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und Kolonialkrieg“' zuständig und versorgte The News Chronicle mit tschechischen Nachrichten. Erst im Februar 1942 wurde er Mitglied im 1939 gegründeten Austrian Centre und arbeitete als einer der wenigen erfahrenen Journalisten an dessen Zeitspiegel mit. Ende des Jahres 1942 bat er das Home Office um Erlaubnis, als „freelance journalist‘ tätig sein zu dürfen.'* Kalmers Haupteinnahmequelle wurde die Mitarbeit bei den European Correspondents von April 1942 bis etwa 1951 (vgl. Abb. 2). Diese Presseagentur, die vom Ministry of Information organisiert wurde, war in Kriegszeiten — ähnlich der Zeitung, aber in entschieden größerem Rahmen - auf Antinazipropaganda spezialisiert, mit der etwa 300 Blätter beliefert wurden." Geleitet wurde sie von Walter Tschuppik (1899 — 1955), der vor dem Krieg in Prag als Journalist tätig und vielleicht schon daher mit Kalmer bekannt war. Joseph Kalmer schrieb Beiträge in sechs Sprachen unter zwanzig verschiedenen Pseudonymen, darunter klingende Kreationen wie Giuseppe Cameroni oder Jossip Krissonow. Diese Pseudonyme erlaubten es, den gleichen Text in verschiedenen Medien als Erstdruck unterzubringen, ein einfacher Weg zum finanziellen Mehrgewinn, den er später auch gern in seiner Literaturagentur beschritt. So scheint zum Beispiel auch in der Zeitung der Artikel „Loehr. Bildnis eines NaziGenerals“ (Nr. 287 vom 4.9. 1942, S. 2) in seinen Unterlagen zu den European Correspondents leicht variiert als „Der Schlaechter von Belgrad. Zur Niederlage des Generals Loehr“ unter dem Namen J.K. Strom auf.” Eine rege Mitarbeit lässt sich zudem für die New Yorker Neue Volks-Zeitung ab 1941 und die Rundschau vom Illimani (Bolivien) von 1943 bis 1946 feststellen wie auch für das Argentinische Tageblatt, zu dessen ständigen Mitarbeitern er bis zu seinem Lebensende zählte. Auch hatte er wohl schon um 1943 Willy Verkauf-Verlon (1917 — 1994) seine Mitarbeit an der geplanten Jerusalemer Kulturzeitschrift Erbe und Zukunft (erst 1946 in Wien realisiert) zugesagt." Nachkriegszeit Abb. 2: Kalmers Presseausweis fiir ,, European Correspondents “, ausgestellt in London vom Ministry of Information, unterschrieben von Walter Tschuppik, undatiert, wahrscheinlich April 1942. Foto: OLA möglich. Ich schreibe zweimal wöchentlich Artikel für das Central Office of Information [...] — ich sehe sie nach dem Schreiben nur noch zufällig, wenn mir mein Schwager aus Canada einen Ausschnitt schickt [...] oder eine neue Zeitschrift in Indien mich um Mitarbeit ersucht. Aber diese Artikel sind höchst uninteressant. Sie sind mein Brot; mein Herz aber hängt an Österreich, und dort will ich publizieren, was ich dichte.‘ Eindrucksvoll belegt diese Passage die Weitläufigkeit seines Wirkungskreises, die nur bedingt bzw. nur während des Krieges einer „offiziellen“ Unterstützung bedurfte. Kalmer war also mit Hilfe der European Correspondents auch auf dem amerikanischen Kontinent und in Asien präsent. Von der tagespolitischen Berichterstattung setzte sich Kalmer in der Nachkriegszeit weitgehend ab, was beinahe zwangsläufig mit der Gründung seiner Londoner Literaturagentur 1945 einherging, deren Ziel zunächst in der Verbreitung der Texte seiner Exilkollegen - z.B. Fritz Brügel (1897 — 1955), Veza Canetti (1897 — 1963), Hilde Spiel oder der junge Erich Fried — in deutschsprachigen und teilweise britischen Medien lag. Im Frühjahr 1952 berichtete er auf Einladung der Indian Times noch einmal aus Indien über die ersten freien Wahlen (vgl. Abb. 3). Von vorrangiger Bedeutung blieb für Kalmer die Auseinandersetzung mit der Literatur, die ihm stets als Spiegel der Kultur diente, weshalb hinter allen seinen Übersetzungen der gelernte Journalist erkennbar bleibt, der das Weltgeschehen verfolgt, recherchiert und treffsicher repräsentative Texte wählt. Unter seinen zahlreichen Übersetzungen finden sich auch einige von Sachbüchern, etwa vom britischen Historiker Hugh Trevor-Roper (1914 - 2003) „Hitlers letzte Tage“ (1948)” oder vom ChinaExperten C.P. Fitzgerald (1902 — 1992) „Revolution in China“ (1956)*. Ansonsten spezialisierte sich Kalmer auf das Verfassen von populärwissenschaftlichen Artikeln. Hier konnte er ebenso seine ganze journalistische Erfahrung einsetzen und vermittelte der Öffentlichkeit vor allem naturwissenschaftliche Erkenntnisse leicht nachvollziehbar.” So eindeutig diese Geschäftsniederlassung eine Entscheidung zugunsten Großbritanniens suggerieren mag, dürfte es nicht gewesen sein. In einem von Oscar Pollak (1893 — 1963) 1944 zusammengestellten „Verzeichnis der für den Wiederaufbau der österreichischen Presse geeigneten Journalisten“ findet sich auch der Name Joseph Kalmer mit dem Aufgabenbereich „Feature Articles“ und der speziellen Qualifikation „Editor (News)“.”* De facto betrat Kalmer erst wieder 1949 österreichischen Boden und machte fortan jährlich die Redaktionsstuben und Kaffeehäuser zu seinen liebsten Aufenthaltsorten. Seine Haltung 31