OCR
und dann von einem „reizenden und netten Gestapo-Beamten“ einvernommen. Als er anschließend wissen wollte, was nun weiter geschähe, ließ ihn dieser Herr nach Hause gehen. — Durch politische Verbindung oder simple Bestechung war es gelungen, die Folgen von Möllers Dummheit zu glätten (was dieser jedoch sicher nie begriffen hatte); bemerkenswert scheint mir aber, dass Adolf Möller diese Aussage im Jahr 1947 machte! — Und bemerkenswert erscheint mir das entsetzliche Niveau der Leute, mit welchen man nach dem Krieg wieder zu beginnen hatte. Gespräche mit Rudolf Neumayer Wie bereits erwähnt, ging es Rudolf Neumayer vor allem um Rehabilitierung. Einem Mann seiner Herkunft und seiner Laufbahn war das fortdauernde Odium des bloß amnestierten Verbrechers wohl unerträglich. In den zwei, drei Gesprächen, die ich mit ihm führte, wurde seine materielle Situation nie erwähnt. Was für ihn zählte, war, „nicht mehr ein ‚so großer Verbrecher’ zu sein“. Neumayer versuchte, mich davon zu überzeugen, dass sich 1937 die entsetzliche Wirtschaftslage und Arbeitslosigkeit doch bereits gebessert hätten. Sein schlechtes Gewissen bezog sich in diesem Punkt wohl auf seine Zusammenarbeit mit Viktor Kienböck, dem Präsidenten der Nationalbank und maßgeblichen Mann in der Wirtschaftspolitik der Dollfuss-Schuschnigg-Ära. Kienböck, Nach sechstügiger Verhöndiungsdauer ging der erste österreichische Kriegsverbrecherprozeß gegen den chemaligen Finanzminister im Kabinett Seyß-Ingart, Dr. Rudolf Neumayer, Samstag nachmittag zu Ende. Das Urteil lautete auf lebenslangen schweren Kerker. Einige von Neumayers Ministerkollegen werden im Laufe der nächsten Zcit zur Verantworlung gezogen werden. Als nächster sicht Guido Schmidt, der in diesem Prozeß Zcuge war, seinem Urteil entgegen, Unsichtbar mit Neumayer auf der Ankligebank saßen aber noch andere, die genannt oder auch nicht genannt wurden, saß ein System, das zur Katastrophe im Mlirz 1938 xcführt hat. Nachsichend der Bericht vom letzten ProzeBtag: Die Plidoyers Lange vor Beginn war der Sae) dicht besetzt. Der Vorsitzende gab zundchst bekannt. daß der Senat nach ausführlicher Beratung alle weiteren Beweisanträge der Verteidigung abgelehnt habe, da das Beweisvorfuhren ein vollkommen genügendei Bild der Rechtz- und Sachlage ergeben habe. Dann orhebt sich Staatsanwalt Dr. Helmreich zu seiner Anklisgerede Er schildert, wie os zum Schwarzen Freitag am 11, Mirz 1938 gekommen Ist. Dem Zeugen Miklas mügen Zwangslage und Notstand zugebilligt werden, als er das Kabinett SeyD-Inquart vercidigte. Dem Angcklagten billigt der Staatsanwalt alesen Nolstand nicht zu. Der von ihm geltend gemachte Notstand sei selbstverschuldet gewesen. Er sel ein willfähriges Werkzeug der Nationalsorialisten gewesen. Der Stesisanwalt schließt: Der Angeklagte it in diese Regierung eingetreien. weil Strchertum, politische Geainnungslosigkeit und natlonnic Einstellung, die er von Jugend auf hatte. tha diesen Wee zewiesen haben. Er hat hicdurch das Verbrechen des Hochverrates am österreichischen Volk begangen. Verteidiger Dr. Hugo Zürnlaib (der selbst am 11. März 1938 verhuftet und von den Nazi insgesamt dreimal eingesperrt worden iat) stellt unter andersm fest, daB er den Anscklagten als Mensch bestimmt nicht frelspreche. Er billige vor allem den Eintritt des Angeklagten in das Kabinett SeyB-Inquart nicht; doch nicht jeder könre ein Held sein. Dem Angeklagten müsse Notstand als Strafausschliedungsgrund zugubilligt werden. Er sei der Typus des Beamten, den man bis 195 gern geschen habe. Es Wege an der Sehulung dieser Beamten, denen man das Rückgrat gebrochen hat, daß nie sich nchon verneixen. wenn sie nur über die Türschwelle kommen, Der Verteidiger anerkennce die Norm ciner Partei, der er selbst nicht angchére (gemeint ist die Sozialistische Partei. Red). daß sich Beamte auch einer Partei anschließen und ihre eizene Meinung haben mögen. wenn sie nur ‚objektiv im Dienste der Gesamiheit ihren Dienst verschen. Der Verteidiger schlledt: Das Abstimmungsergebnis von Prozent am 10. April 1838 war durchaus keine TreuckundRebung fiir den Nationalsozinlismues es war eine Ablehnung Jdes Systems DollfußSchuschnigg! (Laut) Die Welt möge ex hören: