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Die Zeitung (London ), Nr. 173 vom 30.9. 1941, S. 2

Anfang September meldeten schwedische Zeitungen aus
Vichy, die Petain-Regierung sei von Deutschland aufgefordert
worden, Vorbereitungen für die Aufnahme von 10 Millionen
Polen in Französisch-Äquitorial-Afrika zu treffen. Das Niger¬
Gebiet südlich der Sahara soll von aus dem „Generalgouverne¬
ment“ Polen verjagten Menschen besiedelt werden.

Im ersten Augenblick ist man geneigt, solche Ausgeburt ei¬
ner höllischen Phantasie ins Reich der Fabel zurückzuschicken,
aber die Erfahrungen, die bisher mit der „Aussiedlung“ einge¬
sessener Bevölkerungen durch die Nazis gemacht worden sind,
lassen die obige Meldung glaubhaft erscheinen. Hitler selbst hat
schon 1932 und 1934 (siehe die bezüglichen Gespräche mit
Rauschning) erklärt, daß das tschechisch-mährische Gebiet und
die Länder, die im Osten an Deutschland grenzen, von deutschen
Bauern kolonisiert werden würden. Den Tschechen sollten
Reservationen in Sibirien geöffnet werden. „Um die deutsche
Oberherrschaft zu erhalten“, sagte Hitler, „muß ich unweiger¬
lich eine Depopulation durchführen, worunter ich die Beseiti¬
gung ganzer rassischer Einheiten verstehe. Wenn die Natur grau¬
sam ist, kann auch ich grausam sein. Wenn ich die Blüte des
deutschen Volkes erbarmungslos in die Hölle des Krieges
schicke, so habe ich sicherlich das Recht, Millionen minder¬
wertiger Rassen zu beseitigen, die sich gleich Insekten ver¬
mehren.‘ Macht diese Äußerung Hitlers den Aussiedlungsplan
von 10 Millionen Polen nicht wahrscheinlich?!

Der große Landraub

Es gibt andere Argumente für die Wahrscheinlichkeit. Sofort
nach der Besetzung Polens haben die Nazis 35.500 Quadrat¬
meilen polnischen Gebiets dem Reich einverleibt. Die Bevöl¬
kerung dieses Gebiets war zu 87.2 Prozent polnisch, zu 5.5
Prozent jüdisch und nur zu 6.2 Prozent deutsch. Es ist bekannt,
daß der polnische (und selbstverständlich der jüdische) Besitz
entschädigungslos enteignet wurde. Eine Reihe von Gesell¬
schaften, wie die Haupttreuhandstelle Ost, die Deutsche Umsied¬
lungstreuhand und die Ostdeutsche Landwirtschafisgesellschaft,
übernahmen die Verwaltung des gestohlenen Gutes und die Ver¬
teilung an Hitlers Kolonisten. Ein Netzwerk von Neusiedlungen
ist gelegt worden. Die Maschen dieses Netzes sollen nach dem
Kriege gefüllt werden. Ungeheure Geldbeträge werden schon
jetzt für diese Ansiedlungen aufgewendet. Im Jahre 1940 hat
die Deutsche Umsiedlungstreuhand Subsidien in der Höhe von
63.810.000 Reichsmark ausgezahlt; ein Zehnjahrplan [!] des
Reichskuratoriums für Technik in der Landwirtschaft sieht Zu¬
schüsse in der Höhe von zwölf Milliarden Reichsmark vor. „Kein
Zweifel, daß die Oststeuergesetzgebung sofort und nach dem
Kriege einen Zustrom wagemutiger Menschen bringen wird, die
den Wall deutschen Blutes, der bereits aufgerichtet ist, verstär¬
ken“, erklärte Bürgermeister Dr. Marder (welch bezeichnender
Name!) von Litzmannstadt im Dezember 1940 dem kommu¬
nalpolitischen Sonderdienst „Die deutsche Gemeinde“.
Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus allen besetzten und
„verbündeten‘“ Ländern des europäischen Kontinents arbeiten
auf Deutschlands Feldern. Woher nahmen die Nazis die deut¬

