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Die Zeitung (London), Nr. 287 vom 4.9. 1942, S. 2 Am 30. Mai 1942 verkündete der Oberkommando der Wehrmacht in einer Sondermeldung den Abschluß der Schlacht von Charkow und erwähnte rühmend, daß die Luftwaffe unter Generaloberst Löhr und General Pflugbeil die russische Luftwaffe verscheucht habe. Ein russischer Bericht vom 3. Juni gab an, daß die Deutschen während dieser Schlacht 1.366 Maschinen verloren hatten — gegen russische Verluste von 479 Flugzeugen. Seither herrschte um Generaloberst Löhr Schweigen, bis Mitte August die Deutschen seine Ernennung zum Oberbefehlshaber der deutschen bewaffneten Macht auf dem Balkan mitteilten. Nachdem Löhr, dem an der Ostfront auch die ungarischen, kroatischen und rumänischen Flieger unterstellt gewesen waren, sich unterwegs in Bukarest den Orden Michaels des Tapferen geholt hatte, konferierte er am 22. August in Sofia mit König Boris, sowie dem Premier und dem Kriegsminister Bulgariens, und besuchte auch den italienischen Gesandten, Graf Magistrati. Bedeutet all dies, daß Löhr zum Führer einer großen Offensive ausersehen ist, deren Ausgangspunkt und Etappe die Balkanländer bilden sollen? Und soll diese Offensive gegen den Vorderen Orient oder Transkaukasien oder gar die Türkei in Gang gesetzt werden? Es ist nicht ausgeschlossen, denn während des Balkanfeldzuges im Frühjahr 1941 war Löhr Chef der IV. deutschen Luftflotte. Der Befehlshaber der österreichischen Luftwaffe war aus dem Kriegsministerium in ein Haus der Elisabethstraße übersiedelt, den Sitz des Luftwaffenkommandos. Zu dieser Zeit — es mochte Anfang 1936 gewesen sein— war ich einmal bei einem Ministerialrat des Luftamts im Handelsministerium zu Gaste, der u.a. erzählte, die Gesellschaft, die den zivilen Luftverkehr in Österreich besorgte und bezeichnender Weise von dem im Ruhestand befindlichen Generalmajor Beutelmoser geleitet wurde, habe Ju52 Maschinen angekauft, Flugzeuge, die als Transporter für Kriegszwecke leicht umgebaut bzw. armiert werden konnten. Aber nicht diese Mitteilung bildete die Sensation des Abends, sondern ein formloser Bericht des gleichfalls anwesenden Generalmajors Löhr. Er erzählte — und ich konnte dabei den weitsichtigen, eher kleinen Mann von etwa 45 Jahren, der von seiner Wichtigkeit und Bedeutung sehr überzeugt war, genau beobachten - er berichtete also, daß die neue österreichische Luftwaffe auf De Havilland-Moth-Flugzeugen ausgebildet wurde, die aus England stammten. Die österreichische Luftwaffe verfügte aber auch über italienische Jagdflugzeuge, ein paar Erkundungsmaschinen und zwei La Cierva-Maschinen, die lotrecht auf knappstem Raum aufsteigen können. Der Verräter Das nächste Mal sah ich Löhr bei einem Vortrag wieder, den ein anderer, eben aus England zurückgekehrter Offizier der österreichischen Luftwaffe hielt. Ich will seinen Namen mit Rücksicht auf das Folgende nicht nennen. Es könnte ihn das Leben 36 kosten. Dieser Mann berichtete von den Fortschritten der britischen Flugzeugkonstruktion, aber er ging auftechnische Einzelheiten überhaupt nicht ein. Als wir uns nach dem Vortrag in kleinerem Kreis fande[n], war erredseliger und begründete seine Zurückhaltung während des Vortrags mit der Anwesenheit Löhrs. Der Satz, den der Offizier in diesem Zusammenhang sprach, lautete: „Ich konnte das alles vor Löhr nicht sagen, sonst hätten es morgen die Nazis in Berlin gewußt.“ Löhr stand, zu einer Zeit, da Österreich — es war kurz vor Schuschniggs Fahrt nach Berchtesgarden zu Hitler — um seine Selbständigkeit und gegen die Nazifizierung von innen her kämpfte, bereits in enger Verbindung mit den Nazis und der deutschen Wehrmacht. Der Befehlshaber der österreichischen Luftwaffe war ein Verräter, der seine Richtlinien aus Berlin bezog und die Luftwaffe seines Landes genau [der] deutschen gleichschaltete, von der er wußte, daß sie eines Tages die österreichischen Luftwaffe übernehmen werde. Dabei hatte ihm kurz vorher der österreichische Bundespräsident Miklas die höchste Auszeichnung des Staates verliehen — für Löhrs Verdienste bei der Organisation der neuen Luftwaffe. Nach Hitlers Einmarsch wurde Löhr zum Generalleutnant und bei Kriegsbeginn zum General der Flieger befördert. Er wurde Kommandeur einer der vier Luftarmeen Deutschlands und zwar der Gruppe Südost. Er war im polnischen Feldzug. Der amerikanische Reporter Lothrop Stoddard berichtet in seinem Buche „INTO THE DARKNESS“ von einem Besuch bei Löhr, der ihm mit „soldierly promptness“ an Hand von Fliegeraufnahmen den Verlauf des Vernichtungsfeldzugs gegen die polnische Armee demonstrierte. Löhr hat den Ruf besonderer Rücksichtslosigkeit. Seit Göring ihn in der Fliegerschule Wiener Neustadt den deutschen Fliegern als Vorbild hingestellt hat, gilt er als Parteigeneral und ist in der deutschen Wehrmacht unbeliebt. Vielleicht ist seine Abschiebung nach dem Balkan ein Ausfluß dieser Unbeliebtheit. Vielleicht ist dies das Ende einer glanzvollen Verräterlaufbahn. Wer ist Löhr? [Bildkommentar] Er ist für das Bombardement Belgrads verantwortlich, bei dem 30.000 Zivilpersonen ums Leben kamen, aber auch für die Luftinvasion des Peloponnes und Kretas. An der Ostfront waren dem Generaloberst Löhr, dessen Stabschef Generalleutnant Günther Korten ist, die beiden Fliegerkorps Pflugbeil und Ritter von Greim ebenso unterstellt, wie das gegen Sewastopol und Kertsch operierende Richthofen-Korps. Technisch und nominell waren Löhr die deutschen Luftwaffen-Einheiten auch in den Balkan-Ländern und Kreta während der ganzen Zeit unterstellt, so daß seine Ernennung zum Oberbefehlshaber an diesem Abschnitt eine Rangerhöhung bedeutet. Diese Rangerhöhung kann aber auch nur ein Fall nach oben sein. Wenn die héchst unwahrscheinliche Offensive vom Balkan aus nicht durchgeführt wird, dann wird sich Löhrs Aufgabe wohl auf den Versuch reduzieren, die Guerilla-Armeen Jugoslawiens zu vernichten.