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Alfredo Bauer Richard Wagner und die Keuschheit Vom revolutionären Geist gepackt, schafft wütend Ordnung er in den Bordellen, um auf die Bühne gleich den Fall zu stellen, kaum sublimiert: Tannhäuser, erster Akt. In Klingsors Zaubergarten, ziemlich nackt, versuchen sie, den Parsifal zu fällen. Doch hat bei diesem saudummen Gesellen die Kundry selbst vergeblich sich geplagt. Sonst wär’s wie dem Amphortas ihm ergangen. Ein reiner Tor hätt ihn auch retten müssen. Drum soll man nie ein Blumen-Mädchen küssen. Setzt lieber um das sündige Verlangen, wie’s Richard Wagner tat, in süße Töne und peitscht die Huren aus auf offner Szene. Der Cid Cameador und die Juden Der Ritter brauchte wieder einmal Geld. Er sucht zwei Juden auf in aller Ruhe, verpfändet eine fest verschlossne Truhe, auf die er gutes Gold geliehn erhält. Von dannen ritt der Ritter. Öffnen zwar durften die Juden erst nach vielen Tagen die schwere Truhe. Wie sie’s endlich wagen, zeigt sich, daß nichts als Sand darinnen war. Das ist ein echter Wunschtraum, ein gar feiner. Gerissner möchte der Hildalgo sein als die gerade in Finanzgeschäften ihn immer übertölpelten und äfften. Sitzt er mit den Kumpanen dann beim Wein, gibt er’s zum Besten. Freilich glaubt’s ihm keiner. Sancho Pansa als Richter Für treue Dienste würde er erhalten — versprochen war es — die Provinz zum Lohn. Zum Spaß erfüllt den Wunsch der Herr Baron: Seht doch den Bauern-Lümmel beim Verwalten! Als Richter soll er sein Geschick entfalten. Und da vergeht dem feinen Herrn der Hohn. Denn Mutterwitz gibt mehr als Instruktion. Er hat so ungeschickt sich nicht verhalten. Dann aber nichts wie weg mit diesem Mann! Die höchste Zeit, daß dies ein Ende hat! Daß der Plebejer auch regieren kann, nicht auszudenken, wenn es ruchbar würde! Denn nimmt ein Unbelehrter diese Hürde, wer hält den Aufruhr auf in Dorf und Stadt? Der Roman „I promessi sposi“ I. Sie hat den Renzo nicht geliebt. Sonst hatte sie nicht gelobt, selbst in der héchsten Not, Jungfrau zu bleiben bis zu ihrem Tod. War’s nicht ihr gutes Recht, daß Gott sie rette? Daß doch die armen Leute mehr bereit zum Opfer sind als zum gerechten Ringen! Danken der Gnade Gottes das Gelingen und halten für verdienstvoll gar das Leid! Nicht nur Lucia, Gott auch sei getadelt, weil er von ihr sich dies gefallen ließ, das arme Menschenkind nicht unterwies, nicht für ihr Lebensglück zu kämpfen hieß, nicht sie und ihresgleichen lehrte dies: daß nur gerechter Kampf den Menschen adelt. Il. Signor Manzoni läßt nun Gott den Herrn, den Bischof auch aus der Kulisse treten, dem Mädchen beizustehn in seinen Nöten. Sie tun es offenbar von Herzen gern. Dinge geschehen dann, die sonst im Leben, waltet darüber keines Dichters Hand, herstellend die Gerechtigkeit im Land, bei armen Leuten selten sich begeben. War’s vorgesehen, daß wir das bemerken, Romane mit der Wirklichkeit vergleichen? Gehn die dort unbekümmert über Leichen, so mag sich auch der Widerstand verstärken. Gibt der Geduld so mancher Mythos Nahrung, die Leute lernen doch aus der Erfahrung. Ill. Solch ein Geliibde, sagt Renzo zu ihr, eines, das andern Schaden bringt, ist nichtig. Nur was dem Nächsten nütze, das sei richtig, denn das gebiete Gott den Menschen hier. Der kluge Mönch kann ihr zum Glücke zeigen, daß das Gelübde wirklich nichtig war: Dem Renzo angelobt für immerdar, war, was sie Gott versprach, gar nicht ihr eigen. Bravo, Fra Cristoforo! Gut habt Ihr das Richtige bewirkt im Kutten-Kleide. Die beiden da, nach unsagbarem Leide, bugsiertet ihr zum Schluß in Glücks-Revier. Ob man das göttlich oder menschlich nennt: Schlimmes ist gut erzählt mit einem Happy End. Die Sonette, schreibt Alfredo Bauer, imitieren ein wenig die von Bertolt Brecht über Werke der Weltliteratur. — Von Bauer, Träger des Theodor Kramer Preises für Schreiben im Widerstand und im Exil 2002, sind soeben zwei neue Bücher erschienen: der Roman „Verjagte Jugend“ und die Szenenfolge „Anders als die anderen“. — Alfredo Bauer feierte am 14. November seinen 80. Geburtstag. Die Red. gratuliert. 21