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Breitenwirkung gelangenden Tonfilms. Automobile wurden immer zahlreicher im Stadtbild. Die romantische Komödie wurde von der Kritik sehr wohlwollend aufgenommen, dem Autor Talent und eine gewisse Ähnlichkeit mit Franz Molnar bescheinigt. Unter den Darstellern war auch Marianne Walla, eine Jahrgangskollegin Wolfs aus dem Reinhardt-Seminar. Von Emil Geyer, in der Spielzeit 1935/36 Direktor des Deutschen Volkstheaters in Wien, wurde Wolf als Dramaturg an sein Haus geholt. Hier fand im März 1936 eine weitere Wiener Uraufführung statt. Das Stück hieß „Treff-As“ und wurde von Emil Geyer inszeniert. Die Hauptrolle, ursprünglich für Oskar Karlweis gedacht, wurde von Attila Hörbiger gespielt. Edmund Wolf führte es in seiner Erinnerung auf seine Tätigkeit am selben Haus zurück, daß er das Pseudonym „Frederic Pottecher“ wählen mußte. Es war jedoch nach der Machteinsetzung der Nationalsozialisten in Deutschland am 30. Jänner 1933 üblich geworden, jüdische Autoren hinter Pseudonymen zu verbergen, um weiterhin Aufführungen ihrer Werke zu ermöglichen. Der Marton-Verlag nutzte diese Taktik besonders häufig und lieferte jeweils auch den passenden Lebenslauf. Das Rätsel über den Autor, angeblich Elsässer und in Paris als Verfasser eines Romans wohlbekannt, stand somit im Mittelpunkt der Berichterstattung. Diesmal wurden die geistreichen Dialoge und Pointen der Satire auf die Moral der englischen Gesellschaft mit Bernard Shaw verglichen und die Leichtigkeit der Inszenierung von Emil Geyer allgemein hervorgehoben. Am 3. November 1936 folgte gleichfalls am Volkstheater die Uraufführung von „Das schwergeprüfte Mädchen“ mit der am Beginn ihrer Karriere stehenden Gusti Huber in der Titelrolle und dem arrivierten Komiker Oskar Karlweis, Regie führte Eugen Schulz-Breidens. Nur der „Wiener Tag“ nimmt Bezug auf das Pseudonym des Autors, „der sich diesmal Ulrich von Liebel nennt“.® Im Zentrum des Lustspiels steht eine junge Medizinstudentin, die sich als Stubenmädchen verdingt, um Geld für ihr Studium zu verdienen. Es fand bei der Kritik geteilte Aufnahme. Exil in England Trotz der ersten Erfolge entschloß sich Edmund Wolf im Herbst 1937 angesichts der politischen Lage zur Abreise nach England, „damals noch nicht als Auswanderung gedacht“, sondern eher mit Aussicht auf eine Filmkarriere. Jedoch hatten bereits einige seiner Wiener Bekannten, u.a. die junge Schriftstellerin Hilde Spiel, Österreich verlassen. Schon 1934 war der Journalist Robert Ehrenzweig nach London gegangen, wo er einer der ersten Mitarbeiter des German Service der BBC wurde und den Namen Lucas annahm. Er wurde einer der besten Freunde von Edmund Wolf. Einige von Wolfs Jahrgangskollegen aus dem ReinhardtSeminar mußten ebenfalls emigrieren: Marianne Walla ging nach London und arbeitete nicht nur wie Edmund Wolf im German Service der BBC, sondern wurde eine der wichtigsten Protagonistinnen des Exilkabaretts „Das Laterndl“. Johannes Reich unterrichtete in den USA an verschiedenen Universitäten und war Produktionsleiter in Chicago. Ernst Robitschek, ein Jahr später ans Seminar gekommen, wirkte als Charles Rooner u.a. im Heinrich-Heine-Club in Mexiko. Milo Sperber, Bruder des Schriftstellers Man&s Sperber, und Eduard Rothe gingen nach Großbritannien. Es ließe sich noch eine Reihe weiterer Namen von Seminaristen aufzählen, die ihr Exil in allen Gegenden der Erde fanden. So wurde auf fatale Weise Reinhardts Wunsch nach einer kleinen, in sich geschlossenen Welt, die durch die große Welt zieht und die wahre Kunst des Theaters künden könnte, erfüllt. Im September 1938 fand im Deutschen Theater in Prag die deutschsprachige Erstaufführung von „Schutzengel“ statt, das bereits in London unter dem Titel „Hotel Sylvia Dunn“ mit groBem Erfolg aufgeführt worden war. Diesmal lancierte der Verlag den Autor unter dem Pseudonym „Edmond Deland“. Dieses Pseudonym wählte Edmund Wolf auch für das Filmskript zu „Dangerous Medicine“, das 1939 von Warner Brothers verfilmt wurde. 