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Jene Stelle in der Befragung Neumayers, ob er denn mit Guido Schmidt befreundet gewesen wäre, fand ich jedoch auf Grund von Neumayers schroffer Ablehnung interessant. Als Begründung gab er an, Schmidt wäre aus reichem Hause gewesen, er aus einem armen. Solche Töne kommen in dem Verfahren sonst nicht vor. Als Begründung der Beziehung zwischen zwei gleichrangigen Ministern wäre das ja auch unsinnig. Aber als Zeitgenosse, der ich eben einer bin, höre ich hier noch etwas anderes heraus: den alten erbitterten Streit unter den CV-Verbindungen und deren Ablehnung der Zöglinge der Stella Matutina, der Jesuitenschüler, wie es Schmidt und Schuschnigg gewesen waren, durch die Mitglieder anderer Verbindungen. Der Historiker Gordon Brook-Shepherd weist darauf hin, dass Schuschnigg immer von Österreich als dem „zweiten deutschen Staat“ sprach. Das war nun sicher nicht die politische Grundhaltung des Dr. Neumayer und seiner Freunde. Die zahlreichen Zeugen, die über Neumayers Verhalten vor 1938 befragt wurden, sagten tatsächlich für ihn aus und beschrieben ihn als überaus fähigen Beamten. Eine politische Bewertung seiner Person finde ich im Prozessakt nicht. Wurden diese Zeugen vom Gericht dazu nicht befragt? Die angeführten Personen kamen jedenfalls einem Aufmarsch der Prominenz der Österreichischen Volkspartei gleich, wie sie sich nach 1945 darstellte, beginnend mit Leopold Kunschak, Wilhelm Miklas, Viktor Kienböck und vielen anderen, die heute schon vergessen sind. Zu meiner Hauptfrage aber, zu den Zeugen aus dem Bereich der „Wiener Städtischen“ und ihren Aussagen, fand sich nur ein einziger Name: Direktor Adolf Möller. Zu Prozessbeginn waren von Seite der Anstalt mehrere Zeugen nominiert: Leopold Puhm, im Akt fälschlicherweise als Pumm angeführt, Leiter der Personalverrechnung, der nach 1934 als Angehöriger der Heimwehr in die „Städtische“ gekommen war und sich nach 1945 als denkbar fleißiger und loyaler Mitarbeiter und als wirklicher Stellvertreter von Schärf erwies; Dr. Friedrich Vogl, Leiter des Rechtsbüros und eindeutig kein Nationalsozialist, sowie Josef Anderle, Sozialdemokrat und vom Ministerium bestellter „Öffentlicher Verwalter“, dessen Arbeitsstätte aber nie in der Tuchlauben, sondern in der Operngasse gewesen war, und damit nicht in der Zentrale sondern in einem Tochterunternehmen der „Städtischen“. Auf alle drei Genannten wurde mitten in der Verhandlung von Anwalt und Gericht einvernehmlich verzichtet, ohne jeden — zumindestens für mich — erkennbaren Grund.’ Wie war man gerade auf Adolf Möller gekommen? Die Aufzeichnungen der „Wiener Städtischen“, dass Möller 1922 in die Versicherung eintrat, können nicht stimmen. Möller kam sicherlich nicht durch direkte Anstellung, sondern durch eine der vielen Fusionen zur „Städtischen“ und blieb dann nach all den Katastrophen und Turbulenzen eben übrig. Möller überlebte „Rote“, Juden, Tschechen, Kriegsgefallene und Kriegsgefangene sowie gesäuberte Nazis und besaß daher 1945, wohl als einziger, den Titel Direktor. Es war eine der großen Schwierigkeiten jener Zeit, dass auf diese Art manche Position von Leuten besetzt wurde, die hiefür absolut ungeeignet waren. Er galt als Leiter der Autoabteilung, die jedoch in Wahrheit von seinem Prokuristen und Nachfolger, Otto Kilga, mit aufopferndem Fleiß und unendlicher Geduld geführt wurde. Möller war für seine Umgangsformen berüchtigt und gefürchtet. Er pflegte seine Gesprächspartner am obersten Knopf des Sakkos 12 fest zu