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überbracht. Geholfen hat Morlion allerdings nur sich selbst. 1940 war er aus Belgien geflohen, von seinen Landsleuten der Kollaboration bezichtigt. Über Lissabon ging er in die USA. 1948 folgte eine Berufung an den Vatikan, wo er eine Hochschule für Medienforschung gründete. Seit 1950 war er in New York, wo er 1986 starb. Literarische Zeugnisse aus dieser letzten Zeit Ernst Schafers gibt es keine. Nur eben jene zwei Briefe aus der Haft, zwei Monate vor seinem Tod. Es ist schwer, sich von diesen letzten Jahren ein Bild zu machen. Eine Konstante gibt es, eine Adresse im 17. Bezirk in Wien. Der Meldezettel ist von Ernst Schafer unterschrieben. Das Gebäude steht noch. Anna kann sich an vieles erinnern, den Stiegenabsatz, wo die Mutter den dunkelblauen Kinderwagen abstellte und sich dann mit einem Säugling, Milchflaschen und anderem die Stufen hinaufzog, das Fenster zum Hof. Anna hört von dem heutigen Besitzer, daß das Gebäude bis vor 15 Jahren eine Hotelpension war. Also ist auch die letzte Illusion, daß sie je alle als Familie in einer richtigen Wohnung gelebt hätten, dahin. Diesmal kein „Band von meinem Herzen...“ Beide Briefe sind an die Mutter gerichtet, „Meine über alles geliebte Susi“. Sie wollen noch Rat geben, Anordnungen treffen, zur Vorsicht mahnen. Schließlich: „Das wäre nun alles! ... Am Freitag, dem 21., werde ich der Gestapo überstellt....“ Der Abschied: ‚,... jede Nacht bin ich bei Dir und den Kindern ... flehe ich die Heilige Familie an ... uns alle wieder zusammenzuführen ...“ (B3) Das Bild der Heiligen Familie erscheint in Maria am Gestade und in Charlie Chaplin. Von dem Volkslied „Aufdem Berge da wehet der Wind, da wiegt Maria ihr Kind“ ausgehend, wird es zu einem Bild der Flucht der biblischen Eltern mit ihrem Kind. „Seht nur, wie zwei müde Gestalten... versunken in ihr Leid .. im Sturm vorüberwanken! “ (CH) Er sieht sich selbst als Joseph von Nazareth, Beschützer seiner Familie, wenn auch als versagender, durch dunkle Schicksalhaftigkeit verhinderter. „Hilf mir, das Kind in den Schlaf wiegen“, singt die Frau mit bebender Stimme. „Ich kann nicht ... meine Finger sind erfroren‘“, ist die Antwort. (CH) In ihren eigensten, dunkelsten Momenten stöhnte die Mutter manchmal: „Es war ein Fluch. So viele Chancen. Alles, alles umsonst. Aber er hat es gebüßt, tausendmal gebüßt.‘“ Aus seinen Schriften geht hervor, daß sich Ernst Schafer nie anders als ein schuldbeladener Versager und Verräter gesehen hat, als Vater, als Sohn, als Künstler und als Jude. Im Matrikelbuch der Israelitischen Kultusgemeinde Wien stehen bei seinem Geburtseintrag zwei handschriftliche Vermerke: „hat am 24. Januar 1922 den Glauben verlassen“, und darunter: „ist am 11. Februar 1925 neu eingetreten.“ Dasselbe Matrikelbuch sagt auch, daß der Großvater, Schafers Vater, drei Tage zuvor, am 8. Februar, gestorben war. Regine am Telefon: „Vielleicht hat er ihm Kaddisch gesagt.“ Jitgadal ve jitkadasch... Erhoben und geheiligt werde Sein großer Name... Kaddisch gesagt dem Vater. Anna Schafer für ihre Geschwister Joseph, Maria, Regine unseren Kindern Wolfgang, Brent, Mirjam, Joan, Jennifer, und Enkeln Jared und Matthew 28 Zitierte Werke Ernst Schafers In Klammern die im Text verwendeten Abkürzungen! Eine Legende (EL). In: Der Friede (Wien), 7.2. 1919 (Erzählung). Phantasie über das Vorspiel zum ‚Fliegenden Holländer‘ (FH). In: Dur und Moll (München), 20.3. 1925, S. Il (Erzählung). Maria am Gestade (MG). In: Dur und Moll, 23.4. 1925, S. 9, und 18.5. 1925, S. 14 (Erzählung). (Unter: Ernst Sarnold) Charlie Chaplin (CH). (Studie.) Antwerpen: Katholieke Filmliga 1933. (Unter: Ernst Sarnold) Das Rätsel von Heideborcht (RH). (Fortsetzungsroman.) In: Luxemburger Wort, Luxemburg 1935/36. Zitierte Briefe Bl - Brüssel, 7.2. 1935: Ernst Schafer an die Polizeibehörde B2 — Wien, 13.6. 1942: Ernst Schafer an Susanne Schafer B3 — Wien, 11.8. 1942: Ernst Schafer an Susanne Schafer B4 — Wien, 1.4. 1947 Vinzenz Sawel an Susanne Schafer Danksagung Herzlichster Dank für ihre Erinnerungen und Forschungen gilt unseren Verwandten: Frank Stone (vorm. Franz Steinschneider), Los Angeles Philippe Steinschneider, Washington DC Helga Köpplinger, Wien Dr. Ingrid Arnold-Schuster, Laupersdorf (Schweiz) Besonderer Dank für freundlichste Unterstützung und Beratung gilt: Fernand Arn, Ministere de l’Interieur, Brüssel Hilde Van Liempt, DOCIP, Brüssel Andre Link, Luxemburger Wort, Luxemburg Herr Weber, Luxemburger Wort, Luxemburg G. Weiß, Israelitische Kultusgemeinde, Wien Dr. Ursula Seeber, Literaturhaus, Wien Dr. Elisabeth Lebensaft, Österreichisches Biographisches Lexikon, Wien Dr. Ingeborg Fiala-Fürst, Lexikon Deutsch-Mährischer Autoren, Olomouc In Trauer und Dankbarkeit für unschätzbare und unvergessene Hilfe gedenken wir vor allem Herrn Dr. Armin Wallas‘, Universität Klagenfurt. Literatur Elias Canetti: Aufzeichnungen 1942-1948. München: Hanser 1965. Felix A. Morlion: The Apostolate of Public Opinion. Montreal: Fides 1944. Who’s Who in Art. London: The Art Trade Press 1927ff. Anna Schafer ist die mittlere Tochter Ernst und Susanne Schafers. Sie wurde 1939 in Wien geboren, wuchs in Norddeutschland auf und lebt seit 1964 in Kanada. Seit zehn Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit dem Leben und Werk ihres Vaters. Sie hat seine bisher gefundenen Schriften für eine Neuveröffentlichung vorbereitet und ein Drama über das Leben ihrer Mutter verfaßt. In Zukunft möchte sie sich, neben weiteren Untersuchungen zum Werk Ernst Schafers, besonders der Person und dem Werk seiner ersten Frau, der Künstlerin Rosa Schafer, zuwenden. Anna dankt ihrer Familie, ihren Geschwistern und allen, die sie bei ihren Forschungen so freundlich und großzügig unterstützen.