwischen zwei Luftwaffen-Fußballmannschaften, die eine aus Hamburg, die andere aus dem nahen Fliegerhorst Markersdorf und aufgefettet mit einer Reihe von mehr oder weniger prominenten Wiener Fußballern: „Die Hamburger waren von Beginn an gegen die technisch perfekten Wiener fast chancenlos. Deshalb hatten es die Gäste auf dem Sturm-19-Platz immer mehr auf die Knochen von Sesta & Co. abgesehen, sodass es zahlreiche Verletzte gab. Die 10 Stimmung unter den Wiener Spielern sowie unter den Soldaten aus Spratzern und den anderen Kasernen war auf dem Siedepunkt angelangt. Leider war auch der Schiedsrichter ein „Piefke“, und die Hamburger konnten ihr brutales Spiel meist ungestraft fortsetzen. Als schließlich der Markersdorfer Tormann — er kam angeblich von Wacker-Wien — vom brutalsten Hamburger Mittelstürmer mit den Schuhen niedergetreten wurde und mit schweren Kopfverletzungen abtransportiert werden musste, entfaltete sich eine Schlacht ohnegleichen unter den uniformierten Zuschauern. [...]. Da spielte schon der Hass vieler Österreicher, die immer wieder als „ostmärkische Schweine“ beschimpft wurden, gegen die ungeliebten „Piefkes“ im Fußballdreß mit.“ Wenigstens auf dem Fußballplatz konnte der Anschluss ungeschehen gemacht werden, und das ziemlich eindeutig: „Die sonst immer so selbstsicher und stolz auftretenden Soldaten der Wehrmachtsstreifen hatten aber dieses Mal das Nachsehen. Die Österreicher aus Spratzern und den beiden St. Pöltner Infanteriekasernen hatten endlich Gelegenheit, ihren Zorn und Frust abzureagieren. Sie waren auf dem Sportplatz in der Mehrheit, weshalb die silbergeschmückten Gegner [= die Feldgendarmen] ordentliche Hiebe bezogen. Verletzte gab es auf beiden Seiten. Wenige Tage nach diesen Skandal erfuhr ich von einem St. Pöltner Unteroffizier, [...], dass der verletzte Wiener Tormann an seinen schweren Kopfverletzungen im St. Pöltner Krankenhaus gestorben war.“ Braune Rache Kurz nach seinen drei Toren im Endspiel gegen Schalke wurde Bimbo Binder zur Wehrmacht eingezogen und an die Front geschickt, während die Schalke-Spieler noch bis Herbst 1944, bis zum sogenannten totalen Krieg, regulär Meisterschaft spielen konnten, ohne fürchten zu müssen, demnächst Frontluft zu schnuppern. In den Wirren des Kriegsendes verschlug es den Landser Binder schließlich nach Tirol. Drei Monate lang spielte er fiir den FC Kuefstein, bis es ihm endlich gelang, die Heimreise nach Wien anzutreten. 1946 holte er mit Rapid noch einmal Meistertitel und Cupsieg, allerdings in einer Rumpfliga, da aufgrund der Zonengrenzen kein österreichweiter Bewerb ausgetragen werden konnte. 1949 beendete der damals 38-jährige seine Laufbahn. Danach durchlief er eine nicht immer hundertprozentig erfolgreiche, wechselhafte, aber immerhin beachtliche Trainer-Karriere, unter anderem bei Jahn Regensburg, 1860 München, PSV Eindhoven, 1. FC Nürnberg und natürlich bei Wien; 1976 holte er mit den Hütteldorfern den österreichischen Cup. 1989 starb die grünweiße Fußball-Legende in Wien. Die Anzahl der Goals, die er insgesamt für Rapid erzielt hat, wird mit 1.006, 1.141 oder auch 1.151 angegeben - auf jeden Fall hat keiner mehr Tore für die Hütteldorfer geschossen als er. Darüber hinaus traf er in 19 Länderspielen für Österreich sechzehnmal, in neun Länderspielen für Hitler-Deutschland zehnmal ins jeweilige gegnerische Tor. Die potentiellen Nachfolger Binders sind schon in Sicht: von der Gesellschaft nicht gerade verwöhnte, nicht besonders zimperliche, nach Erfolg hungrige Einwandererburschen, die heute auf dem „Sturm 19“-Platz im St. Pöltner Glasscherbenviertel genauso verbissen Fußball spielen wie einst der Kanonier Bimbo, dessen Namen sie noch nie gehört haben, es sei denn als ein auf sie selbst gezieltes Schimpfwort. Wenn das österreichische Nationalteam jemals wieder nennenswerte Erfolge haben sollte, dann durch sie.