halten und entließ sie nicht so schnell wieder aus seiner feuchten Suada. Immer wenn Schärf oder ich mit ihm reden mussten, sorgten wir gegenseitig vor, recht bald anderwärts benötigt zu werden. Im Hause war Möller ein krasser Außenseiter und wurde auch von der über die Parteigrenzen gehenden, sehr hierarchie- und würdebewussten Gilde der „Oberbeamten“ nicht ernst genommen. Außerdem kannte er nur ein einziges Thema. Das war er selbst. Eine Geschichte, die Rudolf Neumayer zugeschrieben wurde, dass nämlich dessen Beitrittsansuchen bei der NSDAP durch den Einspruch von Herrn Stanno wegen unsozialer Haltung beeinsprucht wurde, stimmt nur insofern, als dies nicht Neumayer’, sondern Adolf Möller betraf, der sich schließlich sogar dahingehend verstieg, sich darum als ein Geschädigter des Nationalsozialismus zu bezeichnen und zu vermeinen, ein Recht aufeinen Sitz im Vorstand zu haben. — Zur Zeit nach meiner Rückkehr kursierten diese Eskapaden im Hause mit einer Mischung aus Ärger und Witz. So also sah der Zeuge der „Wiener Städtischen“ aus. In seiner umfangreichen Zeugenaussage sprach Möller von — Möller. Relevantes zu Neumayers Delikten fand ich nicht, auch keine diesbezüglichen Fragen des Gerichts. Den größten Teil von Möllers Schilderung nimmt eine hanebüchene Geschichte ein. Ich erzähle diese hier mit einem gewissen Zögern als ein Teil der Geschichte der Anstalt, aber ich finde, dass sie doch einen kleinen Einblick in die Verhältnisse gibt, in denen man im Dritten Reich im Vorstand eines Unternehmens zu leben hatte — ein Stück des jämmerlichen Alltags einer Geschäftsleitung im Nationalsozialismus. Wenige Tage nach dem 20. Juli 1944 — dem Attentat auf Hitler — war ein Außendienst-Mitarbeiter namens Karasek zu Möller gekommen und hatte sich fürchterlich über die Verbrecher ereifert, die versucht hätten, Hitler zu ermorden. Möller war so unvorsichtig, als mildernd anzuführen, diese Leute hätten schließlich die Absicht gehabt, den Krieg zu beenden. Kaum gesagt, ging ihm auf, was er da angestellt hatte. Er bat Karasek inständig, seine Bemerkung zu vergessen, doch dieser erzählte sie sehr bald dem Generaldirektor-Stellvertreter Wawra, der wiederum zu Rudolf Neumayer ging. Die Lage, in der dieser Tratsch die Beteiligten gebracht hatte, muss schrecklich gewesen sein — eine solche Bemerkung zu hören und nicht sofort der Gestapo zu melden, brachte alle in größte Gefahr. Auch bloße Geschwätzigkeit konnte damals tödlich werden. Mit der Mitwisserschaft solcher Äußerungen hatte jeder jeden in der Hand für jede Art der Erpressung. Man musste diese Belastung also los werden. Das dürfte Neumayer auf Beamtenart gut gekonnt haben. Er versuchte nicht etwa, die Sache zu vertuschen, im Gegenteil; Möllers etwas ungenaue Äußerungen vor Gericht deuten vielmehr daraufhin, dass er sie „herausstellen „wollte — was immer darunter verstanden werden kann. Adolf Möller wurde also zu Neumayer zitiert, der ihm erklärte, dass er bei der Gestapo Selbstanzeige erstatten müsse, um so mit einer milderen Strafe davonzukommen. Es wurde ihm gesagt, dass er damit vielleicht dem KZ entgehen und bloß zu einer Fabriksarbeit verurteilt werden könne - in Anbetracht der damaligen Verhätnisse ein reiner Unsinn. Zudem wurde ihm konzediert, er dürfe zur Vorsprache bei der Gestapo einen Anwalt mitnehmen. Wenig später traf auch Herr Karasek, den man zum „Umfallen“ gebracht hatte, ein, und entschuldigte sich bei Möller. Dann ging es zur Gestapo. Dort wurde Möller — seiner eigenen Aussage zufolge — zuerst „isoliert“