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Eine Geschichte, die in der Zwischenzeit wohl jede Spur von Humor verloren haben dürfte, muss seine damaligen Beobachter besonders belustigt haben. Ich erzähle sie, obwohl sie sicherlich widerlich und läppisch ist, vielleicht aber den Heutigen eine Ahnung davon vermittelt, welche Figur auch der Leiter eines Instituts wie der „Städtischen“ damals zu machen hatte. Eines Tages war Neumayer auf höheren Befehl verpflichtet, einen Angestellten persönlich zur Rechenschaft zu ziehen, da sich dieser vor der Rekrutierung zum Schneeschaufeln gedrückt hatte. Der Vorgeladene, ein „geistig gestörter‘“ Mann, vorgeladen zum Generaldirektor, kümmerte sich aber nicht um die Worte seines höchsten Chefs, sondern warf sich auf die „Tschicks“ in einer Aschenschale und versuchte sie zu verschlingen, worauf Neumayer nervliche Probleme bekam. Er war der hohe Beamte. Er besaß nicht die Robustheit eines „Mannes aus dem Volk“, um mit einem solch ungeschlachten Benehmen zurecht zu kommen. Im Übrigen war es nicht ungewöhnlich, dass Angestellte plötzlich zum Entladen von Eisenbahnwaggons auf Bahnhöfe abkommandiert wurden - für die Kollegen ein Indiz dafür, dass Neumayer zumindest im lokalen Bereich politisch keinerlei Geltung hatte, obwohl man ihm andererseits zubilligte, durch seinen Einfluss in Berlin die Vergrößerung der Anstalt mit der „Wechselseitigen“ und dem „Anglo-Danubian Lloyd“ ermöglicht zu haben (das war wohl auch einer der Gründe, mit denen die erwähnte geheime Pensionszahlung zusammenhing). Die Beurteilung Neumayers, auf die ich stieß, war also nicht die eines Bösewichts, sondern eher eines kleinen Mannes aus extrem konservativem Milieu, der sich nach Ende des Kriegs völlig der Lächerlichkeit preisgegeben hatte, als er sich, trotz Otto Binder (links) mit dem Direktor der Baufirma Porr, Ing. Franz Witzmann, und dem Bauleiter auf der Baustelle des Ringturms, Oktober 1953. Foto: Otto Binder 10 seiner Vergangenheit im Dienste des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus, ins Rathaus begeben hatte, um seine Dienste anzubieten. Dieses Verhalten musste in der unmittelbaren Nachkriegszeit als total kopflos und wirklichkeitsfremd erscheinen. Den Eindruck großer politischer Naivität und Ahnungslosigkeit hatte ich auch bei meinen persönlichen Gesprächen mit Rudolf Neumayer, die 1972, nicht allzulang vor seinem Tod, stattfanden — doch dazu später mehr. In dem erwähnten Artikel über Neumayer wird die „Österreichische Zeitung“ vom 27. Jänner 1946 (das Blatt der sowjetischen Besatzungsmacht) zitiert: „In seiner Eigenschaft als Versicherungsdirektor warf er alle politisch ‚Lauen’ hinaus, wurde unterstützendes Mitglied der SS, deren Abzeichen er stolz trug, und bewarb sich noch Ende 1943 um die Aufnahme in die Nazipartei.“ Ich habe wirklich nicht die Absicht, Rudolf Neumayer reinzuwaschen, aber ihn fälschlich zu beschuldigen bedeutet, sein eigentliches Verbrechen, nicht zu verstehen, das ja wirklich bestand, aber anderer Art war. Von irgendwelchen Hinauswürfen durch Neumayer habe ich weder bei meinen Besuchen im Jahre 1947 und 1949, noch nach meiner Rückkehr im September 1949 gehört. Ich saß immerhin bis zu unserer Übersiedlung in den Ringturm im Juni 1955 mit Schärf, dem Personalchef, im gleichen Zimmer. Außerdem hatte ich die nicht immer leichte Funktion des ,,trouble-shooters“ fiir Liebermann, zu dem in diesen Jahren alles aus der Versicherung kam, was sich in der Nazizeit geschädigt gefühlt hatte. Eine persönliche Beschwerde gegen Neumayer kam mir nie unter. Die Vorstellung, dass ein Generaldirektor mit den Bezügen eines Neumayer sich der Unterstützung der SS hätte entziehen Der 19535 fertiggestellte Ringturm auf einer Postkarte, die anläßlich der Eröffnung des Gebäudes ausgegeben wurde. Foto: Archiv der Wiener Städtischen Versicherung