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dort in irgendeiner Form schriftstellerisch tätig war, ist nicht bekannt. Dann ist da eine Vorladung vor den Staatssicherheitsdienst in Essen. Internationale Devisenangelegenehiten. Er soll über Morlion und andere prominente Katholiken und ihre Filmgeschäfte aussagen. Von da an scheint es nur noch Flucht zu geben. An allen Grenzen abgewiesen, fährt Schafer 1937 über München nach Wien zurück. Eine andere Zuflucht gab es für ihn nicht mehr. Und schließlich war er österreichischer Staatsbürger mit Heimatrecht in Wien. Auch muß er gehofft haben, daß ihm seine langjährige, pro-deutsche Haltung am Vorabend des „Anschlusses“ nicht schaden könnte. Damit wäre Schafers eigentliches Exil zu Ende. Was könnte über diesen Abschnitt seines Lebens und Werkes abschließend gesagt werden? Er selbst nennt seine Jahre in Belgien sein „Asyl“. Morlion beschreibt ihn als „Austrian Refugee“. Exil, Asyl, Emigration, sie alle setzen ein gewisses ideologisches Engagement voraus. Wo stand Ernst Schafer? Er erwähnt es direkt nur einmal: Weltanschaulich gehörte ich mit voller Überzeugung dem Katholizismus an. Mit den Kommunisten stand ich, ebenso wie mit den Nationalsozialisten, im schwersten Kampf. (Bl) Schafer war allem Anschein nach kein Aktivist, zumindest kein einseitig überzeugter oder konsequenter. Zwar mag er gehofft haben, sich mit Hilfe seiner revolutionären wie auch seiner antirevolutionären Vergangenheit Türen zu öffnen. Es ist ihm aber nie gelungen, sich, wie z.B. Pater Morlion, geschickt (mit Das einzige Foto, das Anna Schafer (als Baby) mit ihrem Vater zeigt. der Pension in der Bergsteiggasse, Wien. päpstlicher Rückendeckung) zwischen den ideologischen Fronten zu bewegen. Er stand allein. Die Rückendeckung fehlte. Er blieb Jude, trotz Taufe. Sicher ist, daß der junge Schafer sein Land eher verlassen wollte als mußte. Er sah sich als einer, der aus einem kleinlichen, ,,judenbartigen“, total phantasielosen Nachkriegswien ,auszog‘, um jenseits der Landesgrenzen persönliche und künstlerische Erweiterung zu erfahren. Ein für ihn unerwartetes Resultat dieses Weggehens war, daß er, wo und was er auch schrieb, stets auf eben dieses Wien zurückkam. Ein weiteres, daß er in der Fremde, gewollt oder ungewollt, zum verlorenen Sohn Wiens wurde, der bei seiner reuigen, bußwilligen Heimkehr durchaus keinen alles verzeihenden, all-liebenden Vater vorfand. Die dunkelsten Jahre folgen, politisch und existentiell. Die Mutter, die als Mädchen von Wien berauscht war, sieht es jetzt nur von seiner Schattenseite, Kliniken, Fürsorgeheime und Behörden über Behörden. Die älteren Geschwister, die bei verschiedenen nichtjüdischen Pflegefamilien untergebracht sind, erinnern sich an Besuche einer gelähmten Frau am Stock im schwarzen Mantel und an Treffen mit einem Mann in Grau im Park oder im Prater. Wo und wovon Ernst Schafer in dieser Zeit lebt, ist unklar. Ein Cousin erinnert sich, daß er 1938 plötzlich bei Verwandten, die selbst vor der Emigration stehen, auftaucht, von seinen europäischen Erlebnissen erzählt, um Unterkunft bittet, aber dann doch wieder in der Nacht verschwindet. „Geh zu Fritz Kortner nach Amerika“, sagte jemand, „der ist verwandt mit uns, der wird dir etwas beim Film geben.“ Hätte er noch emigrieren können? „Ich hab’s ihm gesagt“, meinte die Mutter später, „er wollte nicht.“ Die Liste von Ernst Schafers Inhaftierungen von 1939 bis 1941 ist lang, auch die Gestapo fordert ihn an. Behördliche Eintragungen, Nachkriegsbriefe von überlebenden Wiener Bekannten wissen von Folterungen und erzwungenen Geständnissen, von Verleumdungen, von Beziehungen zu einem „Braunen Haus“ in München und einiges mehr. Von Mitte 1941 an scheint Ernst Schafer ständiger Insaße verschiedener Gefängnisse zu sein. Die Welt der Freien liegt mir schon so fern, daß ich mir kaum mehr eine Vorstellung machen kann, wie man in ihr lebt. (B3) Maria weiß, daß Pater Morlion zur Zeit von Ernst Schafers Haft in Wien war und ihn im Gefängnis betreute. Er hat Briefe vermittelt und der Mutter am Ende den schriftlichen Nachlaß 27