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Im Zuge der Serie von Wolfgang Fritz über die österreichischen Finanzminister war in der „Wiener Zeitung“ vom 8. April 2003, ein längerer Aufsatz über Dr. Rudolf Neumayer erschienen. Dr. Rudolf Neumayer wird da im Titel als „Herr Karl auf höchster Ebene‘ bezeichnet. Die Leitung der „Wiener Städtischen Versicherung“ machte mich auf diesen Aufsatz besonders aufmerksam. Dieses Interesse veranlasste mich, zu dem Aufsatz Stellung zu nehmen.' Erster Teil Dr. Rudolf Neumayer war in der Ara Schuschnigg dsterreichischer Finanzminister gewesen; in der Ara des Nationalsozialismus war er Generaldirektor der „Wiener Städtischen Versicherung“. Und damit ist er auch einer unserer Vorgänger gewesen — Norbert Liebermanns, meiner Person und meiner drei Nachfolger. Da ich nunmehr einer der letzten Überlebenden bin, der Neumayer — wenn auch nur sehr flüchtig — gekannt hat und außerdem doch jahrelang auf das engste in dem Personenkreis gelebt habe, der in der Nazi-Zeit zu Neumayers Umfeld gehört hatte, sah ich mich legitimiert, darüber zu schreiben. Einigem, was in diesem Artikel über die Ereignisse im Feber und März Otto Binder beim Zwischenwelt-Fest, Juni 2003. Foto: Nina Jakl, Archiv der Theodor Kramer Gesellschaft 1938, d.h. zwischen Schuschniggs erzwungenem Besuch bei Hitler in Berchtesgaden und dem Einmarsch der deutschen Truppen, steht, kann ich nicht zustimmen. Absolut falsch ist es, meiner Überzeugung nach, Rudolf Neumayer als einen Herrn Karl auf höchster Ebene zu bezeichnen. „Der Herr Karl“ des Helmut Qualtinger ist der Typ des charakterlosen Parasiten — in der Terminologie der Sozialisten vor dem Zweiten Weltkrieg wohl dem ,,Lumpenproletariat zugehörig. Neumayer repräsentierte eine ganz andere Sphäre. Er war kein Parasit, er war ein „aller Herren williger Helfer“ — ein Kollaborateur. Hier geht es mir um ein sehr wesentliches Moment des Verstehens dieser Zeit. Als Dr. Günter Geyer, der jetzige Generaldirektor, eine erste Fassung dieses Berichts erhalten hatte, fragte er mich, ob ich damit einverstanden wäre, diesen Aufsatz publizieren zu lassen. Denn die Nöte, Katastrofen, Turbulenzen der Zeit nach dem Kriegsende hätten die Geschehnisse bald verblassen lassen. Ab einem Zeitpunkt, der ungefähr mit meinem Wiedereintritt in die „Wiener Städtische“ zusammenfalle, also ab Ende 1949, sei wieder ordentlich dokumentiert worden. Zu diesem Zeitpunkt sei eine gewisse Konsolidierung nach den Wirren der Nachkriegszeit erreicht worden. Was vorher gewesen sei, wäre aber für die Heutigen schon weitgehend unbekannt. Ich komme Dr. Geyers Anregung gerne nach, mehr noch, sie ist mir ein wirkliches Anliegen. Das Andenken an die Menschen, die damals im Guten und im Bösen den Betrieb verkörperten, sollte nicht ganz verloren gehen, das Andenken an die Mühen und Plagen, die Erinnerung an die körperlichen Entbehrungen und das moralische Elend unserer Vorgänger sollte nicht ganz der Vergessenheit anheim fallen. Ich selbst stoße mich immer wieder daran, wie unmöglich es für Menschen, die mit dem Kopf von Heute denken, geworden ist, sich ins Umfeld und in die Verhältnisse der Zeit während und nach dem Krieg zu versetzen. Ich möchte mich bemühen, diese Lücke ein klein wenig zu schließen. — Deshalb bitte ich auch um Verständnis, wenn ich vom Thema Neumayer manchmal stark abweiche. Ich werde nicht korrekt bei der Person Neumayer bleiben. Diese Darstellung soll mir auch als ,,Aufhänger“ dienen, mehr über Anstalt und Menschen der „Städtischen“ zu berichten, über all das, was, wie ich glaube, erhalten bleiben soll. Ein Unternehmen wie die „Städtische“ soll seine Geschichte erhalten. Die Situation nach dem Kriege Im Jahre 1934, nach den Bürgerkriegstagen des 12.-15. Februar, war die „rote“ Leitung der Anstalt unter Norbert Liebermann eliminiert worden. Vier Jahre später im März 1938 war der recht beträchtliche jüdische, mit Juden verheiratete aber auch sonst aus irgendeinem Grund politisch oder „rassisch‘ suspekte Teil der Angestelltenschaft zum Hinauswurf fällig. Von den verbliebenen männlichen Angestellten musste bald ein Teil zum Militär. Viele von ihnen dürften gefallen sein und sehr viele kamen erst viele Jahre nach Kriegsende aus der Kriegsgefangenschaft zurück. — Im Jahre 1945 folgte die auf Grund der neuen Gesetzgebung angeordnete Entnazifizierung mit neuerlichen