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schen Bauern zur Besiedlung des dem Reich einverleibten Ge¬
bietes? Nehmen wir Wroclawek an der unteren Weichsel als Bei¬
spiel! Von 56.000 Einwohnern waren 2.028 Deutsche. Allmo¬
natlich werden 350 Deutsche zugeführt. Diese Deutschen kom¬
men aus Schulungslagern, die in Polen, Österreich (für die Tiro¬
ler, Bessarabier, Bukowiner und die Dobrudscha-Deutschen) und
Südmähren errichtet worden sind. In diesen Lagern werden die
Siedlungsanwärter einer landwirtschaftlichen und einer politi¬
schen Schulung unterzogen, die aus ihnen stramme Nazis ma¬
chen soll. Erst nach längerer Ausbildungszeit, deren Dauer sich
nach der Verfügbarkeit von enteigneten polnischen Bauerngütern
richtet, werden die Siedler „angesetzt“.

Es sei hier an die verschiedenen Abkommen erinnert, die
Deutschland mit Italien, Rumänien, Bulgarien und Rußland über
die Repatriierung von Deutschen aus diesen Staaten abge¬
schlossen hat. Eine Gesamtzahl von 684.100 Menschen konn¬
te auf diese Weise nach Polen umgesiedelt werden. Durch das
Abkommen mit Italien wurden 206.600 Südtiroler betroffen. Das
Abkommen, das mit Rußland am 10. Januar 1940 in Riga ab¬
geschlossen wurde und die Massenwanderung in den kurzen
Zeitraum von zehn Wochen zusammendrängte, führte 21.343
Russen und Littauer [!] aus den Bezirken von Memel und
Suwalki nach Rußland zurück und brachte 130.000 Deutsche
aus dem von der Sowjet-Union besetzten Teil Polens, 130.100
aus Estland, Lettland und Lithauen [!], die vorher in den letz¬
tangeführten Gebieten beheimatet gewesen waren, nach dem neu¬
einverleibten Reichsgebiet. 25.000 Familien aus den baltischen
Staaten wurden allein im „Warthegau“ angesiedelt. Wie dabei
verfahren wurde, ergibt sich aus der Bodenverteilung. Die Siedler
aus Lettland und Estland, die in ihrer alten Heimat 86.000 Hektar
Land besessen hatten, erhielten 145.000 Hektar enteigneten pol¬
nischen Bodens. Der Köder reichlicher Bodenzuteilung sollte
die Parole „Was das Schwert gewonnen hat, muß der Pflug si¬
chern“, die Gauleiter Greiser, der Reichskommissar für die Ost¬
provinzen, ausgegeben hatte, zu lebendiger Wirklichkeit machen.

Die Um-, bzw. Ansiedlungsaktion ging nicht ohne Reibungen
vor sich. Das Reich vom 9. März 1941 klagt in einem Artikel
„Der alte und der neue Osten“, daß Deutsche aus dem Altreich
„gar nicht interessiert waren, nach dem Osten auszuwandern,
und auf verschiedene Art und Weise geködert, wenn nicht gar
gezwungen werden mußten.“

Zwangsgermanisierung

Gleichwohl gibt es nicht genug Deutsche zur Besiedlung des
polnischen Bodens. Also werden „Fremdstämmlinge“ zu Deut¬
schen ernannt. Wie das geschieht, verrät Görings Na¬
tionalzeitung vom 24. Mai 1941 in einem Bericht über eine Rede
des Gauleiters Forster, die auf ein Dekret vom 13. März Bezug
nahm, das „verhindern sollte, daß auch nur ein einziger Tropfen
deutschen Blutes im Osten der Nation verloren gehen solle“.
(Welch ein Hohn angesichts der Hekatomben, die Hitler im rus¬
sischen Feldzug geopfert hat!) Es gäbe viele, meinte Forster,
die nicht wissen, daß sie Deutsche seien. „Infolge der politischen
Ereignisse im Osten sind viele Familien deutscher Herkunft po¬
lonisiert worden; die entscheidende Rolle dabei wurde vom ka¬
tholischen Klerus gespielt... Diese Leute verbreiteten die Über¬