Österreich wollte den Anschluß nicht!... Entscheiden Sic nach dem Gesetz und urieilen Sie nicht, ob das Vorhalten des Angeklagten herolsch oder feig gewesun ist! Die Urteilsverkündung Um 36 Uhr bezanı die Urtellsberatung. die über eine Stunde währte. Nach 17 Uhr verliest der Vorsitzende. Oberlandesgorichtsrat Dr. Berger, das Urteil Der Angeklagte Dr. Rudolf Neumayer Ist schuldig, durch seinen Eintritt in das Kabinelt Sey8-Inquart und durch seine Tätigkeit als Floanzminister, Insbesondere aber dadurch, daß er am 139. März 1938 für das Dundesverfassungıgesetz über die Wiedervereinirung Österreichs mit dem Deutschen Reich stimmte, tür sich allcin und mit anderen etwas unternommen za haben, wadurch die Machtergreifang durch die NEDAP. vorbereitet und gefördert worden Ist. Dadurch hat der Anzeklagie das Verbrechen des Hochverrates am österreichlschen Volk begangen und wird zur Strafe des lebensiangen Kerkers, verschärft durch Dunkeihaft an jedem 13. März und ein hartes Lager alle Vierteljahre, verurtellt. Die Verlesung der Urteisbegründung nimmt cineinviertel Stunden in Anspruch. Sie führt aus, daß der Angeklagte ein Mann mit überragenden geistigen Fähigkeiten sel, der die NSDAP, selbst als Verkörperung der brutalen Gewalt bezeichnet hat. Die Berchtesgadener Ereignisse kannte er. Der Gerichtshof hat daher angenommen. daß Nceumayer bei seinem Eintritt in das Kabinett SeyD-Inquart die Situaon ganz richtig erkannt habe. Er ist gern. vorsätzlich und mit Freuden in das Kabinett SoyBInquart eingetreten — und das war der ersto Senet zum Hochverrat am österreichischen 0 der „Vater des Alpendollars“, war Vertreter jener krassen Deflationspolitik, die dazu führte, dass die Arbeitslosigkeit gerade in Österreich solch gigantische Ausmaße annahm. Rudolf Neumayer kam mir mit seinen Ansichten recht simpel vor. Die Erholung der Wirtschaft 1937 und der Glaube an eine große internationale Anleihe zur Überwindung der schrecklichen Arbeitslosigkeit und damit der deutschen Bedrohung waren sicher reine Selbsttäuschung. Interessant war allerdings, dass er, wie er erzählte, im Jänner 1938 mit Kienböck nach Basel gereist war, um die in Aussicht gestellte große Anleihe voranzutreiben, sie dort aber plötzlich, entgegen aller vorherigen Zusagen, plötzlich alle Türen verschlossen vorfanden und nun verstanden, dass Österreich von den entscheidenden Mächten aufgegeben worden war. Ich denke nicht, dass Rudolf Neumayer mir diese Geschichte als Motiv für sein Verbleiben im Nazi-System erzählte. Im Prozess lehnte er stets strikt ab, jemals zu politischen Entscheidungen zugezogen gewesen zu sein; er wäre nur ein Fachminister gewesen. Gleich nach Berchtesgaden habe er mit seinem Kollegen Tautscher vereinbart, Schuschnigg um die Entlassung aus dem Amt zu bitten. Bei Tautscher wurde das auch sofort akzeptiert, er hingegen kam gar nicht dazu, seine Bitte auszusprechen, da Schuschnigg ihn ersuchte, in der Regierung zu bleiben. Und, wie Rudolf Neumayer sagte: „Er war der KanzWien, Sonntag, 3. Februar 1946, S. 1. Quelle: www.arbeiter-zeitung.at ler und ich der Beamte, also gehorchte ich.“ Dass er Minister war, wurde ihm offenbar nie bewusst; er war immer der weisungsgebundene Beamte, der jedem Regime gehorchte: Breitner, Danneberg, Schmitz, Schuschnigg, Kienböck, Seyss-Inquart, Hitler. Was seine persönliche Haltung betraf, so behauptete er, er habe 1938 auf einen viel besseren Posten in Berlin verzichtet, um in Wien zu bleiben, und hätte damit den „Zugriff der deutschen Wechselseitigen“ auf die „Städtische“ verhindert. Wie ich mich an Dr. Neumayer erinnere, wie ich sein Rolle bewerte? Ein kleiner, bescheiden wirkender Mann mit sehr guten, etwas altmodischen Manieren, sehr etepetete in seinem ganzen Auftreten, sicher keiner, der es darauf angelegt hatte, andere zu quälen. Sicher einer, der seine Sache immer gut machen wollte. Auf seine Art sogar etwas wie ein östereichischer Patriot und ganz bestimmt kein Herr Karl — aber sicher einer, der sich immer den Mächtigen gefügt und ihnen seine Karrierewünsche angepasst hat. Und damit sind er und Seinesgleichen in diesen Zeiten der Gewalt schlimmer gewesen als all die Herrn Karl. Die gefügigen Helfer aller ihrer Herren. 13