1942 folgte die Verfilmung von „The Mad Martindales“ durch die 20th Century Fox in der Regie von Alfred Werker. Mit dem Verkauf des ersten Filmskripts konnte Wolf zunichst sein Leben in London finanzieren. Die finanzielle Sicherstellung des Aufenthalts war ein wichtiges Kriterium für die Einreise in Großbritannien, für die bis 1938 ein gültiger Reisepaß genügte. Als die Zahl der österreichischen Immigranten sprunghaft anstieg, wurde die Visumpflicht eingeführt. Ärzte, Anwälte und Kaufleute waren wenig erwünscht. Dies traf Edmund Wolfs Eltern und Geschwister. sein Bruder war Jurist, seine Schwester Ärztin. Ihnen war nur mehr eine Auswanderung nach Palästina möglich. Mit der steigenden Zahl der Flüchtlinge entstanden auch Emigranten-Organisationen. Edmund Wolf schloß sich keiner dieser Gruppierungen an, da ihm — nach Einschätzung seines Sohnes - die Rolle des analytischen Beobachters näher lag. Die Integration im neuen Aufenthaltsland war schwierig, da neben Arbeits- und Wohnungssuche auch die Sprache und unterschiedliche Lebensgewohnheiten erlernt werden mußten. Überdies waren die britischen Juden gegenüber den Continentals sehr reserviert, denen sie ihre Assimilationsbestrebungen vorwarfen. In der englischen Gesellschaft legte man auch größeren Wert auf Besitz und Leistung als auf Kultur und Bildung. Der Wechsel der Sprache stellt für Schriftsteller das größte Problem dar. Besonders ein Bühnenschriftsteller des Unterhaltungsbereichs muß Zugang zum Humor seines Publikums haben. Da der britische Humor ein sprichwörtlich anderer ist, war es für Edmund Wolftrotz seiner Affinität zu Bernard Shaw nicht möglich, auf englischen Bühnen Fuß zu fassen Die ohnehin schon schwierige Situation der Flüchtlinge verschlechterte sich nach Kriegsausbruch, da sie nun als „enemy aliens“, d.h. als feindliche Ausländer eingestuft wurden. Sie mußten sich polizeilich registrieren lassen und Wohnungswechsel sowie längere Abwesenheit melden. Im Mai und Juni 1940 erreichte die ausländerfeindliche Stimmung ihren Höhepunkt. Der neue Premierminister Winston Churchill sprach sich für eine groß angelegte Verhaftungsaktion aus, da die Flüchtlinge hinter Stacheldraht sicherer wären als in Freiheit. Es sollten alle „feindlichen Ausländer“ zwischen 16 und 70 Jahren interniert werden. Die psychische Belastung war enorm, da sich die meisten Flüchtlinge bereits seit mehr als zwei Jahren in Großbritannien aufhielten und sich nun wieder ausgestoßen und bedroht fühlten. Sie wurden unter schwerer militärischer Bewachung in Lager transportiert, die oft erst halbfertig waren. Die Internierten organisierten in Selbstverwaltung ihr eigenes Lagerleben. Es gab Theateraufführungen, Kabaretts, Konzerte, Vortragsreihen, Dichterlesungen, Kunstausstellungen, Lagerzeitungen, Camp-Schulen und -Universitäten. Da die Lager bald überfüllt waren, beschloß die britische Regierung vor allem Männer ohne Familie nach Kanada und Australien zu deportieren, wobei die Emigranten auf denselben Schiffen untergebracht waren wie deutsche Kriegsgefangene. 39